Arkadische Landschaft
Zu dem Farbendruck nach dem Bild von Cariani in Berlin
Das Bild einer jungen Frau in einer Landschaft, aus
dem Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, das dem
Cariani zugeschrieben wird, ist ein schönes Beispiel
der Schule, die durch die große Kunst der Giorgione,
Tizian und Palma ins Leben gerufen wurde. Es
spricht aus ihm jene eigentümliche Stimmung, die
mit dem Begriff des Arkadischen angedeutet wird.
Es ist ein „Existenzbild", ein Bild glücklichen Da-
seins. Keine Probleme dramatischer Handlung bewe-
gen die Gestalt oder die Landschaft. Nur am Hori-
zont wetterleuchtet es, zucken Blitze und Flammen,
wie um anzudeuten, daß auch hinter diesem arkadi-
schen Leben ein Schicksal droht. Alan könnte sich das
Bild an der T\ and eines zu festlichem Leben be-
stimmten Baumes denken, den es mit seiner Stim-
mung erfüllen würde.
Aber diese seine Stimmung geht nicht nur aus vom
Stofflichen des Alotives — wie in „Stimmungsbil-
dern" einer Scheinkunst. Sondern es ist der Charak-
ter der Gestaltung, es sind die Mittel der bildneri-
schen Sprache, die dieses Arkadische unmittelbar
ausdrücken. Es ist Renaissancestimmung, die dieses
Bild ausströmt. Das wird besonders deutlich, wenn
wir es in Gedanken zwischen Bilder der Gotik und
des Barock stellen. Auch Cranach und Altdorfer
haben mythologische Figuren in Landschaft gemalt.
Aber in den Leibern ihrer Figuren lebt noch ein go-
tischer Formdrang, und die Falten ihrer Gewänder
bauschen und kräuseln sich nicht weniger erregt wie
das Laubwerk ihrer Bäume. Das Idyllische dieser
Motive antiker Götter in der Landschaft ist immer
vorgetragen in einem dramatischen Schau-Spiel goti-
scher Form. Darum ist die Stimmung dieser Bilder
immer bestimmt von diesem ihrem Formcharakter,
sie ist dem eigentlich „Arkadischen" fern. In der
Figur unseres Bildes ist kein inneres Drängen der
Form, wie es eine Xymphe Cranachs bewegt: sie
lagert — im vollen Sinne des Wortes — in entspann-
tem Dasein. Ihre Farben haben nicht das Glühen
gotischer Farben, aber auch nicht das Leuchten und
Flackern barocken Lichtes, sondern sie sind ein hel-
ler breiter Klang von Bosa und Weiß, der in sich ge-
schlossen auf der dunklen Folie des Vordergrundes
erklingt.
Und schließlich die Gliederung des Räumlichen im
ganzen Bilde: der klare und ruhige Aufbau von
Figur und Landschaft in übersichtlichen Plänen. In
ruhigen hellen Streifen und breitem Fall zieht das
Gewässer durch das Bild. In lockeren rundlichen
Massen von Stein und Gehölz, in festen und geschlos-
senen Gruppen der Bauwerke formt sich der Mittel-
grund, überschnitten von den ruhigen Geraden der
dunklen Bäume des Vordergrundes. Das ist nicht der
erregte Umriß der bewegten Laubmassen, in die
die Figuren der deutschen spätgotischen Bilder sich
hineinrecken. Es ist aber auch nicht das geheimnis-
volle Webeil des barocken Tiefraumes, in den die
Figuren verschmolzen sind und aus dem sie geheim-
nisvoll aufleuchten, wie bei einer Susanna Bem-
brandts. Die Landschaft ist vielmehr wie ein schönes
Bühnenbild zur Schaustellung dieses harmonischen
Daseins.
Das Bild ist eine gute Schulleistung der veneziani-
schen Renaissance. Wenn wir es sehr eingehend be-
trachten, werden wir die Grenzen in der künstleri-
schen Spannkraft seines Meisters fühlen: in der Fi-
gur wird etwa der Unterarm mit der Hand, das aus-
gestreckte Bein mit dem Fuß eine gewisse Befangen-
heit im Gegenständlichen verraten. Und in der Zu-
ordnung von Figur und Landschaftsraum zeigt sich,
daß der große, frei entfaltete räumliche Zusammen-
hang, den die Benaissance geschaffen, nicht ganz be-
wältigt ist. Es wirkt noch die primitivere Schichtung
der Pläne hindurch, wie die ältere Kunst sie entwic-
kelt hatte.
So kann eine eindringende Betrachtung schließlich
über das Bild hinausweisend uns von neuem zu den
Meisterwerken führen, von denen es abstammt. "V or
allem zu Giorgiones unsterblichem „Konzert im
Freien". Dort finden wir vollendet die Größe, den
Reichtum und die Harmonie der frei schwingenden
Bewegung in den Figuren, den „rund" sich öffnen-
den Baum der neuen Zeit, der nicht mehr in abge-
schlossenen Kulissen sich schichtet, sondern in dem
ein neues Lebensgefühl dehnend sich breitet: in des-
sen Formensprache sich auch jene Stimmung har-
monischer Daseinsfreude ausdrückt und jener neuen
Verbundenheit von Mensch und Natur, die der Be-
griff des Arkadischen uns bedeutet.
Von dieser Formwerdung einer Weltanschauung lebt
auch in unserem Bilde so viel, daß es unvergängliches
Zeugnis bleibt von der Größe der schöpferischen An-
schauung seiner Zeit.
E. K.
Kunst für Alle, Jahrg. 55, Heft 1, Oktober 1S39
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Zu dem Farbendruck nach dem Bild von Cariani in Berlin
Das Bild einer jungen Frau in einer Landschaft, aus
dem Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, das dem
Cariani zugeschrieben wird, ist ein schönes Beispiel
der Schule, die durch die große Kunst der Giorgione,
Tizian und Palma ins Leben gerufen wurde. Es
spricht aus ihm jene eigentümliche Stimmung, die
mit dem Begriff des Arkadischen angedeutet wird.
Es ist ein „Existenzbild", ein Bild glücklichen Da-
seins. Keine Probleme dramatischer Handlung bewe-
gen die Gestalt oder die Landschaft. Nur am Hori-
zont wetterleuchtet es, zucken Blitze und Flammen,
wie um anzudeuten, daß auch hinter diesem arkadi-
schen Leben ein Schicksal droht. Alan könnte sich das
Bild an der T\ and eines zu festlichem Leben be-
stimmten Baumes denken, den es mit seiner Stim-
mung erfüllen würde.
Aber diese seine Stimmung geht nicht nur aus vom
Stofflichen des Alotives — wie in „Stimmungsbil-
dern" einer Scheinkunst. Sondern es ist der Charak-
ter der Gestaltung, es sind die Mittel der bildneri-
schen Sprache, die dieses Arkadische unmittelbar
ausdrücken. Es ist Renaissancestimmung, die dieses
Bild ausströmt. Das wird besonders deutlich, wenn
wir es in Gedanken zwischen Bilder der Gotik und
des Barock stellen. Auch Cranach und Altdorfer
haben mythologische Figuren in Landschaft gemalt.
Aber in den Leibern ihrer Figuren lebt noch ein go-
tischer Formdrang, und die Falten ihrer Gewänder
bauschen und kräuseln sich nicht weniger erregt wie
das Laubwerk ihrer Bäume. Das Idyllische dieser
Motive antiker Götter in der Landschaft ist immer
vorgetragen in einem dramatischen Schau-Spiel goti-
scher Form. Darum ist die Stimmung dieser Bilder
immer bestimmt von diesem ihrem Formcharakter,
sie ist dem eigentlich „Arkadischen" fern. In der
Figur unseres Bildes ist kein inneres Drängen der
Form, wie es eine Xymphe Cranachs bewegt: sie
lagert — im vollen Sinne des Wortes — in entspann-
tem Dasein. Ihre Farben haben nicht das Glühen
gotischer Farben, aber auch nicht das Leuchten und
Flackern barocken Lichtes, sondern sie sind ein hel-
ler breiter Klang von Bosa und Weiß, der in sich ge-
schlossen auf der dunklen Folie des Vordergrundes
erklingt.
Und schließlich die Gliederung des Räumlichen im
ganzen Bilde: der klare und ruhige Aufbau von
Figur und Landschaft in übersichtlichen Plänen. In
ruhigen hellen Streifen und breitem Fall zieht das
Gewässer durch das Bild. In lockeren rundlichen
Massen von Stein und Gehölz, in festen und geschlos-
senen Gruppen der Bauwerke formt sich der Mittel-
grund, überschnitten von den ruhigen Geraden der
dunklen Bäume des Vordergrundes. Das ist nicht der
erregte Umriß der bewegten Laubmassen, in die
die Figuren der deutschen spätgotischen Bilder sich
hineinrecken. Es ist aber auch nicht das geheimnis-
volle Webeil des barocken Tiefraumes, in den die
Figuren verschmolzen sind und aus dem sie geheim-
nisvoll aufleuchten, wie bei einer Susanna Bem-
brandts. Die Landschaft ist vielmehr wie ein schönes
Bühnenbild zur Schaustellung dieses harmonischen
Daseins.
Das Bild ist eine gute Schulleistung der veneziani-
schen Renaissance. Wenn wir es sehr eingehend be-
trachten, werden wir die Grenzen in der künstleri-
schen Spannkraft seines Meisters fühlen: in der Fi-
gur wird etwa der Unterarm mit der Hand, das aus-
gestreckte Bein mit dem Fuß eine gewisse Befangen-
heit im Gegenständlichen verraten. Und in der Zu-
ordnung von Figur und Landschaftsraum zeigt sich,
daß der große, frei entfaltete räumliche Zusammen-
hang, den die Benaissance geschaffen, nicht ganz be-
wältigt ist. Es wirkt noch die primitivere Schichtung
der Pläne hindurch, wie die ältere Kunst sie entwic-
kelt hatte.
So kann eine eindringende Betrachtung schließlich
über das Bild hinausweisend uns von neuem zu den
Meisterwerken führen, von denen es abstammt. "V or
allem zu Giorgiones unsterblichem „Konzert im
Freien". Dort finden wir vollendet die Größe, den
Reichtum und die Harmonie der frei schwingenden
Bewegung in den Figuren, den „rund" sich öffnen-
den Baum der neuen Zeit, der nicht mehr in abge-
schlossenen Kulissen sich schichtet, sondern in dem
ein neues Lebensgefühl dehnend sich breitet: in des-
sen Formensprache sich auch jene Stimmung har-
monischer Daseinsfreude ausdrückt und jener neuen
Verbundenheit von Mensch und Natur, die der Be-
griff des Arkadischen uns bedeutet.
Von dieser Formwerdung einer Weltanschauung lebt
auch in unserem Bilde so viel, daß es unvergängliches
Zeugnis bleibt von der Größe der schöpferischen An-
schauung seiner Zeit.
E. K.
Kunst für Alle, Jahrg. 55, Heft 1, Oktober 1S39
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