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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 3
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Corinth, Lovis: Eine Verschwörung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0141

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sollten. Überall, wohin das Auge traf, fand man
immer neue Sachen: ein Klosterbräustübl, eine
amerikanische Blockhütte, chinesische Opiumhühlen
und andre geographische Kneipräume mehr.

Sämtliche Festteilnehmer wurden auf einer
Eisenbahn von der Garderobe aus durch einen
finstern Tunnel bis zum Eingang des hellstrahlenden
Festraumes gefahren, wofür sie den ersten Obolus
entrichten mussten und nun konnten sie sich hin-
wenden, in welche Gegend ihr Herz sie zog.

Als das Amüsement fast auf der Höhe war,
brach das Unglück herein: bei den Eskimos ent-
stand Feuer. Die jungen Leute gingen nacheinander
in Flammen auf, als sie sich gegenseitig helfen
wollten.

Was alles in kürzester Zeit geschehen war,
wussten die Wenigsten. Ich selbst war auf der
Galerie in der Kegelbahn gewesen und sah zu
meinem Schrecken unten im Saal eine Feuersäule
hernmschwirren. Die Musik, die auf der Galerie
postiert war, packte ihre Instrumente und wollte
ihre Plätze verlassen, aber eine energische Stimme
von unten schrie: „Musik spielen! Musik, Musik 1"
Da fassten die Musikanten sich ein Herz und spielten
unter den gröbsten Fehlern das beliebte
„Ach, ich hab' sie ja nur!
Auf die Schulter geküsst"
aus dem „Bettelstudenten".

Als ich die Treppe gleich darauf zum untern
Saal hinunterging, lagen noch verglimmende Funken
auf den Stufen. Wie ich später hörte, hatte
sich ein Verunglückter in die Retirade geflüchtet
und dort in der Nässe herumgewälzt. Dieser Geistes-
gegenwart verdankte er seine Rettung.

Es war ein Glück für alle Anwesenden, dass
diese Katastrophe so schnell vorübergegangen war,
die Panik und das Unglück wären sonst nicht auszu-
denken gewesen; deshalb Hess man auch noch das Fest
einige Zeit weitergehen. Die Nachrichten, die aus
dem Krankenhause während dieser Zeit einliefen,
waren nicht die besten: einer der jungen Künstler
war bereits gestorben, die andern neun hatten mehr
oder weniger schwere lebensgefährliche Brand-
wunden. Wie schnell das Unglück vor sich ge-
gangen war und wie wenig bekannt es unter den
Gästen wurde, zeigte das Benehmen des einen Es-
kimos, der während der Katastrophe bei dem
Knietscher-Wilhelm einen BliemchenkafFee ge-
trunken hatte und bei seiner Rückkehr sein ganzes
Lokal demoliert und ausgestorben vorfand; kopf-
schüttelnd sammelte er das herumliegende Geld in

einen Masskrug und erfuhr erst das ganze Unglück,
als man ihm plötzlich die Wergkleider vom Leibe
riss. —

Die nächsten Tage gingen mit Erkundigungen
nach den Verunglückten hin und schon wurden
einige Verstorbene begraben. Neben dem allge-
meinen natürlichen Mitgefühl des Publikums, wur-
den doch auch Stimmen laut, die das ganze Unglück
eine Strafe Gottes über eine Gesellschaft Ungläu-
biger nannten. Namentlich die klerikalen Zeitungen
konnten davon nicht genug kriegen, allen voran
das bayrische „Vaterland" von Dr. Sigl.

Zwei Sachsen und ich sassen beim Mittag im
Affenkasten des Augustiner-Bräu und sprachen
immer von neuemüberdieunglücklicheKatastrophe,
als unsein uraltesModell, der auch Zeitungsverkäufer
war, das bayrische „Vaterland" unter die Nase hielt.

„Kaafens Vaterland", sagte er. Die fünf Pfen-
nige wurden dafür geopfert, auch nahm das Fak-
totum die Reste unserer Mahlzeit fort, um sie in
einem Winkel zu verzehren. Plötzlich sprang Moritz
auf mit dem Fluch „Herrgott Strambach!"

„Gestern Abend verschied wieder ein ange-
brannter Eskimo, wie wir hören aus Preussen —
wieder ein Saupreuss weniger auf der Welt —" so
las er in sächsischem Dialekt vor. Gleichmässig
entrüstet schmiedeten wir die verschiedensten Pläne;
endlich kamen wir überein, im Atelier des Moritz
weiter zu konferieren. Dieses Atelier hatte er mit
dem Mecklenburger Bang zusammen, Beide waren
Schüler von Gabriel Max.

Der Mecklenburger sah die ganze Affäre ruhiger
an. Das Einfachste wäre wohl, ihn ordentlich zu
verprügeln, und er selbst würde diese Aufgabe sehr
gern übernehmen, aber — fuhr er fort — „ich bin
nämlich furchtbar stark und wenn ich einmal in
Wut bin, kann ich den Kerl so verhauen, dass er
auf der Stelle tot hinfällt"; und das, meinte er,
möchte er doch lieber nicht riskieren. Er-
munternd war dieser Schluss seiner Rede für uns
Drei gar nicht, zumal es schien, als wenn für ihn die
Sache damit erledigt wäre. Also auf ins Cafe
Probst!

Das Cafe Probst war nur durch eine Kirche,
die in die Strassenfront der Nauhausergasse einge-
baut war, von der Akademie getrennt. Am Nach-
mittage, bis zum Schluss des Cafes um 7 Uhr abends,
war die Anzahl der Künstler in ihm eine weit
grössere, als in der Akademie, zumal auch die selb-
ständigen Maler hier regelmässig herkamen. Da sassen
an all den kleinen runden Marmortischen, die oft

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