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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 4
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Scheffler, Karl: Zeichnende Künste: Winterausstellung der Berliner Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0206

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kokette Schlagkräftigkeit seiner ziervollen Roman-
tik darin ist.

Im grossen Hauptsaal sind die Kartons aufge-
stellt. Hodler schildert auf zwei schmalen, hohen
Riesenleinwänden den Aufstieg und Absturz von
Bergsteigern. Es sind Dioramabilder und die Quan-
tität der Felsmasse, das
Dramatische der Vorgänge
wirken im bilderbuchhaft
interessanten Sinne stark
genug auf den Betrachter.
Aufgabe und Absicht aber
sind von vornherein un-
künstlerisch, ja antikünst-
lerisch gewesen;selbstHod-
lers Stilkraft hat das Pano-
ramamässige nicht über-
winden können. Allzu
anspruchsvoll wirkt auch
Waldschmidt mit seinen
grossen Kartons,wenn er es
auch sicher nicht anspruchs-
voll meint. Man denkt
vor seinen überlebens-
grossen Aktkonstruktio-
nen an seinen Lehrer
Schmidt-Reute, an Hodler
und auch an — Lothar von
Kunowski. Das michelan-
geleske Schema ist an ganz
wenigen Punkten erst mit
echtem Leben gefüllt. Dem
Talentund dem hohenErnst
dieser sicherlich merkwür-
digen Versuche gegenüber

bleibt es abzuwarten, ob wir es hier mit den Pro-
dukten einer stürmisch erregten Seele zu thun haben
oder nur mit einem im Grunde akademischen
Kartonpathos. Vor der Hand sind jedenfalls den
Arbeiten dieses zeichnenden Bildhauers die Werke
seines Sezessionskollegen Barlach vorzuziehen.

ERNST JOSEPHSON, EIN WEIB. ZEICHNUNG

Dessen Holzplastiken beweisen es in dieser Ausstel-
lung einmal mehr, dass das grotesk Monumen-
tale ihm unter dem Antrieb innerer Nötigung frei
entsteht. Dieser gestaltet darum, wo Jener noch
konstruiert. —

Man sieht aus diesen Andeutungen, wieviel des
Interessanten und Bedeu-
tenden in der Schwarz-
Weiss-Ausstellung dieses
Jahres ist. Hoffentlich wird
das vom Publikum mehr als
in früherenjahrenbegriffen.
Die jungen Künstler vor al-
lemsollten sich zu einer Aus-
stellung wie dieser drängen.
Sie müssten Tag für Tag
eine Stunde in den Räumen
des Sezessionshauses ver-
weilen, müssten die Indivi-
dualitäten still auf sich wir-
ken lassen, technische Wir-
kungen studieren und im-
mer wieder untersuchen
wie die Dinge gemacht sind
und warum sie so gemacht
sind. Von einem Raum
müssten sie in den andern
eilen, um leidenschaftlich
zu vergleichen und abzu-
wägen; und dann wieder
müssten sie stille und auf-
merksam warten, dass die
hundertfältig sich offen-
barende Kunst, die doch
immer dieselbe Kunst ist,
zu ihnen spricht. Eine Ausstellung wie diese kann
mehr sein als ein Jahr akademischer Lehre, mehr
als ein endlosesKunstkolleg, mehr als hundert Bücher
und Artikel über Kunst, wenn sie genutzt wird,
wie die Winterausstellungen der Sezession bisher
leider nicht genutzt worden sind.

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