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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 4
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Walser, Robert: Berlin und der Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0210

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bewusst erstarkt das Talent, wenn man drauflos
lebt. Man darf es nicht wie ein kränkliches Etwas
immer hüten und pflegen. Es vertrocknet bei zu
ängstlicher Pflege.

In seiner Schaffenshöhle darf der Künstlertyp
immerhin, rasend vor Begierde und Sorge zu Er-
gebnissen der Schönheit zu gelangen, wie ein Tiger
auf- und ablaufen. Von keinem Menschen be-
obachtet, verargt ihm das auch niemand. In Ge-
sellschaft soll er ein möglichst flotter, netter, schar-
manter Mensch sein, nicht zu bedeutend, aber auch
nicht zu unbedeutend. Eins darf er nie ausser acht
lassen: er hat geradezu die Pflicht, reichen schönen
Frauen ein wenig den Hof zu machen.

Sind ungefähr fünf oder sechs Jahre verflossen,
so fühlt sich der Künstler, und mag er auch von
Bauern abstammen, in der Grossstadt wie zu Hause.
Seine Eltern scheinen hier gelebt und ihn zur Welt
gebracht zu haben. Verpflichtet, verschuldet und
verschwistert fühlt er sich dem sonderbaren Ge-
rassel, Geräusche und Getöse. Das Hasten und
Wehen empfindet er wie eine neblige, liebe Mutter-
erscheinung. Er denkt nicht mehr daran, je wieder
abzureisen. Mag es ihm gut oder schlecht gehen,
mag er verkommen oder emporkommen, gleich-
viel, es „hat" ihn, er ist für immer bezaubert, es
ist ihm unmöglich, dieser grossartigen Ruhelosig-
keit Adieu zu sagen.

ARNOLD WALDSCIIMIDT, PROMETHEUS. TEMPERAENTWURF

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