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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 6
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Elias, Julius: Victor Hugo, der Zeichner
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0329

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zweibändigen Reisewerk verdichtet (1842) und
schliesslich zu einem Drama von germanischem
Akzent, „Die Burggrafen", führt. Zunächst übt
Victor Hugo auch hier die genaue Sammelthätig-
keit des Antiquars; er zeichnet auf: eine Reihe
vorspringender oder in den Berg zurückgelehnter
Burgtypen oder Klischees von bürgerlichen Renais-
sance- und Barockbauten, die lebendigen Linien
der Flusswindungen, ein Bric-ä-brac von Städte-
panoramen, zierliche Kirchtürmchen, kraft- und
saftvolle Kathedralgedanken, Warttürme auf Insel-
chen, das Zackenwerk von Schlosszinnen, Festungs-
mauern, Schiessscharten, Turmspitzengruppen, Ba-
stionen, ein Mosaik von Dächern-------und nun er-
scheint in grossen Landschaften: „reffrayanteämedes
choses", der rauhe Geist, der in den Trümmer-
haufen einer grossen Vergangenheit einst umging,
das pathetische Ringen um Götter und Gott, der
Märchenglaube, von einem Nachtalb in unsere
Träume gesendet — eine ganze verdüsternde, be-
klemmende gotische Welt. Und abermals das
Kraftspiel der Elemente, der Kontrast von dichten,
ausladenden Schatten und gleichsam astralischen
Lichtflächen. Das Grösste aber ist ein ekstatisches
Landschaftsstück: „DieKreuzburg",ein verhallender
Geistergesang über den Wassern des Rheins: um die
Mauern einer festen Burg mit Zinnen und Zacken,
die wie Finger in den Himmel deuten, spült die Flut;
herzeinschnürende Stille; eine Helle wie aus dem
Grabe, und ganz vorn,
auf abbröckelndem
Mauerstumpf, hell in
Bergesschatten schnei-
dend, ein Kreuz. Es ist,
als halte der Schöpfer
dieses Werks beängsti-
gende , hoffnungslose
Zwiesprache mit einem
höheren Wesen, das ihm
entschwand.

Der natürliche Sym-
bolismus vertieft sich
mit fortschreitendem
Leben in den Malereien.
Wie eine tragische Paro-
die auf göttliches Er-
lösertum mutet das Blatt
des „Gehenkten" an.
„Ecce" schrieb Victor
Hugo unter denim Win-
de baumelnden, von

Nachtwolken umflatternden, vom fahlen Mond ge
streiften Galgenspuk. Es ist der Verzweiflungsschrei
eines in seinem Himmels- und Menschenglauben
Gekränkten; ein erbitterter Protest. 1859 war John
Brown, ein Vorkämpfer der Sklavenbefreiung, von
den virginischen Machthabern zum Tod durch den
Strang verurteilt worden, weil er die ultima ratio
einer Negererhebung gewagt hatte. Das Bild —
übrigens das Meisterstück einer Aktzeichnung
war Victor Hugos Empörungsmal und Rache.

Und immer düsterer werden seine Stimmungen.
Es sind die Tage des Exils. Er ist auf ein Meeres-
eiland verschlagen. Die weite, von Orkanen auf-
gejagte, von schweren Wolken beunruhigte See wird
sein Freund und Genosse. Die frenetische Erregt-
heit entspricht dem Sturm des Inneren. Er zeichnet in
realistisch-mystischer Elementarschrift die rebellische
Kraft des grossen Wassers und seine in geheimnis-
volles Dunkel gehüllte Fernen —■ Wellenbrausen,
Ungewitter und den Kampf der Menschen mit dem
unbezwinglichen Riesen. Doch im ozeanischen Ge-
tümmel sieht Hugos konstruktive Einbildungskraft
Etwas, das ebenso unbezwinglich erscheint— den eis-
grauen Leuchtturm,auf dem die primitiven Feuer der
Vorzeit lohen. Formeln vergangener Architektur-
schönheiten, die seine Anschauung aufgesammelt
hatte, erproben wieder ihre alte Suggestionskraft.
Im Leben mit dem Meere entdeckte Vic-
tor Hugo das Symbol des eigenen Lebens. Der

Verfemte sieht sein
Schicksal. „Ma desti-
nce". Ein Schiff, das
mit den Wellen ringt,
hart mitgenommen,
doch von dem Zorn
des Meeresgotts noch
nicht völlig entmutigt.
Es wird dahingetrieben
über den Wogenschaum.
Von dem Eigenwillen,
der dem Fahrzeuge inne-
wohnte, zeugt nur noch
„ein wenig Rauch, den
man den Ruhm nennt,
den der Wind entführt
und der des Fahrzeugs
Kraft ist." Das ist die
Deutung, die Victor
Hugo selbst der sinn-
bildlichen Vignette ge-
geben hat.

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