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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 6
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Schaeffer, Emil: Anton Graff
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0331

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fürsten aus dem Hause Wettin bis herab oder herauf zu
Moses Mendelssohn Alle und Alles konterfeite, was in
Sachsen oder Berlin Rang und Ruhm besass, so bedeutet
sein Werk für uns Nachgeborene ein unschätzbares
Stück gemalter Kultur- und Literaturgeschichte. Ver-
sagt unser Interesse einmal dem Künstler die Gefolg-
schaft, so bleibt es am Modellhaften und darum lang-
weilt man sich bei Schulte keinen Augenblick.

Das Zeitalter Graffs war die Epoche des aufstreben-
den Bürgertums, dem damals wohl mehr
Kulturals heute innewohnte. Trotz
dem hielten sich die deutschen
Fürsten jener Tage für Statt-
halter französischer Zivili
sation im Barbarenlande
und Hessen sich auch
gern als solche von
Graff darstellen, des-
sen grosse Repräsen-
tationsgemälde die
von Hyacinth Ri-
gaud geschaffenen
Vorbilder unmit-
telbar kopieren.
Da ist zum Beispiel
das Porträt des
Prinzen Heinrich
von Preussen: pa-
thetisch, jeder Zoll
ein Theaterkönig,
reckt sich, die
schmächtige Ge-
stalt in einen silber-
glänzenden dunklen
Harnisch gehüllt,
der Bruder des gros
sen Friedrich empor;
ein purpurroter mit
weissem Hermelin gefüt-
terterSammetmantel „wallt'
in „majestätischen" Falten von
seinen Schultern, die auffallend
weisse und kleine Linke — eine echte
van Dyck-Hand — ruht gelassen auf
dem Helm, indes die Rechte mit
einer imperatorischen Gebärde, der
leider die schlecht gezeichnete Verkürzung alle Grösse
nimmt, den Feldherrnstab in die stahlumschiente Hüfte
stemmt. Madame Vigee-Lebrun hat in ihren „Souvenirs"
den Sieger von Freiberg geschildert: ,,Le prince" — heisst
es dort — „etait petit, mince, et sa taille, quoiqu'il se
tint fort droit, n'avait aucune noblesse . . . Quant ä la
laideur de son visage, eile etait au premier abord tout
ä fait repoussant . . ." Vergleicht man diese Beschrei-
bung mit dem Bildnis Graffs, so erhellt, dass der „freie"
Schweizer die Aufgaben eines Hofmalers klug erfasst

ANTON GRAKF, FRAU AUGUSTE GRAFF
MIT IHRER TOCHTER

hat; er versteifte sich nicht darauf, ein denkbar ähn-
liches Porträt zu schaffen oder an hochgeborenen Mo-
dellen Psychologie zu treiben, sondern legte, wo ihm
dies angebracht schien, den Hauptakzent auf eine sorg-
same Durchführung des Beiwerks. Gewiss nicht ungern.
Denn alles Stoffliche, oder gar Sammet und Pelzwerk
konnte er mit einer an Metsu oder Netscher erinnern-
den Meisterschaft wiedergeben und war Vollblut-Maler
genug, sich am Schimmern einer Rüstung, am Leuchten
silberner Schärpen und am Funkeln
des Degenknaufes ehrlich zu freuen.
Kamen ihm jedoch Männer vor
die Palette, an denen ihr Be-
stes nicht der Name, son-
dern ihr Kopf war, dann
malte er, auf die blen-
denden Trucs verzich-
tend, vor einem ein-
farbig neutralen
Hintergrunde, mei-
stens sogar mit Hin-
weglassung der
Hände, Brustbil-
der, in denen nicht
der Rang, wohl
aber die mensch-
liche Grösse seiner
Modelle fast im-
mer überzeugend
und bisweilen so-
gar, — man denke
an Hagedorn oder
Moses Mendels-
sohn — ! unvergess-
lich dargestellt ist.
Freilich, kein Porträ-
tist kann in ein Bildnis
mehr Geistigkeit legen
als er selber besitzt, und
darum enttäuschen gerade
jene Gemälde, die man in
erwartungsfroher Spannung zu-
erst sucht. Lessing, „der bekannte
Dichter", wie's im Katalog heisst,
scheint in den Augen Graffs keine
stärkere Persönlichkeit als etwa Geliert,
Herder vom selben geistigen Wuchs wie Garve gewesen
zu sein. Versagten Graffs gestaltende Fähigkeiten vor
dem Genie, den Talenten verschiedenster Art wurden sie
stets gerecht. Wie lebendig in seiner breiten Behag-
lichkeit ist doch der alte Chodowiecki erfasst, wie pracht-
voll Bodmer, dessen kahler Schädel mit gelbem Perga-
ment überzogen deucht, wie packend wirkt der Kontrast
zwischen Spalding, dem protestantischen Abbe des
Rokoko und dem Superintendenten Stemler mit dem
Hochmut des Rechtgläubigen im dürren Theo-

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