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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 9
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Chronik / Neue Bücher
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0487

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CHRONIK

ie Gravüre, die diesem Heft beigegeben
ist, zeigt eines der letzten Werke des
Berliner Bildhauers August Gaul. Es ist
diese Bronze ein Denkmal für den Gründer
des Zoologischen Gartens in Posen. Der
Löwe steht auf einem hohen, ziemlich
schmalen, mit einem Relief-Porträt geschmückten Sockel,
und das Ganze erinnert, von ferne und in einer gewissen
Weise an den berühmten Löwen, den Heinrich der Löwe
vor neunhundert Jahren auf dem Burgplatz in Braun-
schweig errichten Hess. Doch ist Gauls Werk in keiner
Weise eine stilistische Anlehnung; die Stilstrenge hat sich
in Gauls herrlicher Plastik vielmehr wie von selbst aus
einem genialen Reduktionsprozess anschaulich erfasster
Natureindrücke und eines unendlichen Naturstudiums
ergeben. Es ist sehr bemerkenswert, dass man in Posen
so frei und vernünftig ist, dieses prachtvolle Löwen-
denkmal als Gedenkstein für einen verdienstvollen Mit-
bürger gelten zu lassen, wo man sich in der Hauptstadt
über Klimschens Virchowdenkmal, das Virchows Porträt
ebenfalls nur auf dem Sockel vorgesehen hatte, jahrelang
aufgeregt und den Künstler mit Änderungswünschen
malträtiert hat. Und es ist noch bemerkenswerter, dass
Gauls vorbildliches und in seiner Art einziges Künstler-

tum in Posen, in der Provinz — für Königsberg z. B.
arbeitet der Künstler an einer Büffelgruppe — besser
erkannt und thatkräftiger gewürdigt wird als in Berlin,
wo der Zoologische Garten im Laufe der Zeit zu einem
Stadtmuseum schlechter Architektur und lächerlicher
Skulptur gemacht worden ist. Gaul hat sich mit diesem
letzten Werk mehr noch als mit früheren, an die Spitze
der deutschen Bildhauer, an die Spitze aller heute leben-
den Tierplastiker überhaupt gestellt. Er hat sich wieder
als ein Klassiker des Tierkörpers erwiesen. Etwas wie
ein brennender Wille geht von dieser in ihrer schlanken
Kraft rätselhaft spähenden Edelbestie aus, in der das
Leben kampfbereit dasteht, ruhig, weil er seiner Kraft
gewiss ist und monumental, weil in dieser achilleischen
Ruhe das Elementare leise doch nur schlummert. Von
dem in majestätischer Trauer geheimnisvoll blickenden
Auge, über den mächtigen Nacken und die schmalen
Flanken hinweg bis hinab zu den Pranken wallt von
Muskel zu Muskel, von Form zu Form die reinste
plastische Schönheit; es erhebt sich dieses Bildwerk zu
einem Gleichnis des zwischen Angriff und Abwehr ge-
stellten Lebens überhaupt, weil es innerhalb der Grenzen
seiner Gattung ein Höchstes ist.

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