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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 11
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Gehri, Hermann: No-Masken
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0562

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ohne Musik und Chor eingeschoben, so dass der
Zuschauer Frische und Spannkraft behält. Gespielt
wird bei Tageslicht. Die Bühne ist nach drei Seiten
offen. Nur die Rückseite ist durch eine Wand ab-
geschlossen. Bühne und Hintergrund bleiben immer
dieselben, es giebt daher keine Kulissen. Manchmal
wird ein Gebäude, Tempelgerät, ein im Spiel nötiger
Gegenstand auf einfacheWeise durch ein entsprechen-
des, aufgestelltes, leichtes Gestell angedeutet oder
der Gegenstand wird selbst auf die Bühne gestellt.
Die Bühne ist durch ein Dach gegen Regengüsse
geschützt, ebenso der Zuschauerraum. Zwischen
beiden Bedachungen aber schaut der offene Himmel
herein.

Im Gegensatz zum antiken Theater sind die Ab-
messungen der No-Bühne klein. Dies hat seine
Begründung in der ganzen japanischen Architektur.
Da in diesem Erdbebenlande das Baumaterial Holz
ist, so war es naturgemäss nicht möglich, solche
weiten und hohen Räume wie in unserer Steinarchi-
tektur zu bauen. Auch die grössten japanischen
Tempelräume haben daher einen mehr saalartigen,
niedrigen Charakter. Für die eigenartige Entwick-
lung der japanischen Musik, Malerei und Plastik
waren diese kleineren Raumbedingungen mit von
entscheidender Bedeutung. Um solche Räume zu
füllen, genügten schon einfache musikalische
Mittel, während die grossen Räume unserer Stein-
architektur Orgel, Orchester und Massenchöre nötig
machten. In japanischen Räumen sind Malerei und
Plastik viel näher am Beschauer und neigen daher
unwillkürlich, weil jede Einzelheit gesehen wird,
mehr zum beweglichen Ausdruck als zur architekto-
nischen Form. In der Regel sind Reisende von
japanischer Musik durchaus enttäuscht, weil sie
eben erwarten, es müsste so etwas ähnliches sein
wie zu Haus. Die Schwierigkeit wird noch erhöht
dadurch, dass ausser andersartigen Instrumenten
auch die harmonischen Gesetze andere sind als die
für unsere Musik aufgestellten. Wenn man unbe-
fangen einem guten Flötenspieler oder einem Vor-
trag auf dem Koto-Saiteninstrument zuhört, kann
man aber sehr wohl Bau und musikalische Schön-
heit erkennen.

Die No-Bühne ist also ein massig grosses, etwa
quadratisches Podium von ungefähr acht Meter
Breite. Der Zuschauerraum fasst wenige Plünderte.
Von links her führt ein schmaler Gang zur Bühne,
mit drei grünen Nadelbäumchen geschmückt. Auf
diesem kommen und gehen in feierlichem Schritt
die Handelnden. Vor der hölzernen Hinterwand

der Bühne ist der Platz für die Musikanten, zwei
Sitzende mit Handpauken und ein kauernder Flöten-
spieler. Neben ihnen am rechten Rand der Bühne
hat sich in zwei Reihen der Chor niedergelassen,
etwa sechs bis acht Personen.

Nachdem man draussen am Eingang wie üblich
seine europäischen Schuhe ausgezogen hat, geht es
über schmale Treppen auf eine Art Galerie, von
der man den kleinen Zuschauerraum nebst der
Bühne bequem überschauen kann. Da den ganzen
Tag über gespielt wird, verschiedene Stücke nach-
einander, so geht der Fremde vormittags oder nach-
mittags nach dem Essen hin, während der Japaner
seinen Thee- und Essbedarf samt dem Rauchzeug
mitbringt und den Tag über bleiben kann.

Der erste Haupteindruck ist die Bühne mit
ihrem spiegelblanken dunkelgrauen Holzboden, in
dem sich dämmerig darauf stehende und sitzende
Figuren mit monumentalen, farbenglühenden Ge-
wändern spiegeln; rechts wie ein einziger bildhaue-
rischer Block am Boden kauernd unbeweglich und
ruhig der Chor in zwei Reihen hintereinander.
Eine wunderbar tief braune Holzwand, auf die breit
und mächtig eine Kiefer mit freundlichem Grün
gemalt ist. Klar davon heben sich die Silhouetten
der drei Musikanten ab.

Gesichtsmasken tragen nur die Darsteller selbst;
diese gehören sämtlich dem männlichen Geschlecht
an. Ganz eigentümlich und überraschend ist der
erste Eindruck, den die Masken machen im Verein
mit den langsamen, feierlich gebundenen Bewe-
gungen und den überaus farbenprächtigen, gross-
flächigen Gewändern. Dazu der tiefe, düstere Chor-
gesang, der an einzelnen Stellen zu wahrhaft tragi-
scher Grösse anschwillt, wie das Brausen eines
Cello-Quartetts; zwischenhinein die scharfen, rhyth-
mischen Schläge auf die kleinen Handpauken und
dazwischen schwimmend manchmal, mit ruhiger
Schönheit, die einzelne Flötenstimme.

Man hat hier förmlich noch die grossen, ein-
fachen Grundelemente der Schauspielkunst leibhaf-
tig vor Augen. Leidenschaft, Wut, düsterste Ver-
zweiflung, heitere Laune und unheimliches Grauen,
sind wie im Keime deutlich erkennbar, aber noch
gebändigt von unglaublicher Beherrschung und
Beschränkung der Ausdrucksmittel. Eine Geberde,
ein Zittern der Gestalt wirken in diesem Zusammen-
hang eindringlicher und tiefer als ganze Gefühls-
ausbrüche der heutigen, naturalistischen Schau-
spielkunst.

Dieses feierliche Spiel hat nun in der Maske

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