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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 12
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Gauguin, Paul: Vincent van Gogh
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0592

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VINCENT VAN GOGH, KORNFELDER. ZEICHNUNG

war: „Wie glücklich Sie sind, in Paris leben zu
können, da giebt es doch noch Autoritäten. Sie
sollten einen Spezialisten konsultieren, um Sie vom
Wahnsinn zu heilen." Und haben wir nicht alle
wirklich ein Körnchen Wahnsinn? Wahrscheinlich
war der Rat gut, darum befolgte ich ihn nicht; am
Ende nur aus Widerspruchsgeist? Die Leser des
Mercure konnten einem Briefe Vincents, der vor
einigen Jahren veröffentlicht wurde, entnehmen, mit
welcher Wärme er mich einlud, nach Arles zu
kommen, um ein Atelier, nach seiner Idee, zu
gründen, dessen Leiter ich sein sollte.

Ich arbeitete zu jener Zeit in Pont-Aven in der
Bretagne, und, vielleicht weil meine angefangenen
Studien mich an den Ort fesselten, vielleicht weil
ein dunkler Instinkt mich vor irgend etwas Anor-
malem warnte — jedenfalls habe ich mich lange
gewehrt, bis zu dem Tage, wo ich, durch die
warmen Freundschaftsbeweise Vincents entwaffnet,
mich auf den Weg machte.

Ich kam spät in der Nacht in Arles an und er-

BERLIN, NATIONALGALERIE

wartete die Morgendämmerung in einem Nacht-
kaffee. Der Wirt sah mich einen Moment an und
rief dann: „Sie sind ja der Kamerad: ich er-
kenne Sie."

Ein Selbstporträt, das ich an Vincent geschickt,
hatte genügt, um den Ausruf des Besitzers zu er-
klären. Vincent hatte ihm, als er ihm mein Porträt
zeigte, gesagt, dass es einen Kameraden darstelle, der
bald kommen würde. Nicht zu früh, noch zu spät
ging ich zu Vincent und weckte ihn. Der erste Tag
verging mit meiner Einrichtung, endlosen Ge-
sprächen und einem Spaziergang, da mich Vincent
mit der Schönheit Arles und der Ariesierinnen be-
kannt machen wollte; vorläufig konnte ich mich
aber zu keinem Enthusiasmus aufschwingen.

Am nächsten Morgen in der Frühe waren wir
schon an der Arbeit; er fortfahrend, ich neu an-
fangend. Nun muss ich sagen, dass ich niemals jene
Leichtigkeit im künstlerischen Schaffen hatte, die
Anderen ganz mühelos zu Gebote steht; die sind
kaum aus dem Zug ausgestiegen, da nehmen sie schon
 
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