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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 5 (September 1924)
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Kolb, Gustav: Der Unterricht in der Bildsprache, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0116

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nichl, nach dcr Nalur flezcichncl hcilic, warcn bci ihr
bcsonderS giinsligc Vorbcdingungcn fiir dcn Ersolg
dcs Unlerrichts gcgcbcn, da das Vorslellungszcichncn
erfahrungsgemüfi durch jcde Erinnerung dcs Zeich.
nens nach dcr Natur geslörl und mcist vollstctndig
in dcr Entwickclung unlerbrochcn wird."

Diese Darlegungcn enlhalten zwei hochbedeutsame
Fcststellungcn:' Lrslens. Abzeichnen im Sinne dcS
pcinlichen Nachbildcns dcr Nakur, also Kopieren der
Erschcinuiräcn eines GegcnstandeS ist der Tod dcr
Vorslellungsbildung und damil allcr künstlcrischcn
Darslellung; ich füge bei. auck dcr sachfich logischen
Darstcllung.

Zwcitens: Die FLHigkcit dcs VorstellungSzcich-
nens wird durch jede Einmcngung des Naiurzeich-
nens geslört und meisl vollständig in Lcr EnlwiLrc-
lung unlerbrochen. Daß die l. Feststcllung ganz
aNgemcin auch fiir unsercn Zcichenunterrich! zutrifft,
bedarf nach unseren seilherigcn Darlegungcn keincs
weiteren Bcwcises. Sie ist, wic wir gesehcn haben,
eine längst - anerkannke Talsache un-d wird durch
die käglichen Erfahrungen des Untcrrichls bestätigt.

Die nolwendige Folgerung lst, daß das heute noch
vielfach übliche kopierende „Äbzeichnen" ver-
lossen wird und daß an seine Sielle beim Zeichnen
nach dcr Wirklichkeit vorstellungsmäßige Auffassung
und Darstellung des Lharakkcrbildes dcr Gegen-
slände mit den sparsamstcn Mikteln tritt. Diese
Fordcrung isi w!e wir sahen so alk wie die Neform-
bewegung >des Zeichenunterrichts. Leidcr wurde sie
in der Praxis immer wiedcr bcgraben.

Völlig neuirklz wird minchem die zweitc Fest-
stellung von Cornelius vorkommcn. C. hat sie in
seinem Buch „Kunsltpädagogik" eingehend begrllndct.
Wir müssen ouf seine dortigen Ausführungcn ver-
-weisen. Der Name Hans Corne-lius bür-gt schon da.
für, baß hier nicht tzeurteilt wird ohne triftigc
Grün-d-e, hinker denen mcht nur tiesere Erkenntnissc
des Wesens der künsllerischen Ecskaltuntz, sondern
auch tangjährigc Unterrichtscrsahruntzen stehen.

Wenn nun diesc 2. Feststclluntz auch für den allge-
mein-Wdenden Aeichenuntcrricht zulreffend wärc, so
müßte solgerichtitz bas „Abzeichnen" übethaupt nuf-
gegeLen werden, >dam!t die ungehinderte Entwickc-
luntz -der Borftelluntzskraft tzewährleistet wird. Da-
mit tst aber nicht gefagk, dah die Natur als Anre-
gerin oddr als Vorbi-ld für bas Kunstschafsen ausgc-
schaltet ist. Eine solche Auffassung wäre c!n vcr-
hängnisvoller strrium. An dic Stclle des Abzeiäzncns
müßle nach vorauSgegangener Beobachtung vor-
stelluntzsbildcndes Gcdächkmszeichnen trcken

Mir sehen, hicr steht eln -überauS ernstes Problem
vor uns, das ich als eines -der schwierigsten bczcichncn
möchte, die seik Beginn ber Neform an den Kunst-
und Zeichcnunteräicht hcrantraten. Man könnke
nun zunächst einwenden, dah sich -die Forderungcn
von Lornelius auf den akademischen Kunstunkcrricht
beziehen und für unsere allgemeinbi-kdenden Schulcn
nicht maßgebend sein kön-n-en.

Alleln seine Kritik betrifst auch unferen Schul-
zcichenuntcrrlcht und fie ist so schwc.rwiegcn'd, daß
kei-n Mann, der an verantwortlicher Stelle steht —
und <das triffi für uns alle zu — darüber hin-weg-
s-ehen kann.

Für m!ch pcrsön-li-ch kommt noch !n Betracht, daß
mich eigene Erfahrungen veranlassen, den Wahr-

»chmungen von Cornclius ernste Bedcutung beizu-
messen. lZch befchränke mcine Feststellungen zunächst
aus Schüler bis zum Neifealter.) Schon elwa kb
Zahre ist cs hcr, daß ich mich mit -diesem Problcni
beschäskige. Mcine vffentlichen Ainweise in dcr
Fachprejje stammen aus ein-er Zeit, in der das Werk

Kunstpcidagogik" von L. noch nichk erschicnen war.
Dcn mündlichen und schristlichen Aeuherun-gen her-
vorragender Fachmänner entnehme ich, daß zurzcit
an manchcn Orten unseres engercn ünd wcileren
BaterlandeS an dem Problem gearbeitet wird. Das
bestärkt mich in der Uebcrzeugung, -dah das Problem,
wie man sagl, in der Luft liegt.

Diese Frage kann natürlich nicht durch thcoretischc
Erörtcrungen beantworket werden. Es kann sich
vorerst nur darum handeln, das Problem auf breite-
stcr Grunidlagc durch vorsichtige praktische Arbcii zu
kiären, Erfahrungcn zu sammeln, Ilcberzeugungen
zu schafscn.

Ohne Zwcisc! ist es eine unabweisbare Pflicht
des Lehrcrstandcs, an -der Klärung des ProblemS,
nachdem es mil dicsem Ernst aufgeworsen -ist, durch
prakkische Arbeii mitzuwirken. Zu-nä-chst muh' jedem
befähigken Lehrer, der an idiefer Kläruirg -mitwirken
witl, Fr-cihei! zu eigenen Bcrsuchen -gegeben wer-den.
Es empsiehlt sich, Arbciksgemeinschasten zu fchaffen,
-dic d!e Erfahrungen sammelt, sichtei, weiterleiket und
Lie Ergebnisse formuliert. Nach mehrjähri-ger gründ-
licher Arbeit könnte man festen Grund und Boden
gewonnen haben zur Beurteilung der Frage nach
der Nichkung, ob die Forderung von Cornelius, die
doch zun-ächst den höheren Kunfiunlerp-icht betrifft,
auch für den allgemeinbildenden Zeichenunterricht
Gelkung haben kann.

LorneliuS, mit dem ich die Frage schristlich erör-
kerte, bejahk dies. stch will hier eini-ge Ausführun.
gen aus seinen Driefen vortragen zum Berständnis
dessen, wos er anstrebt.

Zunächst bat ich ihn u-m Mitteilung, was «r zu
antworien habe auf den naheliegenden Einwand, daß
unsere grohen Künstler z. B. Li-o-nardo, Michelangelo,
Dürer, Grünewald nachweisbar doch auch nach dcr
Natur gezeichnei häkten. Er ankworteke unker dem
7. Sepk. 1821: „Ihre Frage ist fehr einsach zu be-
ankworken. Die -großen Meifter haben immer —
wie es wahre Künstler auch heute noch tun — wo sie
direkt n-ach der Natur studierken, uuwillkürlich uud
instinkkiv vorstellungsmäßig -gezeichnek. Man sehe
nur etwa Skudien von Lionardo o-der Dürer^) an! Wer
da nichk siehk, welcher gewalkige Unterfchied zwischen
Zeichnung und Naturcinbruck besteht — ein stnter-
schied, der doch gewih nicht daher kommt, baß diesc
Männer n-ichk hätten richiig abzeichnen können —
-dem ist nicht zu hetfen. Dem Künstler dienk bie

st) Man vcrgleichc Wölssliu über Dürcr: „Die Dürer'schc
Zcichnung will nicht nach naturalisttschen Grundsatze» benrtcilt
wcrdcn. Man kann ihr nie gcrecht wcrden, wenn man nicht dic
prinzipiell andcrc Absicht verstcht: datz ts Lberall auf eincn dc-
korativ sclbständigcn LinicnorganiLmns abgcschen ist und datz
die Zcichnung bc'wutzt, bald mehr bald wcnigcr, sich von dcr na»
türlichen Lrscheinnng trcnnt.

Don dcm viclbewundertcn sogen. „naturtrcuen" »Rascn-
stück mit Akleic" urtcilt W »Das Unerschöpfliche ist hicr zn
Wenigcm, Fatzbarcm vercinsacht. Nicht das Schanspiel eincr zn-
fälljgen Erschcinnng, sondern alles ouf die typischc Form ge-
jehcn". (Wölsslin, Älbrccht Dürer, Handzeichnungcn (R. Picpcr
K Cv, Mnnchcn 1014).
 
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