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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

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Koopmann, W.: Laokoon
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https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0055

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.
Ankündigungsblatt des Verbandes der deutschen Kunstgewerbevereine.

HEEAUSGEBEE:
UND

CARL VON LUTZOW

WIEN
Heugasse 58.

ARTHUR PABST

KÖLN
Kaiser-Wilhelmsring 24.

Verlag von E. A. SEEMANN in LEIPZIG, Gartenstr. 15. Berlin: W. H. KÜHL, Jägerstr. 73.

Neue Folge. I. Jahrgang.

1889/90.

Nr. 7. 28. November.

Die Kunstclironik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den
Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeit-
schrift für bildende Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. — Inserate, a 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Ver-
lagshaudlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

LAOKOON.

Es liegt in der Natur eines grossen Kunst-
werkes begründet, dass es immer aufs neue zum
Nachdenken herausfordert.

Die Erläuterung der Laokoongruppe ist zuletzt
durch Justi vervollständigt, der, wie alle übrigen
Beobachter, von der Ansicht ausgeht, dass in der
Hauptfigur dem physischen Schmerz ein wenn auch
noch so verklärter Ausdruck gegeben sei. Nur ein
körperliches Leiden bedinge die gewaltsame An-
spannung aller Muskeln, die Künstler des Laokoon
hätten nicht die Tragik eines Seelenleidens darstellen
wollen. Demnach verklagt das zurückgeworfene Haupt
Laokoons die Ungerechtigkeit der Götter, ist Laokoon
die erhabenste Darstellung des ungerecht leidenden
Menschen.

Visconti hat den Einwand erhoben, dass eine so
unmoralische Auffassung der Gottheit, welche ohne
Grund drei Menschenleben in grausamer Weise hin-
rafft, jede Religion untergraben rnüsste. Justi be-
gegnet diesem Einwand, indem er auf das Wesen
des Polytheismus hinweist; die Götter Griechenlands
dachten menschlich, sie hatten menschliche Schwä-
chen, sie befehdeten sich untereinander und ver-
nichteten den Gerechten, wenn es ihren Zwecken diente.

Das Bedenken Visconti's wird vollends erledigt,
wenn Justi daran erinnert, dass Laokoon nach der
Überlieferung zur Strafe für einen Frevel mit ge-
waltsamem Tode bestraft wurde, welchen er im
Heiligtum Apollons begangen hatte, dessen Priester
er war.

Das Mitleiderregende im Gesichtsausdruck des
Laokoon, welches verschiedene Beobachter empfun-
den haben, wird von Justi anerkannt und auf den
Umstand zurückgeführt, dass der Vater seine Kinder
gleichzeitig mit ihm sterben sieht.

Das Hauptmotiv bleibt immer, dass „die un-
gedämpfte Intensität des physischen Schmerzes mit
dem möglichsten Adel der Erscheinung des Schmerzes"
dargestellt ist.

Der Einwand Visconti's und die Widerlegung
desselben durch Justi sind sicherlich vollkommen
zutreffend. Jedoch könnte aus der Widerlegung ein
weiteres Motiv entwickelt werden, welches der Ge-
stalt des Laokoon eine tiefere Bedeutung verleihen,
welches den Schmerz Laokoons für unser Empfinden
in erhöhtem Masse sympathisch machen würde.

Ist es eines Helden würdig, infolge körperlicher
Schmerzen in einen Paroxysmus von Schmerzens-
äusserungen zu verfallen?

Diese alte Frage ist schon beantwortet. Die
Griechen Homers und des alten Griechenlands über-
haupt waren nur in ihren Thaten Helden, in ihren
Empfindungen waren sie Menschen und gaben sich
Schmerzensäusserungen rückhaltlos hin.

Es ist aber auch festgestellt, dass der Dichter
und der bildende Künstler in den darstellenden Mitteln
sehr verschieden voneinander sind; die Frage bleibt
offen, ob heftigste Äusserungen körperlicher Schmer-
zen an einem Mann in heroischer Bildung der äusseren
Erscheinung einen geeigneten, Sympathie erwecken-
den Vorwurf für den Bildhauer abgeben können«

Diese Frage ist um so mehr berechtigt, wenn
die Ursache des Schmerzes, wie beim Laokoon, kaum
 
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