DOI Heft:
Nr. 2
DOI Artikel:Hübner, Friedrich Markus: Belgischer Brief
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.37098#0039
KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTIONi HANS TIETZB
NR. 2 7. OKTOBER 1921
BELGISCHER BRIEF
VON FRIEDRICH MARKUS HUEBNER
IM Kunltleben Belgiens find es während der letzten fechs Monate die Ver-
kaufe bedeutfamer und weit bekannter Privatfammlungen gewefen, die
vor allem die Aufmerkfamkeit von Künltlern und Kennern auf fich vereinten,
wenn fchon die Neuen Reichen mit ihren unbegrenzten Kaufmöglichkeiten
und ihrem ungeltümen Verlangen nach Kunftbefitz den eigentlich praktifchen
Ausfchlag gaben,- die Rückficht auf diefe Art von Liebhabern und die fo
entltandene »Gunlt« der Zeitumltände, nicht perfönliche Notlage der Sammler,
hat zweifellos in den meilten Fällen den Antrieb zur Veräußerung der Ge-
mälde gebildet. Eine Ausnahme bildet höchltens der greife Edmond Picard,
der in guten Tagen fein Heim mit einer Menge belgifcher und franzöfifcher
Impreffionilten ausgeltattet hatte und der nun die Bilder, gewilfermaßen als
fein eigener Befitztumsauflöfer und Teltamentsvollltrecker, wieder abftieß.
Gleichfalls auf Meilter des 19. Jahrhunderts befchränkte fich der Sammler
Lequime,- die Malfe kam in einer Anzahl von 64 Stück am 22. April bei
Giroux unter den Hammer. Den Mittelpunkt bildet das berühmte Bild
»Die Strickerin« von Alfred Stevens, das, weit weniger anekdotifch als fonltige
Genrefzenen diefes Malers, dellen Können von der beiten Seite zeigt, Baude-
laire empfand die Arbeiten von Alfred Stevens als typifch flämifche,- die
Nachwelt hat feiner zu unterfcheiden gelernt und entdeckte hier alle Halbheiten
und Verfchwommenheitsbildungen nicht einer reinraffigen, fondern einer
mifchlinghaften Kultur. Auch die fonltigen Bilder der Sammlung Lequime,
Bilder von Henri de Braekeleer, Jofeph Stevens, Eduard Agneefens, Jan
Stobbaerts, Charles de Groux, A. S. Heymans gehören in den nämlichen
Kreis des Könnens, wo eine alte Überlieferung plötzlich auflebte, jedoch
kein genügend echtes und ftarkes Menlchentum vorfand, um fich an diefes
endgültig feftbinden zu können. Als fcharfe und fofort kenntliche Gegenfätze
gaben fich, durch ihre Reinblütigkeit gegenüber diefen Werken, die heroifche
»Landlchaft mit Figuren« von Monticelli und eine idyllildie Landlchaft von
Corot zu erkennen. Die Auktion der Sammlung Charles-Leon Cardon,
die vom 27. — 30. Juni im Saal »Sainte Gudule« ftattfand, umfaßte 375
Nummern: Meilterwerke der flämilchen, holländilchen, deutlchen, franzöfilchen,
englifchen und italienifchen Kunlt vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, fowie
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTIONi HANS TIETZB
NR. 2 7. OKTOBER 1921
BELGISCHER BRIEF
VON FRIEDRICH MARKUS HUEBNER
IM Kunltleben Belgiens find es während der letzten fechs Monate die Ver-
kaufe bedeutfamer und weit bekannter Privatfammlungen gewefen, die
vor allem die Aufmerkfamkeit von Künltlern und Kennern auf fich vereinten,
wenn fchon die Neuen Reichen mit ihren unbegrenzten Kaufmöglichkeiten
und ihrem ungeltümen Verlangen nach Kunftbefitz den eigentlich praktifchen
Ausfchlag gaben,- die Rückficht auf diefe Art von Liebhabern und die fo
entltandene »Gunlt« der Zeitumltände, nicht perfönliche Notlage der Sammler,
hat zweifellos in den meilten Fällen den Antrieb zur Veräußerung der Ge-
mälde gebildet. Eine Ausnahme bildet höchltens der greife Edmond Picard,
der in guten Tagen fein Heim mit einer Menge belgifcher und franzöfifcher
Impreffionilten ausgeltattet hatte und der nun die Bilder, gewilfermaßen als
fein eigener Befitztumsauflöfer und Teltamentsvollltrecker, wieder abftieß.
Gleichfalls auf Meilter des 19. Jahrhunderts befchränkte fich der Sammler
Lequime,- die Malfe kam in einer Anzahl von 64 Stück am 22. April bei
Giroux unter den Hammer. Den Mittelpunkt bildet das berühmte Bild
»Die Strickerin« von Alfred Stevens, das, weit weniger anekdotifch als fonltige
Genrefzenen diefes Malers, dellen Können von der beiten Seite zeigt, Baude-
laire empfand die Arbeiten von Alfred Stevens als typifch flämifche,- die
Nachwelt hat feiner zu unterfcheiden gelernt und entdeckte hier alle Halbheiten
und Verfchwommenheitsbildungen nicht einer reinraffigen, fondern einer
mifchlinghaften Kultur. Auch die fonltigen Bilder der Sammlung Lequime,
Bilder von Henri de Braekeleer, Jofeph Stevens, Eduard Agneefens, Jan
Stobbaerts, Charles de Groux, A. S. Heymans gehören in den nämlichen
Kreis des Könnens, wo eine alte Überlieferung plötzlich auflebte, jedoch
kein genügend echtes und ftarkes Menlchentum vorfand, um fich an diefes
endgültig feftbinden zu können. Als fcharfe und fofort kenntliche Gegenfätze
gaben fich, durch ihre Reinblütigkeit gegenüber diefen Werken, die heroifche
»Landlchaft mit Figuren« von Monticelli und eine idyllildie Landlchaft von
Corot zu erkennen. Die Auktion der Sammlung Charles-Leon Cardon,
die vom 27. — 30. Juni im Saal »Sainte Gudule« ftattfand, umfaßte 375
Nummern: Meilterwerke der flämilchen, holländilchen, deutlchen, franzöfilchen,
englifchen und italienifchen Kunlt vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, fowie