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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 57.1921/​1922 (Oktober-März)

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Nr. 26
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Fischel, Oskar: Der Mädchenkopf aus Tizian's "Schlacht von Cadore"
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https://doi.org/10.11588/diglit.37098#0440

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KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTION: HANS TIETZB
NR. 26 24. MÄRZ 1922

DER MÄDCHENKOPF
AUS TIZIAN'S »SCHLACHT VON CADORE«
VON OSKAR FISCHEL
M die Mitte der 1520er Jahre kam es in Tizians Leben zur entfchei-
denden Wendung: es galt damals für ihn das »Werde, der du Eilt«. In
jedem feiner Werke von der biblifchen Legende des Engels mit Tobias bis zur
lyrifchen Allegorie des Avalos, vor allem aber durch feine Porträts von dem
einfam ragenden Karl V. und dem fich verzehrenden Kardinal Hippolyt de7
Medici zum wetterleuchtenden Herzog von Urbino und dem tränendurch-
bebten Lächeln der Bella weht der elementare Feuerhauch diefer grandios
fich fteigernden und bis zum letzten Tag nie gebrochenen Naturgewalt. Seine
Handfchrift erhält damals, das frühlte Beifpiel in der Gelchichte der Malerei/
den perfönlichen Zug vom Temperament des Künftlers und den individuellen
Rhythmus vom Leben feiner Sujets.
Das Glück hat uns die erfte große Monumentalmalerei den »Tempelgang«
der Scuola della Caritä noch am alten Platz, vom Blaugold der Decke und
Goldbraun der Täfelung gefaßt, erhalten. Es will bedeuten, daß von all-
täglichem, wenn auch vom kunltreichlten, Menfchenwerk eingeengt der Blick
in diefe höhere und wahrere Wirklichkeit hinauf- und hinausltreben darf.
Und unter dem Pinfel gehaftete fich die Farbe zu jedem Stoff und zum Schein
jedes Wefens um: zum Baumaterial der glänzenden Hallen, zu fchimmernder
Haut und leuchtenden Augen, bis zur fließenden Aureole des göttlichen Mäd-
chens, die das Tageslicht befiegt. Der Meifter, der fich diefe Handfchrift fchuf,
war kein Manierilt und ihm geriet Tonart und Rhythmus je nach feiner Er-
regung durch den Stoff. Wie wäre uns das dramatilche Gegenltück zu die-
fem Tempelgang, die Schlacht von Cad.ore, in der Sala del Gran Consiglio
willkommen, die dem großen Brand von 1577 mit allen älteren Dokumenten
der großen venezianifchen Malerei von Bellini, Giorgione und Tizian felblt
zum Opfer fiel!
Der unmalerilche Stich des Giulio Fontana gibt nicht viel mehr als einen
Situationsplan und läßt doch das Raumproblem großartig genug anklingen.
Die alte kleine Kopie in den Uffizien <Abb. 2> bringt den größten Teil der
Figuren und verzichtet ganz auf die grandiofe Begleitung durch die Land-
fchaft, aber fie läßt wenigltens im Glimmen und Glühen der Farben ahnen,
wie die große Symphonie der Schlacht inltrumentiert war und wieviel Ströme


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