DOI Heft:
Nr. 3
DOI Artikel:Aus einem Moskauer Brief
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.37098#0061
KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTION: HANS TIETZE
NR. 3 14. OKTOBER 1921
AUS EINEM MOSKAUER BRIEF
Die folgenden Zeilen aus einem Privatbrief, der uns
von befreundeter Seite zur Verfügung gelteilt wurde,
fdieinen uns von allgemeinem InterelTe, da, fie einige
Aufklärung über die Lage der Kunft im neuen Rußland
bieten. Die Redaktion
. . . Von der Kunftbegeifterung der neuen Machthaber in Rußland hat
man wohl auch im Auslande gehört und ein wenig zu viel davon geredet.
Denn es ift nicht gar fo weit damit her. Die einftigen Befucher weltlicher
Boheme«Cafes haben gewiß ein Herz für jugendliche Kunftrevolutionäre, und
fie waren vor allem in der erften Blütezeit ihrer Herrfchaft fehr geneigt, künft«
lerifche und politifche Revolution für identifch zu halten. Kandinsky wurde
der Held des Tages. Alle die kleinen Nachahmer der modernften Fran«
zofen, deren Bilder in den Sammlungen Stfchukin und Morofoff zu fehen
find, durften fich breitmachen als die offiziellen Vertreter der Kunft des neuen
Rußland. Der Staat war freigebig mit Aufträgen und Ankäufen. Aus den
Akademien wurden die alten Profelforen entfernt, und junge Leute, die felbft
nichts können, fpielen fich als die Vermittler neuer Weisheiten auf.
Aber diefes Eldorado des Futurismus und der abfoluten Malerei fcheint fich
feinem Ende zuzuneigen. Die Arbeiter haben das Gefühl, daß man fie zum
beiten hält, wenn man ihnen unverftändliche Malereien als großartige Offen«
barungen vorführt und ihnen weismachen will, diefe Kunft fei eigens für fie
erfunden, fie fei die wahre Kunft der Revolution. Sie wären glücklich, wenn
man ihnen Hiftorienbilder alten Stiles vorfetzte, Bilder, auf denen etwas zu
fehen ift, auf denen etwas erzählt wird. Der neuen Kunft fehlt jeder Boden
im Volke. So macht fich innerhalb der Regierung auch bereits eine Reaktion
fühlbar. Die alte realiftifche Richtung wird wieder ausgegraben. Eine Kommif«
fion hielt Beratungen ab über die Organifation der Kunftfchulen und fand,
daß fie ruiniert feien.. Ob fie auch ein Heilmittel für den Wiederaufbau
finden wird, ift die Frage. Denn die bedeutenden Künftler der alten Gene«
ration werden fich wohl hüten, in diefe Betriebe wieder einzutreten.
Wovon fie leben, ift nicht immer leicht zu fagen. Es geht ihnen nicht
fchlecht, obgleich eigentlich • der einzige Käufer heut der Staat fein foll. Aber
es gibt auch in Rußland »Schieber«, die viel Geld verdienen und gern Geld
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTION: HANS TIETZE
NR. 3 14. OKTOBER 1921
AUS EINEM MOSKAUER BRIEF
Die folgenden Zeilen aus einem Privatbrief, der uns
von befreundeter Seite zur Verfügung gelteilt wurde,
fdieinen uns von allgemeinem InterelTe, da, fie einige
Aufklärung über die Lage der Kunft im neuen Rußland
bieten. Die Redaktion
. . . Von der Kunftbegeifterung der neuen Machthaber in Rußland hat
man wohl auch im Auslande gehört und ein wenig zu viel davon geredet.
Denn es ift nicht gar fo weit damit her. Die einftigen Befucher weltlicher
Boheme«Cafes haben gewiß ein Herz für jugendliche Kunftrevolutionäre, und
fie waren vor allem in der erften Blütezeit ihrer Herrfchaft fehr geneigt, künft«
lerifche und politifche Revolution für identifch zu halten. Kandinsky wurde
der Held des Tages. Alle die kleinen Nachahmer der modernften Fran«
zofen, deren Bilder in den Sammlungen Stfchukin und Morofoff zu fehen
find, durften fich breitmachen als die offiziellen Vertreter der Kunft des neuen
Rußland. Der Staat war freigebig mit Aufträgen und Ankäufen. Aus den
Akademien wurden die alten Profelforen entfernt, und junge Leute, die felbft
nichts können, fpielen fich als die Vermittler neuer Weisheiten auf.
Aber diefes Eldorado des Futurismus und der abfoluten Malerei fcheint fich
feinem Ende zuzuneigen. Die Arbeiter haben das Gefühl, daß man fie zum
beiten hält, wenn man ihnen unverftändliche Malereien als großartige Offen«
barungen vorführt und ihnen weismachen will, diefe Kunft fei eigens für fie
erfunden, fie fei die wahre Kunft der Revolution. Sie wären glücklich, wenn
man ihnen Hiftorienbilder alten Stiles vorfetzte, Bilder, auf denen etwas zu
fehen ift, auf denen etwas erzählt wird. Der neuen Kunft fehlt jeder Boden
im Volke. So macht fich innerhalb der Regierung auch bereits eine Reaktion
fühlbar. Die alte realiftifche Richtung wird wieder ausgegraben. Eine Kommif«
fion hielt Beratungen ab über die Organifation der Kunftfchulen und fand,
daß fie ruiniert feien.. Ob fie auch ein Heilmittel für den Wiederaufbau
finden wird, ift die Frage. Denn die bedeutenden Künftler der alten Gene«
ration werden fich wohl hüten, in diefe Betriebe wieder einzutreten.
Wovon fie leben, ift nicht immer leicht zu fagen. Es geht ihnen nicht
fchlecht, obgleich eigentlich • der einzige Käufer heut der Staat fein foll. Aber
es gibt auch in Rußland »Schieber«, die viel Geld verdienen und gern Geld