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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 57.1921/​1922 (Oktober-März)

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Nr. 11
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Nr. 12/13
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Waldmann, Emil: Römische Figur bei Tizian
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Literatur / [Notizen] / Kunstmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.37098#0227

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201

RÖMISCHE FIGUR BEI TIZIAN

VON EMIL WALDMANN

ASARI lagt in feiner Lebensbefchreibung Tizian's bei der Stelle, wo


V er von Tizian's Aufenthalt in Rom berichtet: »Eines Tages, da MicheL
angelo und Vasari ins Belvedere gingen, um Tizian zu befuchen, fahen fie
dort ein in der Zeit von ihm gemaltes Bild, eine unbekleidete weibliche Geltalt,
eine Danae, in deren Schoß Jupiter als Goldregen niederfällt und rühmten
<wie man's macht, wenn der Künftler dabei ift> fein Werk fehr. Beim Nach-
haufegehen redeten fie über feine Verfahren und Michelangelo lobte fie und
fprach: Tizian's Manier und Kolorit gefalle ihm fehr wohl, es fei nur fchade,
daß man in Venedig nicht von Anfang an gut zeichnen lerne...«
Diefes Urteil ward oft nachgefprochen, und es ilt möglich, daß Michelangelo
etwas Ähnliches tatfächlich gefagt hat. Denn mit Tizian's Danae hat es
eine eigene Bewandtnis: Tizian gab ihr die Haltung, die Michelangelo einem
gelagerten Flußgott gegeben hatte, der im Zufammenhang mit den Arbeiten
an den Mediceergräbern entltanden war1). Das lebensgroße Tonmodell be-
wahrt die Academia delle belle Arti zu Florenz, und vergleicht man es,
nachdem man es fich im Geilte ergänzt hat, mit der Danae, fo wird die Ähn-
lichkeit fo überzeugend, daß man annehmen muß, Tizian habe folche michel-
angeleske Figur in Rom ftudiert. Die gewaltige Haltung und Lagerung der
Mallen mit dem bis über die Höhe der Halsgrube aufgereckten einen Knie,
bei derart eingefunkenem Bauch, dürfte nicht’eigene Tizianifche Erfindung fein.
Daß der Amor auf dem gleichen Bilde von dem marmorenen Eros der
Sammlung Chiaramonti abhängt, war immer bekannt.
Michelangelo fah alfo, wie und wo Tizian fein Formengefühl hier in-
fpiriert hatte. Wenn bei folchen Entlehnungen aus der Plaftik in die Malerei
gewiffe Energien der Form geopfert werden mülfen, fieht natürlich der Vater
des Gedankens die Opfer deutlicher als das Gebliebene, das ihm, als Vor-
ausfetzung, ja felbltverftändlich ilt. An fich genommen aber finden fich in
diefem tizianifchen Akt keine fchwach gezeichneten Stellen. Die Modellierung
des Kopfes und der Gelenke, vor allem auch der Hand, verrät fchlagende
Sicherheit der Konftruktion und die matte Haltung der Beine gehört, was
Michelangelo, trotz feiner Leda, wohl nicht ganz verltand, zum Charakter jenes
obszön Erotifchen, das Tizian in diefem Bilde für Alessandro Farnese
zweifellos geben wollte.
1) Vergl. Ad. Gottfchewski, Zeitfchrift für bildende Kunft 1906, S. 189 ff. — Münchener
Jahrbuch, Band I, 1906, S. 43 ff.

Nr. 12/13. 16/23. XII. 21
 
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