Römifche Figur bei Tizian
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jenes Kunßgefpräch, in dem die Tadler
der venezianifch malerifchen Richtung
und die einfeitigen Michelangelo-Fa-
natiker in ihre Schranken gewiefen
werden füllten.
Man muß die Dinge nicht urgieren
und bei folchen Zufammenhängen nidit
immer gleich von Plagiat reden. Jo-
hannes Brahms, dem ein Muliker die
Benutzung eines Schumannfchen Mo-
tivs nach wies, fagte: »Ja, folche Sachen
fehen immer nur Efel«. Aber es ilt,
da Michelangelo fo redete, kunlthilto-
rilch am Ende nicht ganz unwichtig zu
fehen, wie Tizian lieh mit den Proble-
men, die ihm von Haus aus etwas fremd
waren, auseinanderfetzte und wie noch
der Siebzigjährige immer noch lernen
Tizian: Madonna (Ausfchnitt aus der»Pefaro=Madonna«
nanntes geiltiges Eigentum und wirklich (Venedig, Frari=KirAe>
reiche Leute zählen nicht in einem fort ihre Habe. »Entlehnungen« kann
man im Umkreife der Hochrenailfance zahllofe feltftellen, ohne daß deshalb
der eine oder andere Meilter weniger original erfchiene. Die Rückenfigur mit
den hochgeworfenen Armen, die Tizian in der Apoltelgruppe feiner Alfunta
zeichnete, wirkte auf Tintoretto, als er in feinem »Markuswunder« den Tur-
bantürken dem Prokonful die zerbrochenen Marterwerkzeuge hinhalten ließ.
Und die fo berühmt gewordene Geltalt des hl. Markus, die auf diefem Markus-
wunder fo feltfam über Kopf ins Bild hineinl'türzt, übernahm dann fpäter
Tizian für den Perfeus feines Andromedabildes <Wallace=Kollektion>. Wollte
man hier geiltiges Eigentum feltftellen, fo käme man am Ende wieder bei
Michelangelo's Gedanken an oder bei den Gipsabgüßen nach der Antike,
die in Tintoretto's Werkftatt hoch unter der Decke hingen und nach denen
er bei künftlicher Beleuchtung zeichnete. Es kommt aber nie darauf an, wo-
her einer die Dinge nimmt, fondern was er aus .ihnen macht. Nur mit
diefem Vorzeichen hat es Zweck, fich zu fragen, wie und mit welchen Aus-
einanderfetzungen Geh Tizian feinen Stil bildete,
★
wollte. Große fchöpferifche Zeiten find
nicht fehrängftlich bedacht auf ihr foge-
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jenes Kunßgefpräch, in dem die Tadler
der venezianifch malerifchen Richtung
und die einfeitigen Michelangelo-Fa-
natiker in ihre Schranken gewiefen
werden füllten.
Man muß die Dinge nicht urgieren
und bei folchen Zufammenhängen nidit
immer gleich von Plagiat reden. Jo-
hannes Brahms, dem ein Muliker die
Benutzung eines Schumannfchen Mo-
tivs nach wies, fagte: »Ja, folche Sachen
fehen immer nur Efel«. Aber es ilt,
da Michelangelo fo redete, kunlthilto-
rilch am Ende nicht ganz unwichtig zu
fehen, wie Tizian lieh mit den Proble-
men, die ihm von Haus aus etwas fremd
waren, auseinanderfetzte und wie noch
der Siebzigjährige immer noch lernen
Tizian: Madonna (Ausfchnitt aus der»Pefaro=Madonna«
nanntes geiltiges Eigentum und wirklich (Venedig, Frari=KirAe>
reiche Leute zählen nicht in einem fort ihre Habe. »Entlehnungen« kann
man im Umkreife der Hochrenailfance zahllofe feltftellen, ohne daß deshalb
der eine oder andere Meilter weniger original erfchiene. Die Rückenfigur mit
den hochgeworfenen Armen, die Tizian in der Apoltelgruppe feiner Alfunta
zeichnete, wirkte auf Tintoretto, als er in feinem »Markuswunder« den Tur-
bantürken dem Prokonful die zerbrochenen Marterwerkzeuge hinhalten ließ.
Und die fo berühmt gewordene Geltalt des hl. Markus, die auf diefem Markus-
wunder fo feltfam über Kopf ins Bild hineinl'türzt, übernahm dann fpäter
Tizian für den Perfeus feines Andromedabildes <Wallace=Kollektion>. Wollte
man hier geiltiges Eigentum feltftellen, fo käme man am Ende wieder bei
Michelangelo's Gedanken an oder bei den Gipsabgüßen nach der Antike,
die in Tintoretto's Werkftatt hoch unter der Decke hingen und nach denen
er bei künftlicher Beleuchtung zeichnete. Es kommt aber nie darauf an, wo-
her einer die Dinge nimmt, fondern was er aus .ihnen macht. Nur mit
diefem Vorzeichen hat es Zweck, fich zu fragen, wie und mit welchen Aus-
einanderfetzungen Geh Tizian feinen Stil bildete,
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wollte. Große fchöpferifche Zeiten find
nicht fehrängftlich bedacht auf ihr foge-