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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

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Heft 16 (2. Maiheft 1913)
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Um Richard Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0308

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regelmäßig der szenischen Leitvorstellung bedurfte. Auch hier lägen
Aufgaben für eine feinfühlige Forschung: aufzufinden, wieweit sich
ein Bedürfnis nach Szenenbildung auch dort bei Wagner zeigt, wo es
nicht notwendig aus dem Erlebnisstoff hervorgeht, vielleicht sogar in
der Lebensführung, womit man eine gewisse Prunkliebe oder so
manche Stellen aus seinen Briefen wohl in Verbindung bringen
könnte. Abrigens ist die szenische Schaffensart nicht so zu erklären,
daß zu einer Wort- und einer Tonschöpferkraft sich nun eine Bildner«
kraft gesellte. Man wird in Wagners Werken nicht ein Bild finden,
zu dessen (Lrschauung es besondrer bildnerischer Fähigkeit bedurft
hätte, die meisten sind sogar aus den alten Stoffdarbietungen, deren
er sich bediente, leicht zu übernehmen gewesen. Ein freies, aus restlos
eigner Erfindung stammendes dramatisches Schaffen kannte er ja
überhaupt kaum, da er stets eignes mit früherem Schaffen verschmolz.

Es ist bekannt, daß diese Richtung von Wagners Genie in der
gedanklichen Erzeugung des „Gesamtkunstwerkes^ ihren Ausdruck
fand. Bun klingt es wohl sehr einfach, muß aber doch gesagt wer-
den: daß dieses „Gesamtkunstwerk" als Lebensidee wohl wirklich nur
in einer Begabung wie der Wagners erstehen konnte, wie denn solche
Kunsttheorien meist den Stempel des Individuellen an sich tragen.
Rnd wir dürfen heute wohl sagen: diese Idee des Gesamtkunstwerkes
hat sich als Kunstidee für Andre nicht lebensfähig erwiesen. Sie war
nicht eine Neuschöpfung in der Geschichte der Kunstgattungen, son-
dern eine tzilfekonstruktion zur Einführung seiner Werke. Mehr und
mehr kommen wir gerade heute, in der Zeit des „Rosenkavaliers^, der
„Ariadne", der italienischen Veristen, der Kammerspiele, der Riesen«
symphonien, der naturalistischen Theaterei auf Einzelkunstleistungen
zurück, nachdem sich so viele Schaffende an dem Irrtum des Gesamt-
kunstwerkes verblutet haben. Selbst neue „Opern^ jenes alten Stils,
den Mozart beherrschte und der mit dem Feldgeschrei der „Unver-
nünftigkeit" und Stilmischerei bekämpft wurde, würden heute nicht
unwillkommen sein. Wer einmal sich von Vorurteilen gegen die
Oper gelöst hat, wird sich in ihrem Aeich bald vor einer Fülle echt
künstlerischer Möglichkeiten sehen; zum Beispiel mag man wohl ein
Gefühl davon bekommen, wie selten die Oper der Musik eine über
ihre Kräfte gehende Leistung zumutet, wie ein feiner musikalischer
Formensinn, eine glänzende Bereicherung des Liedes in ihr möglich
sind und Ahnliches. Iene Art von „Erhebung^, die Wagner als
den tiefsten Sinn des Theaterstückes hinstellte, leistet allerdings man-
ches heute bevorzugte Kunstwerk nicht: auch darin spiegelt sich die
Entfremdung von Wagner wider.

Wenn man sagt, die Oper mute der Musik nichts über ihre Kraft
zu, so ist von Wagners Musikdrama oft das Gegenteil gesagt worden.
Insoweit nämlich Wagner szenisch schuf, schuf er natürlich Werkteile,
die als Teile betrachtet mit Teilen der alten Oper eine unleugbare
Ahnlichkeit haben, wenn er auch in der Teil- oder Szenenbildung
als solcher genialer war als viele seiner Vorgänger. Die Oper nun
ließ diese Teile nebeneinander stehen ohne eine stark aus innerlichen
Ouellen abgeleitete Verbindung; die innere Entwicklung war in ihr
oft oberflächlich, widerspruchvoll, abgeschmackt, und die musikalischen

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