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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

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Heft 16 (2. Maiheft 1913)
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Um Richard Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0310

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Bindennttel verwuchsen nicht zu innerlich fühlbaren Ganzheiten mit
den auseinanderfallenden Teilen. Wagners neue Aufgabe nun war
es, die Teile in einer Gesarntschöpfung zu verbinden. Nicht als ob
er sie in abstraeto (wie wir hier) sich vorgenommen hätte, sie erwuchs
vielmehr seinem Schauen. Aber rein nach dem geschichtlichen An»
blick beurteilt lag sie wirklich so. Seine Mittel waren dichterische
und musikalische. Zu den dichterischen gehört der vernünftige Auf«
bau der Szenen zum Ganzen, die leitende Idee und die Gestaltung
erkennbarer Handlungträger. Zu den musikalischen die „endlose Melo-
die" und das Leitmotiv. Betrachtet man die musikalischen für sich,
so ergibt sich sofort ihr ungeheurer praktischer Wert. Wo Szenen«
aufbau, Text und Personenbewegung irgendeine Lücke oder eine Un-
klarheit läßt, kann jederzeit die Musik durch Fortspinnen des Fadens
oder gleichsam als erklärende Anmerkung unter dem Text einspringen.
Mindestens der Schein, vielleicht das Wesen organischen Fortgangs ist
damit gewahrt — wie weit jedes von beiden, das ist wieder eins der
„Probleme", auf die musikwissenschaftliche Forschung ausgehen müßte.
Ls gibt Linwände genug gegen diese Mittel: daß die „endlose Melo-
die" die Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit übernehme, daß sie
bei allem Geschick der Erfindung doch auch dünne Stellen aufweise,
daß die Stichworttaktik des Leitmotivs vom tzörer ungebührlich viel
Motivgedächtnis verlange und daher zu Unklarheiten führe, daß durch
die tzäufung des gleichen Leitmotivs eine aufdringliche Aberdeutlich«
keit entstehe, welche fein Empfindende abstößt, daß endlich durch die
anscheinend fortwährende Bemühung, dem tzörer möglichst viel zu
verdeutlichen, eine unnatürliche Steigerung aller Mittel erzeugt sei,
die sich selbst wieder teilweise aufhebe. Genug — hieran ist Kritik
oft genug geübt worden, auch die Vorzüge, das Geistvolle in der
Verwendung dieser Mittel wurde vielfach gewürdigt. Mit Absicht
jedoch wurde das Wort „Mittel" hier festgehalten,- denn daß es sich
in der vollumfänglichen Anwendung dieser Formen um eine eigentlich
schöpferische Tat handle, wie sie etwa in der Komposition der Lroika
oder in Goethes Mütter«Szenen-Konzeption oder in Böcklins Lr-
schauung der Toteninsel vorliegt — davon wird man den kaum über-
zeugen, der zwischen Weiterbildung technischer Möglichkeiten und
innerer Neubildung von Gehaltwerten unterscheiden kann. Natür-
lich sind hier die Grenzen fließend: eine Tat wie die Tristanschöpfung
ist als Gestaltung einer Innerlichkeit mit zwei Mitteln des Ausdrucks
so komplex, daß unsere begriffliche Scheidung ihr fast nicht beikommen
kann. Beben der abstrakten Tatsache, daß Wagner jene technischen
Mittel verwandte, steht ja anderseits die Möglichkeit, daß er auch
musikalisch unmittelbar schöpferisch gewesen sei. Als schlagendste Be-
weismittel führt man dann etwa die großen Melodien der „Walküre^,
das „Siegfried"-Idyll, weite Strecken der symphonischen „Tristan^-
Partitur oder „Meistersinger"-Lieder an. Zweifellos mit Recht; frag-
lich kann nur sein, ob gar so viel von Wagner lebendiges Eigentum
der Musikwelt wäre, wenn nicht alles von der faszinierenden Ein-
kleidung der Gesamtmusikdramen in die Welt hineingeschmeichelt
würde; fraglich wäre, ob die mehr oder minder zahlreichen Stellen, an
denen Wagners musikalische Schöpferkraft sich frei entfaltet, die alles

—2. Maiheft W3 257 "
 
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