Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

DOI issue:
Heft 16 (2. Maiheft 1913)
DOI article:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0341

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
den in ebenso lächerliche politi-
sche Lagen kommen kann, wie in
lächerliche Lagen scheinbarer Ober--
kunstkritisiererei. Ie mehr man die
Verantwortung für Kunstausstel-
lungen allein den Künstlern über-
ließe, je sicherer wäre man auch vor
fremdem Abelnehmen. Abrigens
auch: je sicherer vor Taktlosigkeiten,
denn den Künstlervereinigungen
liegt schon der Gegenseitigkeit wegen
außerordentlich viel daran, mit den
Ausländern gut Freund zu bleiben,
So, wie man's treibt, zeigt man
immer wieder: wir, die Regierun-
gen, haben die Möglichkeit, auf
irgendwelchen Umwegen dreinzu«
wirken, und so macht man sich
m r L verantwortlich bei Kunstaus-
stellungen, für deren Gegenstände
man eine volle Verantwortung
doch auch nicht tragen kann.

Warenhaus-Stil und
Wohnhaus-Stil

on alledem, was man in Schu-
len und Akademien hört, ver-
sinkt so vieles in das Meer der
Vergessenheit; es ist dann bald, als
ob man all die schönen Lehren nie-
mals vernommen hätte. In Wirk-
lichkeit haben sie doch ihre Schul-
digkeit getan. Hatte man damals
nur gut aufgemerkt, so waren sie
einem doch eingegangen; sie haben
auf das Denken und Fühlen wie
auch auf das Handeln gewirkt und
haben dem aufstrebenden Geiste die
Richtung gegeben. Dann durften
sie als abgetan und überflüssig
verschwinden.

Aur ist es merkwürdig genug:
Linzelheiten, die vielleicht ganz
unwesentlich sein mögen, sind den-
noch haften geblieben und wirken
immer weiter nach, mag sich im
Laufe der Zeiten ihre ganze Am-
welt auch geändert haben. So muß
ich nicht selten an eine Außerung
denken, die einer unserer Lehrer der

Baukunst tat, als er eine Schauseite
dieses oder jenes Gebäudes be«
sprach. Der Professor fand daran
auszufetzen, daß hie einzelnen Stock«
werke rn der Schauseite nicht deut-
lich genug zutage traten; sie hätten
durch kräftige horizontale Gesimfe
stärker betont sein müssen. „Wenn
bei dieser Fassade jemand aus dem
Fenster schaut, dann muß man ja
das Gefühl haben, als baumelte
dieser jemand drinnen im Gebäude
in der Luft." Das leuchtete uns
allen ein. Der Grundsatz, der da«
mit ausgesprochen war: „Deutliche
Leilung der SLockwerke" in der
Schauseite des Gebäudes ist gewiß
durch keinen von uns so leicht
preisgegeben worden.

Wie ist das heute anders gewor-
den! Der erste große Bau, an dem
mir die Änderung deutlich vor
Augen trat, war das Reichstags-
gebäude von Wallot. Hier gingen
die mächtig breiten Pilaster der
Schauseite rücksichtslos durch die
verschiedenen Stockwerke hindurch;
die dazwischen übereinander liegen-
den Fenster waren glatt in die
Wandflächen eingesetzt; Reichstags-
abgeordnete, die da etwa zum
Fenster hinausschauten, mußten für
mein Gefühl „inwendig in der Luft
baumeln"; es fehlte eben jede Be-
tonung der Stockwerke.

Das ging nun weiter seinen
Gang; der alte Grundsatz war ver-
lassen. Als nun gar die Waren -
häuser aufkamen, schlug der
Grundsatz genau ins Gegenteil um:
anstatt der Horizontalen wurde die
Senkrechte betont; man sehte
jetzt nicht mehr Stockwerk auf Stock-
werk, sondern strebte in vollbewußter
Weise vom Grunde auf in die Höhe,
es schrie alles: nur in die Höhe.

Beim modernen Warenhaus hat
das seine Berechtigung, wie es ja
aus andern Gründen auch bei Kir-
chenbauten angebracht ist. Bei den

288 Kunstwart XXVI, 16
 
Annotationen