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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

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Heft 16 (2. Maiheft 1913)
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0358

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schen Abweichungen, auf „L eich e" aber auch in der fast brutalen Dehnung
des t um ein Viertel. Gleich darauf (nach .. gewann") scheint das
chromatische Motiv wieder Isoldens Ironie zu widersprechen. So läßt sich
die Dramatik, die Llusdruckfähigkeit der Motivsprache für starke Gegen«
sätze, das Grundprinzip der größten Schöpfung Wagners, fast Schritt für
Schritt verfolgen. Es wird der reichsten Phantasie wohl kaum möglich
sein, innerhalb des unmittelbar Verständlichen eine Verstärkung solcher
ganz innerlich erschauter Wirkungen zu erschaffen. Wir weisen noch
darauf hin, daß Isoldens „Befehl" an den „Gigenhold" auf dem Todes«
motiv nächstverwandte Tonfolgen geschrieben ist — hier verrät das um-
gebildete Motiv den tiefsten seelischen Sinn der Worte! Ambildungen des
Motivs der Fahrt aus dem Schifferlied begleiten Brangäne zu Tristan.
Auf sein erschrecktes Wort: „Was ist? Isolde?" antwortet (dem tzörer!)
wieder das verräterische chromatische Motiv mit dem Hinweis, daß er ihrer
heimlich sehnsuchtvoll gedacht hatte, offenbar dem „Willen des Textes"
ganz entgegen; rasch genug gehen ja auch die Wne von der Sehnsucht«
chromatik in die konventionellen Harmonien über, welche den „Höfischen",
konventionellen Wortwechsel begleiten.

Man hat oft auf das „Intellektuelle" an der Leitmotivik hingewiesen,
hat oft gemeint, diese Musik sei auch dem „kalten Verstandmenschen" zu-
gänglich; und wie man oft beobachtet hat, daß musikalisch wenig Beanlagte
gerade Wagnersche Musik bevorzugen, so hat man sie in einen herabsetzen-
den Gegensatz zur absoluten Musik gebracht. Wir haben keine Ver-
anlassung, diese etwas oberflächliche Psychologie des Musikhörers zu über-
nehmen. Daß sich unendlich viele Einzelzüge der Wagnerschen Musik dem
„Gefühlverständnis", auf das Wagner baute und hinwies, nicht erschließen,
kann freilich niemand verborgen bleiben, der diese Einzelzüge einmal auf
die hier versuchte Art aufgesucht hat. Zu einem solchen Aufsuchen anzu-
regen, ist aber gerade der Sinn dieser Beilage, zumal sich die Vertiefung
in die Leitmotivik und ihre Möglichkeiten auch Lrotz der unLerschiedlichen
Anregungen durch die „Führer" noch sehr ausdehnen läßt, weitere psycho-
logische Ergebnisse verheißend. Ob die Möglichkeit eines „verstandmäßi-
gen" Verstehens dieser Art gegen den Wert dieser Musik spricht, läßt sich
bezweifeln; auch an der „klassischen" oder „absoluten" Musik ist ja viel
mehr analytisch erkennbar als gemeinhin angenommen wird. Daß der
Sinn der leitmotivischen Arbeit, wie sie im „Lristan" vorliegt, nicht intellek-
tuell determiniert ist — im Gegensatz zu gewissen anderen Tendenzen der
Leitmotivik — führten wir in dem angeführten Aufsatz aus.

Wir haben endlich allgemein Lolstois Lhese nicht angenommen, nur
das sei wahre Kunst, was allgemein erlebbare Gefühle volkverständlich über-
mittele. And so haben wir keinen Grund, eine Kunst zu verschmähen, weil
sie dem Aachdenken sich noch anders offenbart als dem intuitiven Zuhören,
und noch weniger Grund, die Hilfe der Einsicht abzuweisen, wenn sie uns
an die trotz alledem unergründlichen Liefen künstlerischer Gestaltung näher
heranführt.

Herausgeber:Or. b.ll.Ferd.Avenariusin Dresden--Blssewitz; verantwortl.: der Herausgeber—
Verlag von Gesrg D.W.Eallwey, Druck von Kastner L Eallwey, k. Hofbuchdruckerei in München —
Indsterretch--Üngarnsür tzerausgabeu.Schriftleitung verantwortl.: vr.Aich.BatkainWien XllW

30^. Kunstwart XXVI, (6
 
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