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Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1921)
DOI Artikel:
Schwab, F.: Operettenrutschbahn
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Schumann, Wolfgang: Zu Carl Hauptmanns Gedächtnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0386

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rungsschicht, die noch einmal alle Wichtigkeiten und Nichtigkeiten der
Welt» und Menschengeschicke an sich vorüberspulen läßt, ohne mehr dabei
ZU empfinden als jener neurasthenische Bankdirektor, der täglich zwei
Stunden vor die Flimmerfläche eines Schundkinos sitzt, um nicht außer
Rotation zu kommen. Aber — neueste Meldungen aus Berlin berichten
auch, daß es dort kritisch auszusehn beginnt mit dem Besuch der Operette:
Die korrumpierten Massen, heißt es, strömen in noch eindeutigere Vergnü--
gungslokale ab, wo man ohne ätmwege über Musik und Handlung auf
seine Kosten kommt. Die gehobenere Hörerschaft dagegen soll tatsächlich
wieder nach Kunst verlangen. Alle Ausstattungstricks und oberschenkel--
freien Rockmoden kämen nicht auf gegen diesen Zug der Zeit. Parallele
in den geistigeren Regionen: Georg Kaisers „Von Morgen bis Mitter--
nacht" und all der „philvsophische Relativismus" beginnen zu verblassen
neben den Ansätzen zu einem neuen positiven Idealismus. Naht der
Fasching des „Va banque" seinem Ende? Schwab

Zu Carl HaupLmanns Gedächtnis

^^^.or nicht ganz drei Iahren, im 2. Maiheft haben wir mit ein--
^ gehendem Aufsatz Earl Hauptmanns sechzigsten Geburtstag gefeiert.
^^Nun ist der Dreiundsechzigjährige heimgegangen. Heim in das All,
in die Unergründlichkeiten der Natur, denen er ein Leben lang nachge--
sonnen hat. Und uns steht nur zu, ihm einen Abschiedsgruß nachzurufen.

Irgendein tieser Zusammenhang war zwischen Carl tzauptmann und
jenem Anendlichen, das wir „Natur" nennen. Zahlreiche von seinen
Betrachtungen und Stimmungen gehen ein in Goethes Worte: „Naturl
Wir sind von ihr umgeben und umschlungen — unvermögend, aus ihr
herauszutreten, und unvermögend, tiefer in sie hineinzukommen. Nnge-
beten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf
und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arm ent--
fallen. Wir leben mitten in ihr und sind ihr Fremde. Sie spricht
unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Sie baut
immer und zerstört immer, und ihre Werkstätte ist unzugänglich. Sie
lebt in lauter Kindern, und die Mutter, wo ist sie?" Für wen gelten
solche Worte heute? Liegt nicht eine Zeit hinter uns, umgibt uns nicht
ein Menschentum, das dennoch „aus ihr herausgetreten" ist und zu dem
sie nicht unaufhörlich, nein überhaupt nicht spricht? Mit Carl, Hauptmann
lebten als Angehörige seiner Generation sein Bruder, aber auch ein
Dehmel, ein Keyserling, ein Altenberg, ein 'Wedekind. Mehr als er be-
zeichnen sie die geistige Typik einer Zeit der Naturferne, der Verklammert-
heit in Zivilisation, in Begrifse und Probleme, in Psychologik und Me-
chanifierung. Hauptmann ist nie zu vollem Erfolge gelangt; er war nie
mit dem Innersten derer verbunden, die einen Dehmel oder einen Wede-
kind, einen Wundt oder einen Rathenau auf den Thron hoben. Er
war nicht „problematisch" und nicht „geistreich",' nicht logisch und nicht
politisch, nicht ekstatisch wie die vom Leben Gequälten, und nicht pro-
phetisch wie die Geister, welche aus Vergangenheit und Gegenwart die
Zukunft erschließen. Gemeinhin „lehrten" seine Werke nichts, und moralisch-
philosophische Nebentöne erklangen darin nicht. Er war Natur. Ein
starker, sinnenhafter Mensch, in der Fülle gleichsam naiv aufgewachsen, ein-
trinkend, was ihn umgab, nach kurzer Fühlung mit rationaler Wissenschast

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