Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

DOI Heft:
Heft 7
DOI Artikel:
Lüthgen, Eugen: Echte Spitzen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0028

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Echte Spitzcn.

einc technische Eigentümlichkeil dcr gcklöppclren Spitze,
dcn Verbindungsfädcn cine nnögcsprschcne Regcl-
mäßigkeit zu gcben. DnS Ergebnis war der glcich-
inäßige Steggrund, vsn dem die eigcntlichcn Fvrmen
sich abhvben. Aucrst gcschah dies bci den sogenannten
Mailändcr Spitzcn, die zwar zucrst >n Mailand, dann
aber vvrwicgend in Brabant und Holland vcrsertigt
wurden. Danut war der Anfang gcmacht, dichte, ver-
schwiminende Formen ästhetisch anzuerkennc» (Abb. 6).

Der Einsluß diescr vcrändcrtcn Geschmacksrichtung
zcigt sich in dcr vcnezianischcn Reliesspitze in dcn letztcn
Jahrzehntcn deS 17. Jahrhundcrtö. Pieots, klcine
Bogcn-, Rädchen- und Rööchensormcn bcginnen sich
zwischcn dic großzügigen Einzelformcn an den Verbin-
dungsstegcn anzusctzen. Aus dem Höbcpunkte dicser
Entwicklung stehcn die wundervollen Gcbilde dcr Rosalin-
spitzcn.

Dic Auslösung dcr großcn Formen, dic Milderung
des Rcliesö gibt den Spitzcn deS späten Louis XIV.-
Stil daS charaktcristische Gcpräge. Glcichzeitig ver-
änderten sich, dcm Aeitgcschmack cntsprechcnd, die gc-
wählten Motive. Laub- und Bandelwerk, Gehängc,
Lambrcquins werdcn bcvorzugt. Auf die größtmögliche
Feinhcit dcs Fadcns wird entschiedencs Gewicht gelegt
ultd damit aus dic Lcichtigkeit und den verschwimmcndcn
Dust dcr Spitze der höchste Wert (Abb. 7).

Damit war die Entwicklung in das Rokoko hinüber-
gcleitct. Denn das Rokoko liebtc, als Auslehnung gegcn
die crdrüekende Wucht deö Barock, das spiclcnde Hin-
hauchcn der Form und dic kapriziöse Gcgcnsätzlichkcit
der Motive. Wasscrsälle neben Fclspartien, scrncr
Menschcnfigürchen ncben in dcr Luft schwcbenden Musik-
instrumentcn; phantastisches Ast- und Laubwerk werdcn
zu dcn bevorzugtcn Motivcn.

Dic Klöppclspitze übernimmt jctzt die Führung; die
Nicdcrlandc stehen an erster Stelle. Brüsscl, daö sich
sowohl durch geschmackvolte Formen wie durch dic
dustigstcn Netzgründe auszeichnct, blcibt auch in dcr

technischcn Aussübrung unerrcicht. Jn Brüssel gclang
cö, auch dic Nähspitze in diesc Bcwcgung einzuleitcn, so
sehr sogar, daß dic Nähspitze wicder dic erste Stelle
einnahm. Nicht zum wcnigstcn dcshalb, wcil sic ver-
möge dcr Farbenvcrsestigung sich als bedeutcnd halt-
barcr erwies. Nach den Brüsseler ivurden die Malines-
und Valcneiennesspitzen die gesuchtcstcn. Die Mecbcler
Spitze unterscheidet sich von dcr Brüsselcr dadurch, daß
die Gründe in einem Stück geklöppelt sind, aber mit
vcrschiedcncn Fädcn, bei dcr Valeneicnnes ist dcr Grund
aus eincnr und demsclben Faden gcklöppelt (Abb. 8).

Um die Mitte dcö 18. JahrhundcrtS, im Louis XVI.-
Stil, tritt nochmals cin Wandel der Motive cin. Dic
naturalistische Darstcllung der Form und cine gewisse
logische Gcsetzmäßigkcit, also cine Negation der ab-
straktcn Motive, tritt an Stclle der Voluten, Schnörkel,
Muschcln und Figurcn. Blättcr und Blüten wcrdcn
naturgctrcu wicdergegebcn, mit Vorliebe so, daß dic
Schattcim'irkung durch Abschatticrung ersichtlich wird.
Darin lag eine Hauptstärkc in der Sclmle von Aleneon
(Abb. 9).^

Dic Phantasicarmut der Zeit vcrmochtc ncue Formcn
nicht mehr zu crsinncn. Jn den sechziger Jahren dcS
19. Jahrhundcrts verfiel man daher aus dcn Gedankcn,
durch Verbindung der verscbiedenen Spitzentechnikcn dcn
Spitzcn einc crhöhte künsilerischc Bedeutung zu geben.
Dies mußte mißlingen. Mit der Auflösung der Form
ging die dcr Technik Hand in Hand.

Daß man in neueftcr Zeit, vor allcm in Wien, dcn
Vcrsuch gcmacht hat, dic Spitzenindustrie auch künsilerisch
zu bclcben, ift erfrculich. Hervorragendc Künftlcr haben
Entwürse zu Spitzcn gemacht. Doch künstlerisch be-
sricdigende Lösungen, so scheint mir, hat man nur sclten
gcfunden. Erst mit dcr Zeit, wcnn die Form wieder
aus der Technik hervorwächst, wird sich die Spitze,
dieseö edelste kunstgewcrbliche Erzeugniö der Rcnaissance,
zu wahrhast ästhctischcr Bedeutung erhcben.

vr. G. Eugen Lüthgcn.

2?2
 
Annotationen