Kirmes.
kleiner und kleiner, und hinter ihm her zog sich ein
goldener Schweif. Das war das Gestwn, das ihm aus
den Armen entwich.
Da ergriff ihn Angst. Er wollte schreien — schreien—
Er schrie noch mit offenen Augen, hoch ausgerichtet
im Bett. Plötzlich lachte er laut. „Ein so dummer
Traum! Das ist doch das erfte Mal, daß ich geträumt
hab, so lang ich denken kann." Dann sprang er aus
dem Bett und tauchte Kops und Hals und Bruft in
kaltes Wasser.
Der Spiegel aber ries ihm zu: „Du, hcutc ift KirmeS."
Da nahm er das scharfe Messer und zog es am Leder-
riemen ab. Schmierte sich den Stoppelbart voll Seife
und rasierte sich sein, daß die glatte Haut ganz blau
aussah.
Denn heute ift Kirmes. — —
I!. Am Tag.
Die Gänse.
Als am zeitigen Morgen die Gänse aus dcm Stall
gelassen wurden, sehlten einige. Gerade die jungen, am
beften geratenen FrühjahrSkinder fehlten.
„Wo sind sie?"
„Ach nee, ach nee, sie sind geschlachtet!"
„Waö, geschlachtet?"
„Ja, geschlachtet. Habt ihr sie nicht schreien gehört
geftern abend?" Da erhob sich Jammern und Weh-
schnattern. Die Alten wußten Bescheid- Sie kannten das
Unglück und erzählten den Jungen: „Kirmes ift heute.
Kirmes feiern die Bauern. Daö kostct Gänseblut,
Gänseblut. Ach wir Armen! So gehtS jedes Jahr,
jedes Jahr."
Wie schricn die bedauernöwerten Gänse! Jn ihrer
Aufregung liefcn sic über die Dorsstraße und wußten
nicht, wohin. Lauerte doch in jedcm Haus ein Feind.
Ach, der eigene Herr war der bösefte Feind.
„Wir fliegen sort."
„Jä, jä, wir fliegen sort."
Mit lautcm Geschrei erhoben sie sich in die Luft
und flattcrten über das Pflafter. Aber ach, es ging
nicht weit.
Da weinten die Gänse. Habt ihr schon einmal
Gänse weinen gesehn?
Am Kirmestag aber weinten sie. Und dann ver-
suchten sie wieder sortzufliegen. Aber ach, Gänsefett
schwimmt lcicht auf dem Waffer, doch schwer in der Lust.
Die Baucrn, die im Sonntagskleid vor die Türen
traten, lachten:
„Heute ist Kirmcs; ei, sogar die Gänse werden
vergnügt."
Die Glocke.
„Kommt, kommt alle in die Kirche; kommt —
kommt!"
Die Glocke rief vom Turm. Sie rief klagend, die
Vielhundertjährige, alö sähe sie nicht den Sonnenschein,
als hörte sie nicht das sröhliche Lachen, als wüßte sie
nicht, daß hcute KirmeS sei.
Das alte Gebälk des Glockenftuhls knarrte. „Hähä"
knarrte eö, „hähä, du alte Tugendjungser. Du Gries-
grämlichkeit. Gönnft du nicht den Leuten ihre Freude?
Nur einmal im Jahr ist Kirmes."
Die Glocke klang noch nach vom letzten klagenden
Ruf. Sie seufzte. „Was soll diese sündige Kirmes?"
seufzte sie. „Weiß einer von den Burschen, eins von
den Mädchen, wissen auch nur die Alten noch die wahre
Bedeutung der Kirmeö? Sie sressen und sausen und
tanzen und treiben sündigen Unsug. In die Kirche
gehn sie nicht anders als um ihre Steuern abzusitzen.
O ihr Sündigen, ihr Fleischlichen!
Die Welt ist unsromm geworden. Er, den sie den
Reformator nennen, er hat sie dem Teufel verschrieben.
Ach, wie seierlich war die Kirchweih srüher. Wie in-
brünstig knieten die Priester in den Betstüblcn. Wie
leuchteten die heiligen Reliquien unter dem geweihten
Wasser, das sie mit gottgesälligen Edelfteinen besäte.
Und der Engel der Versöhnung ging durch die kniende
Gemeinde, um segnend die Hand auf die Häupter
reuiger Sünder zu legen."
Die Glocke klagte. Und wieder ries sie: „Kommt —
kommt — komint —." „Du phantasierst" knarrte das
Gebälk. „Was hat die Kirmeö jetzt noch mit deiner
Kirchweih zu tun! Sie wurde längst ein bürgerliches
Fest, allüberall. Du weißt, ich bin nicht gottloö, denn
gar zu lange trage ich dich Fromme schon und schaukcle
dir die Klänge aus dem Leib. Aber laß doch den Leuten
ihre Kirmeö als cin Fcst, an dem sie sroh sind. Sie
sind so selten froh. Und in die Kirche gehn, das macht
nicht sroh. Laß die Männer sausen, die Weiber schwätzen,
die Mädchcn tanzen und die Burschen küssen, und ärgere
dich nicht, sonft springt am Ende dein mürbes Erz,
altc Heilige."
Die Glocke aber seuszte nur. Da bekam sie einen
Ruck. Der Küster zog an der Leine, das Gebälk knarrte,
und zum dritten Mal rief sie klagend: „Kommt, kommt
in die Kirche, ihr alle, ihr Weltlichen. Kommt —
kommt!"
Die Kanzel.
Müde ftand der Pfarrer auf der Kanzel. Müde
und gelangweilt. Die Hand legte er auf die Predigt,
die alte, die er jedes Jahr um Kirmeszeit von neuem
sprach. Ein Jahr lang behielt kein Bauer seine Predigt.
Die Augen des Pfarrers schweisten nach oben. Schwer
und unbeholsen hing über ihm der steinerne Baldachin.
„Wozu die ewige Komödie, wozu nur?" dachte der
Pfarrcr. „Hier nmß ich stehn und predigen, predigen,
um den Bauern ihren Tanzboden zu sanktionieren.
Muß predigen vom Sinn und Iweck der kirchlichen
Jnstitution und weiß, daß keiner mir zuhört; denn die
Bauern dösen und sreuen sich auf die Gänse, die zu Haus
im Bratosen schmoren."
Da duckte er sich. Es war ihm, als hätte der
steinerne Baldachin drohend geknackt. „Willst du die
sündigen Gedanken lassen, gottloser Sohn Gottes!"
klang' es auö der Kanzel ihm zu. Der Psarrer aber
lächelte nur müde. Dann predigte er die Predigt, die
alte, die er jedes Jahr zur Kirmes von neuem sprach.
Weshalb sich mühn? Die Bauern schliefen ja doch
im Geftühl und träumten vom Kirmeöbraten und vom
Tanz- Wenn am Abend die Musik herüberschallte ins
kleiner und kleiner, und hinter ihm her zog sich ein
goldener Schweif. Das war das Gestwn, das ihm aus
den Armen entwich.
Da ergriff ihn Angst. Er wollte schreien — schreien—
Er schrie noch mit offenen Augen, hoch ausgerichtet
im Bett. Plötzlich lachte er laut. „Ein so dummer
Traum! Das ist doch das erfte Mal, daß ich geträumt
hab, so lang ich denken kann." Dann sprang er aus
dem Bett und tauchte Kops und Hals und Bruft in
kaltes Wasser.
Der Spiegel aber ries ihm zu: „Du, hcutc ift KirmeS."
Da nahm er das scharfe Messer und zog es am Leder-
riemen ab. Schmierte sich den Stoppelbart voll Seife
und rasierte sich sein, daß die glatte Haut ganz blau
aussah.
Denn heute ift Kirmes. — —
I!. Am Tag.
Die Gänse.
Als am zeitigen Morgen die Gänse aus dcm Stall
gelassen wurden, sehlten einige. Gerade die jungen, am
beften geratenen FrühjahrSkinder fehlten.
„Wo sind sie?"
„Ach nee, ach nee, sie sind geschlachtet!"
„Waö, geschlachtet?"
„Ja, geschlachtet. Habt ihr sie nicht schreien gehört
geftern abend?" Da erhob sich Jammern und Weh-
schnattern. Die Alten wußten Bescheid- Sie kannten das
Unglück und erzählten den Jungen: „Kirmes ift heute.
Kirmes feiern die Bauern. Daö kostct Gänseblut,
Gänseblut. Ach wir Armen! So gehtS jedes Jahr,
jedes Jahr."
Wie schricn die bedauernöwerten Gänse! Jn ihrer
Aufregung liefcn sic über die Dorsstraße und wußten
nicht, wohin. Lauerte doch in jedcm Haus ein Feind.
Ach, der eigene Herr war der bösefte Feind.
„Wir fliegen sort."
„Jä, jä, wir fliegen sort."
Mit lautcm Geschrei erhoben sie sich in die Luft
und flattcrten über das Pflafter. Aber ach, es ging
nicht weit.
Da weinten die Gänse. Habt ihr schon einmal
Gänse weinen gesehn?
Am Kirmestag aber weinten sie. Und dann ver-
suchten sie wieder sortzufliegen. Aber ach, Gänsefett
schwimmt lcicht auf dem Waffer, doch schwer in der Lust.
Die Baucrn, die im Sonntagskleid vor die Türen
traten, lachten:
„Heute ist Kirmcs; ei, sogar die Gänse werden
vergnügt."
Die Glocke.
„Kommt, kommt alle in die Kirche; kommt —
kommt!"
Die Glocke rief vom Turm. Sie rief klagend, die
Vielhundertjährige, alö sähe sie nicht den Sonnenschein,
als hörte sie nicht das sröhliche Lachen, als wüßte sie
nicht, daß hcute KirmeS sei.
Das alte Gebälk des Glockenftuhls knarrte. „Hähä"
knarrte eö, „hähä, du alte Tugendjungser. Du Gries-
grämlichkeit. Gönnft du nicht den Leuten ihre Freude?
Nur einmal im Jahr ist Kirmes."
Die Glocke klang noch nach vom letzten klagenden
Ruf. Sie seufzte. „Was soll diese sündige Kirmes?"
seufzte sie. „Weiß einer von den Burschen, eins von
den Mädchen, wissen auch nur die Alten noch die wahre
Bedeutung der Kirmeö? Sie sressen und sausen und
tanzen und treiben sündigen Unsug. In die Kirche
gehn sie nicht anders als um ihre Steuern abzusitzen.
O ihr Sündigen, ihr Fleischlichen!
Die Welt ist unsromm geworden. Er, den sie den
Reformator nennen, er hat sie dem Teufel verschrieben.
Ach, wie seierlich war die Kirchweih srüher. Wie in-
brünstig knieten die Priester in den Betstüblcn. Wie
leuchteten die heiligen Reliquien unter dem geweihten
Wasser, das sie mit gottgesälligen Edelfteinen besäte.
Und der Engel der Versöhnung ging durch die kniende
Gemeinde, um segnend die Hand auf die Häupter
reuiger Sünder zu legen."
Die Glocke klagte. Und wieder ries sie: „Kommt —
kommt — komint —." „Du phantasierst" knarrte das
Gebälk. „Was hat die Kirmeö jetzt noch mit deiner
Kirchweih zu tun! Sie wurde längst ein bürgerliches
Fest, allüberall. Du weißt, ich bin nicht gottloö, denn
gar zu lange trage ich dich Fromme schon und schaukcle
dir die Klänge aus dem Leib. Aber laß doch den Leuten
ihre Kirmeö als cin Fcst, an dem sie sroh sind. Sie
sind so selten froh. Und in die Kirche gehn, das macht
nicht sroh. Laß die Männer sausen, die Weiber schwätzen,
die Mädchcn tanzen und die Burschen küssen, und ärgere
dich nicht, sonft springt am Ende dein mürbes Erz,
altc Heilige."
Die Glocke aber seuszte nur. Da bekam sie einen
Ruck. Der Küster zog an der Leine, das Gebälk knarrte,
und zum dritten Mal rief sie klagend: „Kommt, kommt
in die Kirche, ihr alle, ihr Weltlichen. Kommt —
kommt!"
Die Kanzel.
Müde ftand der Pfarrer auf der Kanzel. Müde
und gelangweilt. Die Hand legte er auf die Predigt,
die alte, die er jedes Jahr um Kirmeszeit von neuem
sprach. Ein Jahr lang behielt kein Bauer seine Predigt.
Die Augen des Pfarrers schweisten nach oben. Schwer
und unbeholsen hing über ihm der steinerne Baldachin.
„Wozu die ewige Komödie, wozu nur?" dachte der
Pfarrcr. „Hier nmß ich stehn und predigen, predigen,
um den Bauern ihren Tanzboden zu sanktionieren.
Muß predigen vom Sinn und Iweck der kirchlichen
Jnstitution und weiß, daß keiner mir zuhört; denn die
Bauern dösen und sreuen sich auf die Gänse, die zu Haus
im Bratosen schmoren."
Da duckte er sich. Es war ihm, als hätte der
steinerne Baldachin drohend geknackt. „Willst du die
sündigen Gedanken lassen, gottloser Sohn Gottes!"
klang' es auö der Kanzel ihm zu. Der Psarrer aber
lächelte nur müde. Dann predigte er die Predigt, die
alte, die er jedes Jahr zur Kirmes von neuem sprach.
Weshalb sich mühn? Die Bauern schliefen ja doch
im Geftühl und träumten vom Kirmeöbraten und vom
Tanz- Wenn am Abend die Musik herüberschallte ins