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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 11
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Carolus: Nebel am Rhein
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0189

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Nebel am Rhein.

trupp-tripp klatschte es auf Hut und Rock. Es taute.
Der Nebel taute auf; denn hinter ihm, für uns noch
unsichtbar und unfühlbar, brannte die Sonne, biS sie
sich am Mittag endlich durchgearbeitet hatte.

Nun ist ganz Herbst: die Nebel sind da.

Vom Nebel möchte ich jetzt etwas sagen, ihn
rühmen, ihn feiern, etwas von sciner Schönheit ver-
künden, einer Schönheit, die nirgend so herrlich ist
wie am Rhein. Für den Rhein ist Nebel der Be-
griff von Atmosphäre: Dunst und Nebel zusammen.
An sich ist Nebel Nähe, Dunst ist Weite. Nebel ist
fühlbar, Dunst nur sichtbar. Nebel ist farblos, Dunst
ein Mecr von Farben. Ja, Dunst ist ein ungemein
schönes Spiel der feinsten Farben, Dunst gibt der
weiten Landschast Farben, Leuchlkraft und Unendlich-
keit, Dunst macht aus einer Farbe hundcrt Nuancen.
Dunst auch ist nichts andereö als Atmosphäre.
Nichts anderes; aber weiß einer mir eine Land-
schast zu sagen, in der diese Atmosphäre herrlicher ist
als am Rhein? Nein, hier ist Atmosphäre vicl zu
wenig gesagt, hier ist auch Dunst nur ein Teilbegriff;
Nebel am Rhein, das ist das Richtige: Atmosphäre,
Dunst und Nebel zusammen; Nebel am Rhein ist
das Märchen der Lorelei, Nebel ist die Schönheit
des Rheins.

Als ich im Winter zuerst an den Rhein kam,
sagten mir alle Leute: Warten Sie den Frühling ab;
im Frühling erst werden Sie sehen, wie schön unser
Rhein ist, wie farbenbunt: wenn alle Hänge blühen
mit Apselhainen, Kirschen-, Aprikosen-, Pfirsichgärten.
Ich habe ihnen gleich nicht recht geglaubt. Denn auch
im Winter blüht das rheinische Land, wer weiß, vielleicht
noch viel viel schöner als im Frühling; nur nicht so
sichtbar, nicht so deutlich, nicht so aufdringlich. Kein
Pfirsichgarten, keine Apfelblüte, kein Knospen junger
Birkenhaare malt die zarten Tausendfarben des blühenden
rheinischen Nebels. Wenn Blau und Blau und Blau,
und glasiges Grün und helles Lila, dunkleö Violett
und roteS Braun wie feine Adern, wie Lichter und
Schatten sich durch daS weite Dunstmeer der breiten
bergumrandeten Ebene am Mittel- und Niedcrrhein
zogen, wenn auf der Wunderfahrt von Koblenz nach
Bingen an jeder Biegung des gewundenen Stroms die
zweite und dritte und vicrte und fünfte Biegung in
immer blaffer, immer heller werdenden Silhouetten
schön geschwungener Bergprofile hintcr dem schweren
dunstigen Eck auftauchte, dann war das wie ein Schleier-
tanz vor den Augen. Wenn gegen Sonnenuntergang
die zahllosen Brüste der langgestrcckten Eifel sich ent-
hüllten und verhüllten und wieder strahlend ent-
blößten, niemals sonnenklar, doch leuchtend wie ein
Transparent oder wie die feinen verblaßten Farben
alter gotischer Kirchenfenster, bis auch der letzte
Sonnenstrahl sie gestreichelt hatte, und nun von unten
über den Horizont die weiche rote Glut cmporquoll
und den Himmel mit lächelnder Scham überzog,
während, wenn man sich plötzlich umwandte, aus
dem nun dunkelnden Osten ein schweres Blau wie
Jndigo und Paynes Gray näher und immer näher
wuchtete — mein Gott, ihr Leute vom Rhein, ist das
nicht Farbe?

Jhr törichten Reisenden auch! Wenn ein trüber
Tag aus dem Morgen fteigt, bleiben die Rheindampfer
leer, weil „die AuSsicht nicht schön ift". Was ift Auö-
sicht? Wenn man „alles" sieht? „Alleö" sieht man
im Panorama wunderschön. Sucht ihr den viel-
gerühmten Rhein und meidet seinen Nebel, der seine
Eigenart und seine eigentliche große Schönheit ift?
Glaubt ihr, Weinberge und Burgen gäben eine Rhein-
landschaft? Berge und Burgen sind Photographen-
ähnlichkeit. Berge und Burgen sind tote Dinge, die
man photographieren kann. Lebendig macht sie erst der
vieltausendsarbige Nebel am Rhein.

Nun lächelt der Herr Mehrwieklug. „Tausend-
farbige Nebel? Nebcl ist grau. Tausendfarbige Nebel?
Farbe heißt Sonne." Ja, sind denn Sonne und Nebel
so feindliche Dinge? Heißt Nebel Regen? Gibt eö
nicht Sonnennebel? O, Herr Mehrwieklug, mach die
Augen auf! Macht das Herz auf, ihr Hinterlinsen.
Keine Jahreszeit gibt es und keinen Tag, kaum eine
Stunde, in der die große schöne Rheinlandschaft sich
unverhüllt zeigt. Aber ihr Kleid ist nicht von englischem
Modestoff und Schnitt. Jhr Kleid ist auö duftfeinen
farbigen Schleiern leicht geschlungen. Wer nicht am
Rhein die märchenschönen, zauberhaften Farben der
Atmosphäre sah, der soll zum Augenarzt gehen, um
sich den Grauen Star schneiden zu laffen. Hier braucht
man nicht, wie Kinder manchmal tun, die Hände feft
auf die geschloffenen Augenlider zu drücken, um alle
Farben des Sonnenspektrums zum Tanz zu locken.
Nur offene, weit offene Augen brauchtS, offen bis ins
Hirn, offen bis ins Herz: und aus dem Atem der
Weite fteigen Farben, steigen alle Farben, die man mit
Weiß zu mischen vermöchte.

Noch andere Wunder vollbringt der Nebel. Jch
entsinne mich eineS WintertagS: alö wir nach kurzem
Steigen durch halbgeschmolzene Schneepfützen am späten
Nachmittag des Februars, der fast schon Abend wurde,
anf der Höhe standcn, war alle Weite grau verhüllt.
Wagerecht in den Himmel geschnitten — wir wußten
nicht, wo der Horizont Erde und Firmamcnt trennte —
klaffte ein langer Spalt und dicht darüber noch ein
kürzerer. AuS der himmlischen Schale quoll märchen-
hafte Glut zitternd und funkelnd hervor, nicht wie
Blut, nicht wie Flammen, sondern unruhig slimmernd
und drängend wie ein dichtgeballter Schwarm von
flatternden Sternen. Sie quoll über die scharfen
Ränder der Schnittwunde hinauS, alö wollte sie sich
in das Nebelmeer ergießen, und blieb doch gebannt wie
von unsichtbarer Gewalt ineinander, auseinander, durch-
einander schwellend, leuchtend hängen. Wie cine zauber-
volle Fata Morgana war das, und ich wüßte nicht
das freudig erschrockene Zittern meines Herzens zu be-
schreiben, dem durch die staunenden Augen dies goldene
Wunder zufloß. Ünd dennoch war dieS Wunder so
einfach wie alle Wunder. Hinter dcm Nebel ging die
Sonne unter, keiner ihrer Strahlen drang durch den
Dunft zu uns herüber, keiner der Strahlen vermochte
auf der von dichten Nebelschleiern bedeckten weiten
Rheinebene einen Widerschein zu wecken. Nur der
Spiegel deS Stroms fing mit seinen kriftallenen
Wellenaugen das glühende Licht der Üntergehenden auf.


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