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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 12
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Bie, Oscar: Kulturgeschichte des Stuhls
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0214

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Klappstuhl mit Lederpolster (lö. Jahrh.).

Jtalienischer Stuhl
(Cnde des >S. Jahrh.).

Jtal. Armsesscl d. 17. Iahrh. a. geschn. Nußbaumholz.
Bezug a. gelber Leinwand m. Applikationen v. Samt.

Avallon ist ein solchcr Stuhl bekannt. Später wird
das Traillenmotw auch aus sechöcckige Stüble ange-
wendet, die sich ansehnlich verbreitern und einem Thron-
sosa ähnlich sind, daö aus dem bi8sllium sich gebildet
hat. Chriftus sitzt aus solchein Thron. Der alte Klapp-
stuhl, auch ohne Mechanik, blcibt bcstehn. Aus Feld-
zügen werden praktikable Klappstühle aus Bronze für
den Führer mitgenoniincn, im Fricdcn wcrdcn sie pom-
pös ausgestaltet. Das bekannteste Beispiel ift der
Dagobertthron in Paris, aus karolingischer Ieit, später
crgänzt. Die Form deö Klappstuhlö in Bronze ist zu-
grunde gelegt, drei Angeln verbinden Hinter- und
Vorderseite, Greisen trcten an die Stelle vertikaler
Verbindungen der Kreuzbeine, eine in Gußarbcit üppig
verzierte, reich herumgebogene Rücklehnc steigert den
Luxuö.

Wie i» der byzantinischen Ieit die großen Pracht-
sitze Bauten im byzantinischen Stil waren, mit reicher
Einlegearbeit und äußerlich koordiniertem Schmuck, so
wurden die gotischen Zeremonieftühle Abbreviaturen des
Lettners und der Fialendächer. Es gibt gewaltige
Prachtstühle in gotischer Manier, wie der Krönungs-
stuhl dcr Westminsterabtei, aber waö an ihncn inter-
essiert, ist nichts Konstruktives, sondern daö sormale
Bekenntniö einer Epoche, die eine konstruktive bauliche
Anschauung, nicht das Orga» für die cinzelnc Funktion
hatte. Mathematik und Märchen wachsen in dicser
Architekturmusik zusammen.

Der Unterschied zwische» den gotischen und Renais-
sancemöbeln ist zum großen Teil daraus gegründet, daß
das gotische Möbel gebundener, das Renaissancemöbel
freier ist. Die Gotik hat im Iimmer cine zusammen-
hängende Architcktur ausgebildet, in der schwer ein
Stück vom andern zu lösen ift. Hier im Gegensatz zu
der Lde der romanischcn Tektonik kommt zum ersten
Mal der häusliche, städtische, bürgerliche Sinn zum
Durchbruch, das Organ sür Jnnendckoration. Aber die

gotische Jnncndekoration ist noch korporativ, sie bindct
die Möbel an dic bestünmte Stelle der Wand; sie ver-
ankert sie mit ihrer Umgcbung. Was die Gotik an
der seste» Wand geschaffen hat, die Motive der Bänke,
Paneele, Truhensitze, Baldachine, Schränke, läßt die
Renaissance immer sreiheitlicher und individueller los,
und einfache sreistehende Möbel, wie Stühle und
Schränke, behandelt sie mit aller Betonung isolierter
Körperlichkcit. Ein gotischer Stuhl ist ein Truhensitz,
an der Hinterscite ost roh bearbeitet, weil er von der
Wand niemals losgerückt wird, oder er ist ein Herrscher-
sitz, der auf das Podium gebannt ist, der an seine
Stclle im Chor gefeffelt ist, odcr er verbindet sich
mit einem Stück Wand und einer Decke so sest, daß der
Baldachin an seinem Rücken nachwächst — ein Renaissance-
stuhl dagegen ist cin Möbcl, daS man in die Hand
nehmcn und dorthin stctlen kann, wo man es braucht,
cin Stück der neuen srcicn Geselligkeit und pcrsönlichen
Behaglichkeit.

Jnzwischen bildct sich der ländliche Stuhl nach naiven
Grundsätzen, nach dcn Ursormen des ornamentalen Emp-
findcns: Schmuck und Konstruktion. Awei ländliche
Techniken des Mittclalters zeigen unS die Beispiele.

Aus dem Skandinavien des 12. und IZ. Jahr-
hunderts ift eine Anzahl merkwürdiger Stükle erhalten,
die an spielender Flächenornamentik Ubersluß haben.
Alles ist in Holz geschnitzt. Die viercckigen Psosten
der Beine, die Bretter zwischen diesen, und zwischen
diesen Brettern wieder cinzelne aus Kreisen und Herz-
sormen sich zusammensctzende Vertikalverbindungen, die
Rücklehnen, dic in derselben Art kreuz und quer ver-
bunden sind, die obere Breitleiste der Rücklehne, die
geschwungencn Einsätze zwischen Sitz und Rücken -
alles ist durchgcschnitzt. Oft ist der untere Teil auch
vielfach als Kasten behandelt und bis in alle Winkel
geschnitzt mit Rankenmotiven, den Sternen, den Tieren,
den Medaillonö, die den Bestand altnordischer Orna-

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