Kulturgeschichte des Stuhls.
rust alle Möglichkeilen heraust die ein Kräftespiel in
diescm engen Rahmen bieten kann. Eö macht die
Hände des Künstlers sicher.
Und zwischcn dcn Extrcmen läßt sich der Künstlcr
durch die Fülle der vcm der Geschichte gegebenen Motive
anregcn: vom Bauernschcmel bis zum Rokokofauteuil,
vom Renaissancelehnstuhl biö zum Bicdcrmcicrsosa läuft
cr die ganze Skala von gesättigtcn Kulturcn ab, um
nachahmend oder modernisierend die Bedürfnisse der
Zcit mit dcr Ruhe dcr Uberlicferung zu durchsetzen und
zu zivilisiercn.
Und zulctzt wirft cr sein Auge auch auf andcre
Techniken, die ihm neue Fonncn gcbcn könntcn. AuS
dcr Korbflechtcrci gewümt cr, nachdem ihm dcr Strand-
korb so beherzigcnswerte Anregungen gegeben, eine
Rcihe reizender, anmutigcr Formcn, wienerisch flott,
sür daö leichte Fauteuil. DaS in der Hitze gcbogcne
Holz versucht er zu Stuhlgebilden ciner Ärt tcchnischer
Asthetik zu zwingen. Die Binsen verwendet er wicder
sür dcn Sitz; Ledcrgurten nach japanischem Muster
müssen gleichsalls darin experimcntieren. Dazwischcn
arbeitet ihm die anonyme praktische BedarsSlicserantin
des Tageö nur in die Hände: der Triumphstuhl, aus
einem Klappgestell mit einem Läufcr, hat durch die
hübsche Einfachheit sciner Konstruktion und die leichte
farbige Beweglichkeit eine neue Note auf den Strand,
in den Garten, aus den Balkon gebracht. Der Eisen-
gartenstuhl aber harrt noch seiner.
So hat der Stuhl seinen Herrn durch die Geschichte
treu beglcitet. Er hat alle sozialen Formen der Ge-
bundenheit, der Korporation, deö Stilö, selbst der Stil-
maökerade mit ihni durchgcmacht, um ihm jetzt die
persönliche Vollmacht über seine Form und seine Be-
stimmung zu übergeben. Er verlangt jetzt von ihm
dic Treue, die er selbst ihm bisher bewahrt hat. Der
Herr dars sich auö den Ensembles, die die soziale
Entwicklung geschaffen, wählen, was ihm scin Übcr-
liefcrungöorga» empfiehlt. Aber er darf nicht ver-
gessen, daß dicse soziale Gebundenheit ausgehört hat,
und alleö Wohl von der persön-
lichen Bezichung abhängt, die er zu
dem Gegenstand sciner dekorativen
Licbe ausbildct. Die Stühle haben
aufgehört zu sein, es gibt nur noch
den Stuhl. Ob cr auö dem histo-
rischen odcr dcm gegenwärtigen Emp-
finden heraus gewählt und gestaltet
ist, ob er ein Schmuckgedicht oder
cin konstruktiveö Gesetz darstellt, daS
macht eö uicht. Er will nur, nach-
dem er die Gemcinschast mit seinen
kunstgewcrblichen Brüdern durch den
notwendigcn Lauf der Geschichte ver-
loren hat, in sciner selbständigen
Eriftenz nichts Iusälligcö und Will-
kürliches mehr gouticren, sondern in
einer durch pcrsönliche Liebe und
Verfassung gewährleistcten Organi-
sation aufgehen und durch seine Gel-
tung im Jntcricur der Gemeinschast
das zurückgcben, was sie ihm in den
Zeiten der Erziehung durch dcn Stil
einst geleistet hat. Oöcar Bic.
Biedermeier- Stuhl.
raffinierter Ungebundenheit in die bewußte Sphäre per-
sönlicher Gestaltung und ruft alle Schmucksrcuden der
Vergangenheit, alle Konstruktionsorgane dcr Gegen-
wart zu Zeugen an, daß er nach seiner Wahl und Be-
ftimmung srci und zwcckvoll das Kunstwcrk deö
fitzcndcn Menschcn formc.
Sie schüttcn ihre Phantasie auö. Carabin erfindct
cinen Stuhl, dcr aus zwci vcrschränkten menschlichen
Figuren ruht, dic Lehucn werdcn von Katzcn getragcn,
Mäuse lausen auf ihnen herum. Auf cinem andcrn
ist cin Wcib in die Rücklchne verstrickt, und Katzcn,
dic die Armstützen tragen, sauchen sie an. Jean Dampt
erfindet cinen Kinderstuhl, der cincn niedrigcn Sitz ohnc
Fußbank hat und cine dreimal so hohc spitzlcitcrförmigc
Lchnc, zwischcn der in dcr Höhe deö Kopses ganz un-
vcrmittclt cine mit Blumcnintarsien verzierte Plattc
cingelassen ist, oben in zwci drollige Kinderformcn aus-
laufend, die sich umarmen. Es sind seltcne AuS-
geburtcn dcs crcrbten SchmucksinnS, der die Konstruktion
so verachtet, daß er sie karikicrt.
Den konstruktiven Stuhl arbeitet gleichzeitig Plumet.
Auf leise nach außen im Bogcn gcsprciztcn Beincn ruht
ein breitovaler Sitz, dessen Armlehnstützen die Fort-
setzung dcr Vorderbcinc bildcn, währcnd die Armlehncn
selbst in eincm anmutigen Bogcn auS der Rücklehne
kommcn; diese wiederum ist die Fortsetzung der Hinter-
beine und mit vcrtikalcn Stäbcn gesüllt, die ihre ge-
schwungenen Konturen ausnehmcn. Konstruktive Stühle
arbeiten zahllose andere Künstlcr, in einer immer wieder
neuen Kombination die Gerüste deö SitzeS tektonisicrend,
die Kräfte und Verstrebungen dieseö BaueS zur orga-
nischen Form bildend, bis zum Eindruck deö sitzenden
Körperö im neucn amerikanischen Stuhl. Wie die
Rücklehne mit den Hinterbeincn, die Armlehne mit dcn
Vordcrbcinen, Rück- und Armlchne untereinander und
die Beinc wieder untcrcinander in funktionelle Be-
ziehungcn treten können, ist das Problcm, daS täglich
neu angefaßt und ncu gelöst wird. Es scheint, gerade
bcim Stuhl, eine Ausqabe von unendlichcm Reize. Es
4ir
rust alle Möglichkeilen heraust die ein Kräftespiel in
diescm engen Rahmen bieten kann. Eö macht die
Hände des Künstlers sicher.
Und zwischcn dcn Extrcmen läßt sich der Künstlcr
durch die Fülle der vcm der Geschichte gegebenen Motive
anregcn: vom Bauernschcmel bis zum Rokokofauteuil,
vom Renaissancelehnstuhl biö zum Bicdcrmcicrsosa läuft
cr die ganze Skala von gesättigtcn Kulturcn ab, um
nachahmend oder modernisierend die Bedürfnisse der
Zcit mit dcr Ruhe dcr Uberlicferung zu durchsetzen und
zu zivilisiercn.
Und zulctzt wirft cr sein Auge auch auf andcre
Techniken, die ihm neue Fonncn gcbcn könntcn. AuS
dcr Korbflechtcrci gewümt cr, nachdem ihm dcr Strand-
korb so beherzigcnswerte Anregungen gegeben, eine
Rcihe reizender, anmutigcr Formcn, wienerisch flott,
sür daö leichte Fauteuil. DaS in der Hitze gcbogcne
Holz versucht er zu Stuhlgebilden ciner Ärt tcchnischer
Asthetik zu zwingen. Die Binsen verwendet er wicder
sür dcn Sitz; Ledcrgurten nach japanischem Muster
müssen gleichsalls darin experimcntieren. Dazwischcn
arbeitet ihm die anonyme praktische BedarsSlicserantin
des Tageö nur in die Hände: der Triumphstuhl, aus
einem Klappgestell mit einem Läufcr, hat durch die
hübsche Einfachheit sciner Konstruktion und die leichte
farbige Beweglichkeit eine neue Note auf den Strand,
in den Garten, aus den Balkon gebracht. Der Eisen-
gartenstuhl aber harrt noch seiner.
So hat der Stuhl seinen Herrn durch die Geschichte
treu beglcitet. Er hat alle sozialen Formen der Ge-
bundenheit, der Korporation, deö Stilö, selbst der Stil-
maökerade mit ihni durchgcmacht, um ihm jetzt die
persönliche Vollmacht über seine Form und seine Be-
stimmung zu übergeben. Er verlangt jetzt von ihm
dic Treue, die er selbst ihm bisher bewahrt hat. Der
Herr dars sich auö den Ensembles, die die soziale
Entwicklung geschaffen, wählen, was ihm scin Übcr-
liefcrungöorga» empfiehlt. Aber er darf nicht ver-
gessen, daß dicse soziale Gebundenheit ausgehört hat,
und alleö Wohl von der persön-
lichen Bezichung abhängt, die er zu
dem Gegenstand sciner dekorativen
Licbe ausbildct. Die Stühle haben
aufgehört zu sein, es gibt nur noch
den Stuhl. Ob cr auö dem histo-
rischen odcr dcm gegenwärtigen Emp-
finden heraus gewählt und gestaltet
ist, ob er ein Schmuckgedicht oder
cin konstruktiveö Gesetz darstellt, daS
macht eö uicht. Er will nur, nach-
dem er die Gemcinschast mit seinen
kunstgewcrblichen Brüdern durch den
notwendigcn Lauf der Geschichte ver-
loren hat, in sciner selbständigen
Eriftenz nichts Iusälligcö und Will-
kürliches mehr gouticren, sondern in
einer durch pcrsönliche Liebe und
Verfassung gewährleistcten Organi-
sation aufgehen und durch seine Gel-
tung im Jntcricur der Gemeinschast
das zurückgcben, was sie ihm in den
Zeiten der Erziehung durch dcn Stil
einst geleistet hat. Oöcar Bic.
Biedermeier- Stuhl.
raffinierter Ungebundenheit in die bewußte Sphäre per-
sönlicher Gestaltung und ruft alle Schmucksrcuden der
Vergangenheit, alle Konstruktionsorgane dcr Gegen-
wart zu Zeugen an, daß er nach seiner Wahl und Be-
ftimmung srci und zwcckvoll das Kunstwcrk deö
fitzcndcn Menschcn formc.
Sie schüttcn ihre Phantasie auö. Carabin erfindct
cinen Stuhl, dcr aus zwci vcrschränkten menschlichen
Figuren ruht, dic Lehucn werdcn von Katzcn getragcn,
Mäuse lausen auf ihnen herum. Auf cinem andcrn
ist cin Wcib in die Rücklchne verstrickt, und Katzcn,
dic die Armstützen tragen, sauchen sie an. Jean Dampt
erfindet cinen Kinderstuhl, der cincn niedrigcn Sitz ohnc
Fußbank hat und cine dreimal so hohc spitzlcitcrförmigc
Lchnc, zwischcn der in dcr Höhe deö Kopses ganz un-
vcrmittclt cine mit Blumcnintarsien verzierte Plattc
cingelassen ist, oben in zwci drollige Kinderformcn aus-
laufend, die sich umarmen. Es sind seltcne AuS-
geburtcn dcs crcrbten SchmucksinnS, der die Konstruktion
so verachtet, daß er sie karikicrt.
Den konstruktiven Stuhl arbeitet gleichzeitig Plumet.
Auf leise nach außen im Bogcn gcsprciztcn Beincn ruht
ein breitovaler Sitz, dessen Armlehnstützen die Fort-
setzung dcr Vorderbcinc bildcn, währcnd die Armlehncn
selbst in eincm anmutigen Bogcn auS der Rücklehne
kommcn; diese wiederum ist die Fortsetzung der Hinter-
beine und mit vcrtikalcn Stäbcn gesüllt, die ihre ge-
schwungenen Konturen ausnehmcn. Konstruktive Stühle
arbeiten zahllose andere Künstlcr, in einer immer wieder
neuen Kombination die Gerüste deö SitzeS tektonisicrend,
die Kräfte und Verstrebungen dieseö BaueS zur orga-
nischen Form bildend, bis zum Eindruck deö sitzenden
Körperö im neucn amerikanischen Stuhl. Wie die
Rücklehne mit den Hinterbeincn, die Armlehne mit dcn
Vordcrbcinen, Rück- und Armlchne untereinander und
die Beinc wieder untcrcinander in funktionelle Be-
ziehungcn treten können, ist das Problcm, daS täglich
neu angefaßt und ncu gelöst wird. Es scheint, gerade
bcim Stuhl, eine Ausqabe von unendlichcm Reize. Es
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