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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 12
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Lissauer, Ernst: Neue Lyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0230

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Neue Lyriker.

sängensch-lärmende, plebejisch-rohe, plebejisch-ftarke, ist
in diesen Versen. Hoffentlich gelangt der Lichter zu
der Reife, wo er nicht mehr mit seiner Stärke protzt,
sondern, ihrer in Selbstverständlichkeit gewlß, sie ein-
ftrömen läßt in seine Anschauung, ftill und machtvoll.

Den Gedichten Felix Brauns ist, >m Gegenteil,
etwas mehr Krast ins Blut, ein wenig niehr Griff und
Faust zu wünschen. Seine Vcrse haben etwas Eng-
brüstiges wie der Körper eincs Knaben, aber auch öfters
die edle Schlankheit eineö Jünglings. Brauns Gedichte
sind durchaus Gedichte eines JünglingS. Vorsrühling
ist in ihnen; es rauscht in ihnen nicht von Meer, nicht
von Strom, nicht von Fluß, wir hören das erste
Hallen eines leisen lieben Waldbachs, der eben erst aus
den einsamen Felsen herauötritt, und an dem ganz
junge Sträucher wachsen und wehen. Das Sein in
diesen Bezirken ist Stille, ist Wind, ist Luft, ist Sonne,
ist Sehnsucht in die Weite, in die Breite, inS Strom-
werden, in die mit Leben beblühte und bebaute Ebene.
Wie viele junge Dichter, hat auch dieser nur ein Erleb-
nis durchgemacht: daß er noch nichtS erlebt hat; aber
dieses Erlebnis hat er zutiesst erlitten. Er ist noch
der Zuschauer, der von außen in das Leben hineinlugt
alö ein Zaungast:

,,All inein Wesen war nur cin Spähen und Lauschen;

war ein Warten und nach den Türen Schaucn!"

Noch ist allcs bei ihm Ahnung und nichtö Gegenwart;
charakteriftisch sür ihn sind nicht Gefühle der greif-
baren Nähe, sondern Ferngefühle: Bitte an Wald und
Wind, Heimweh nach dem Garten, Eruinerung an den
schönsten Tag. Oft hört man, wie in diesen ihm
eigenen leisen Ton die Klänge auö andern Dichtern
hineintönen, aus der älteren Romantik, auö Rilke, Hof-
mannsthal, aus manchen jüngercn Lyrikern. Die Art,
wie er die übliche liedhafte Strophe verwcndet, hat
bisweilen etwas von archaischer Freude an diesen all-
mählich altfränkisch anmutenden Rhythmen und es
stimmt hierzu, daß er den biedermeierlich-geheimbde-
ratlichen Titel aus GoetheS AuSgabe letzter Hand:
„Antiker Form sich nähernd" imitiert und böse fehl-
greifend einen Iykluö überschreibt: „Dem Volkölied sich
nähernd". Eine andere Gesahr für Brauns Entwicklung
ist daö allzustarke Betonen deö Musikalischen. Allzuoft
scheint — wie bei Rilke und Dauthendey — die Ein-
gebung durch klangliche Assoziation entstanden und von
der Änschauung und künstlerischen Logik nicht genügend
nachgeprüst, wodurch der Eindruck dcr Außerlichkeit,
der Glätte und Gleitsamkeit erzeugt wird. Es fehlt
ost am stilistischen Gefühl; er läßt etwa aus die lieben
schlichten Verse

H'ore mich an:

ich habe mir Schlimmes angetan:

Jch habe deiner sehr lange vergessen,

gcsuchte Bilder folgen:

Nun muß ich voll Leid wie die Harfe sein,

und wic geweihte Ayprefsen

mutlos mich beugen im Sonncnschein.

Das wesentliche Ergebnis dieses Lyrikbucheö ift eben-
falls Hoffnung auf Reise. Man wünscht, daß über
diesen Dichter das ftarke Leben stürze und neue Kräfte
in ihm aufsprenge, und daß er mit größerer Selbstzucht
noch sein Talent stähle. Aber die Anlage zum selb-

ständigen Fühlen und Gestalten ist vorhanden, und er
besitzt jene Güte und Liebe zur Welt, die den echten
Dichter vor dem Virtuosen auözeichnet: das Sciende
ift ihm so lieb, daß er jogar das Leid „lieb" nennt.
Es ftehen Strophen in dem Buch, um dercntwillen
man sich freut es zu besitzen:

Das Licht lischt aus, das Licht wird klcin,
jetzt ist es nur ein Edelstein:

Traumkönig wird im Aimmer sein:
schlaf ein, schlaf ein;

oder diese glückseligen Verse auf den Besuch der Geliebten:

Und Licht war .. . o Licht lag beglückt auf den Bildern,

Licht lag auf den Rahmen,

lag auf den Boden verstreut . .. und war denn der Spiegel

nicht Licht.

Weit dehnte das Zimmer sich da — und alle, die späterhin

kamen,

standen noch immer in Glanz und Wunder und wußten es

nicht!

Will Vesper gibt, wcnn auch nicht Erfüllung, so
doch mehr als Hoffnung, nämlich fast Gewißheit. Sein
Buch, „Der Segen", im Einzelnen mit einer Fülle
tauber Ieilen versifizierter Prosa, naturalistischer Ge-
schmacklosigkeiten beschwert, enthält eine Anzahl von
reichen Strophen und offenbart, darüber hinaus, eine
starke Persönlichkeit voller ethischen Willens und Selbft-
zucht:

Du gabst mir Mut dich selbst mir zu versagen ....
Denn nicht der Schwachheit, nicht der Notdurft sollen
die heiligcn Kräftc willenlos erliegen.

Nein unsre Seelen wollen,
wenn unsere Flügel stark sich biegen,
zusammen in den blütenvollen
Fruchtgarten lebendiger Liebe fliegen.

Alle Liebesgedichte dieseö Buches sind rein und stark;
fromm vertraut er der Geliebten wie der Natur selbst:

Gib deinc Hand. Gib deine Liebe. Gib
mir deine Kraft. Du bist dem tiefsten Leben
näher als ich, bist Mutter allen Seins .. .,

Bisweilen erklingen unvergänglich schöne Verse wie dieser:

„Der Abend stirbt. Die Nacht ist anmutvoll.

Cin Wunder wartet, daß cs werden soll."

Auch in Vesper ift die dichterliche „schenkende Tugend"
lebendig: sein und der Geliebten Lachen soll die Welt
gut machen:

„Und die Menschen beten feierlich
die Liebe an und die Sonne und dich."

Den beiden Dichtern, von denen zuletzt gesprochen
werden sotl, ist ei'gentümli'ch, daß bei ihnen nicht daS
Musikalisch-Gefühlsmäßige herrscht, wie bei Braun und
auch bei Vesper, sondern ein Streben nach Bewältigung
der Welt vor allem durch Anjchauung. Bei jenen ist
mehr daö Jch, bei diesen mehr das Gegenich, die Welt
betont. Leo Sternbergs „Küsten", mehr noch das
Buch „Fahnen", zeigten einen Dichter von seltsamer
Phantasie, der aber seine Erfindungen und Gesichte
nicht auözugestalten vermochte. Ein wenig stärker
ist die Geftaltungökraft in dem letzten Bande, den
„neuen Gedichten", geworden, aber eö sind doch
meist schwächere und unoriginellere Motive, deren Be-
wältigung ihm gelingt. Stcrnberg dichtet, veröffentlicht
mindestenö, zuviel, und nur wenige seiner an sich treff-

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