Fritz Stavenhagen.
schnitt gehen diese Studien nirgends heraus. Sein
Feld war eben das stark einem Höhepunkt zustrebende
Volksftück, nicht die breite, novellistische Darstellung.
Gleich die erste Geschichte „Fischerjugend" weist, an
Gottfried Kellers Novelle „Ronreo und Julie auf dem
Dorfe", mit der sie im Stoff eine gewiffe Ahnlichkeit
hat, gemeffen, einen geschickt gesteigerten Znhalt, aber
doch nicht die selbstverständliche Notwendigkeit deö tra-
gischen Verlaufes auf. Man fühlt, daß es Staven-
hagen in all diesen kurzen Erzählungen mehr auf die
kräftige und echte Erfassung des Lebens als auf die
Gestaltung einer künstlerijchen Jdee ankommt. Das
besonders Hamburgische tritt dabei in satter, gesunder
Farbe heraus, und die Charakterzeichnung kann seiner
eminenten Beobachtungökraft natürlich nicht mißlingen.
Als Vorstudien für größerc Werke, alö Versuche des
Stofflichen in jeder Form Herr zu werden, müssen diese
Skizzen vor allein angesehen wcrden.
Wie sehr sie ihm für seine Dramen zugute kamen,
das erwies schon seine nächste 1904 erschienene Bühnen-
dichtung „Mudder MewS", die am IO. Dezember 1905
im Hamburger Stadttheater für die Mitglieder der
Literarischen Gesellschaft zuerst aufgeführt wurde. Dieses
an äußerer Handlung ganz arme Werk erhält Leben,
und zwar ein furchtbar ergreifendes Leben allein durch
die Charakteristik und die ganz gewaltige Kraft der
Stimmung. „Mudder Mewö" ist die typische alt-
gewordene »iedcrdeutsche Frau aus dcm Volke mit
einem Stich ins kleinlich Niederträchtige. Sic, die ihr
ganzes Leben lang keine Minute gerastet und geruht
hat, die nimmermüde, in vcrständniöloser Ehrbarkeit
dem ganz anders gearteten Manne einst das Leben zur
Hölle machte, entwickelt sich im Alter zur Geißel ihrer
Kinder. Voll enger Selbstgerechtigkeit duldet sie keinen
Willen ncben dem ihren und bringt infolgedeffen von
vornherein überall, wo sie hinkommt, ein Element des
Unfriedens mit. Jhre Schwiegertochter Elsabe ist ihr
viel zu sehr für höhere DaseinSwerte, als weiß ge-
scheuerte Dielen und blanke Fenster es sind, interessiert,
und obwohl neben der nach Bildung hungernden jungen
Frau ihr Sohn Willem sehr glücklich ist, obwohl Elsabe
es fertig gebracht hat, scinen jüngeren Bruder Hugo
dem Trink- und Spielteufel zu entreißen, hat Mudder
Mews ünmerzu an ihr zu tadeln und zu schikanieren,
biö eö zum großen Familienskandal kommt, dem sie sürs
erste zum Opfer fällt. Sie geht aus des Sohnes Haus,
wird aber bald von Elsabe zurückgeholt, da diese fürchtet,
mit der Schwiegermutter dcn Mann zu vcrlieren. Lange
dauert der Frieden natürlich nicht an. Durch allerhand
Sticheleien reizt die Alte Elsabe so auf, daß diese, voll-
ständig außer sich, hingeht und sich ertränkt. „Nu, nu!
wat ick ok alls dörchmaken mött", das ist der Trost,
den Mudder Mcws für sich und dic ihren nun bereit
hat. Alles in diescr Tragödie ist auf den Charakter
gestellt, kommt aus der Stimmung der paar Menschen,
die so glücklich miteinander sein könnten. Die Szenen-
führung, die Steigerung bis zu dem furchtbaren Ende
ist von grandioser Einfachheit und Folgerichtigkeit und
zum bürgerlichen Drama un Sinne Hebbclö fehlt nur
noch die schreckliche „Gebundenheit" der Menschen.
Diese erreicht Stavenhagcn nicht, wcil er eben das
Tragische nicht in der Jdee, sondern im Affekt sieht.
Eine unerbittliche Notwendigkeit für den Tod der jungen
Frau liegt nicht vor, wohl aber eine momentane, und
mit ihr begnügt sich der Dichter.
Jm glücklichen inneren Aufstieg diescr Jahre voll-
endet er nun die eigentümlichste Dichtung, die ihm
gelungen ist, die niederdeutsche Bauernkomödie „De
dütsche Michel". Er widmet sie ohne jede wedelnde
Devotion „Uns'n Grotherzog von Meckelnborg, as'n
Teiken, werke Kraft und Eigenart in de öllst' dütsche,
echt german'sche Sprak begraben liggt, up dat Hei
mithelpen mag, uns Nedderdütschen dees leiwe grade
Spraak för unse Kunst tau gewinn' un tau erholln!"
Der dütsche Michel ift ein Märchenstück mit allerdings
sehr krausem Jnhalte und soll nach des Dichters eigener
Nußerung ein humoristisches Gegenstück zu Haupt-
manns Webern sein. Es stellt ebenfalls das Volk,
hier Mecklenburger Bauern von höchst individuellem
Gepräge, alö Helden in dcn Mittelpunkt der Handlung.
Diese Bauern müffen erleben, wie ihr junger Graf im
Kreise leichtsinnigcr und gemeiner Gesellen all sein Hab
und Gut verpraßt, wcil er sich einmal drci Tage
ordentlich ausleben will, und wie er dann ihnen, auf
altcn, grausamcn Rechten fußend, Abgaben über Ab-
gaben auferlegt. Sie beschließen zu revoltieren und
ziehen vorö Schloß. Hier erfahren sie, daß der Graf
eben gestorbcn sei, und sehen auch die Leiche eineö für
ihn untergeschobenen, ihm sehr ähnlichen Bettlers. Da
packt sic die Reue, und sie wollen dem Totcn die Zinse»
darbringen, die sie dem Lebenden versagten. Während
sie das veranlaffen, tritt im Dorfe der Graf mit seinem
Diener alö wandernder Komödiant auf und ftellt sich
selbst und sein eigenes Tun in ehrlicher Reue dar.
Seine Baucrn aber glaubcn einen Betrüger vor sich zu
haben, der daö Andenken ihrcS verklärten Herrn bc-
schmutzen will, und prügeln ihn weidlich durch. Käme
nicht Hanna, die mit dem Blick der Jugendliebe den
Totgeglaubten wiedererkennt, sie schlügen ihn wohl
zum'chte, während sie nun scheu den Ohnmächtigen inö
Schloß bringen lassen. Drei Tage haben sie mi't dem
Grafen gefeiert, drei Tage auch nach seinem Tode.
Während die einen Ersatz sür die verlorene Ieit von
ihm beanspruchen wollen, gedenken die andern noch drei
Tage zuzugeben, weil sie ja ihr Geld auö der Hand
deS mildgcwordencn Grafcn zurückzuerhalten hoffe».
Man hat versucht, den dunklen Symbolismuö der
Dichtung zu deuten. Die Bauern sollen daö deutsche
Volk darstellen, daö dem Künstler, hier dem Grafen,
immer erst nach dem Tode das Seine gibt und nicht
vcrstehen kann, wie er über die enge Weltanschauung
und Sittlichkeit der Masse hinaus zu einem freien
JndividualismuS strebt. Restlos erklärt diese Deutung
nicht alle Sondcrbarkeiten des Werkes, aber man muß
sich wohl mit ihr bescheiden und an der Gedrungenheit
und urwüchsigen Frische der Charaktere sein Genügen
finden. Jm echten Märchcn, dcm diese Dichtung sehr
nahe kommt, bleibt ja auch vieleö unerklärlich und kann
nur naiv im Mitcmpfinden, ohne vcrstandeSmäßigeS
Nachrechncn, genossen wcrden.
Auf dem Boden einer ganz tageshellen, ja peinlich
deutlichen Realität stellt sich Stavenhagen dann mit
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schnitt gehen diese Studien nirgends heraus. Sein
Feld war eben das stark einem Höhepunkt zustrebende
Volksftück, nicht die breite, novellistische Darstellung.
Gleich die erste Geschichte „Fischerjugend" weist, an
Gottfried Kellers Novelle „Ronreo und Julie auf dem
Dorfe", mit der sie im Stoff eine gewiffe Ahnlichkeit
hat, gemeffen, einen geschickt gesteigerten Znhalt, aber
doch nicht die selbstverständliche Notwendigkeit deö tra-
gischen Verlaufes auf. Man fühlt, daß es Staven-
hagen in all diesen kurzen Erzählungen mehr auf die
kräftige und echte Erfassung des Lebens als auf die
Gestaltung einer künstlerijchen Jdee ankommt. Das
besonders Hamburgische tritt dabei in satter, gesunder
Farbe heraus, und die Charakterzeichnung kann seiner
eminenten Beobachtungökraft natürlich nicht mißlingen.
Als Vorstudien für größerc Werke, alö Versuche des
Stofflichen in jeder Form Herr zu werden, müssen diese
Skizzen vor allein angesehen wcrden.
Wie sehr sie ihm für seine Dramen zugute kamen,
das erwies schon seine nächste 1904 erschienene Bühnen-
dichtung „Mudder MewS", die am IO. Dezember 1905
im Hamburger Stadttheater für die Mitglieder der
Literarischen Gesellschaft zuerst aufgeführt wurde. Dieses
an äußerer Handlung ganz arme Werk erhält Leben,
und zwar ein furchtbar ergreifendes Leben allein durch
die Charakteristik und die ganz gewaltige Kraft der
Stimmung. „Mudder Mewö" ist die typische alt-
gewordene »iedcrdeutsche Frau aus dcm Volke mit
einem Stich ins kleinlich Niederträchtige. Sic, die ihr
ganzes Leben lang keine Minute gerastet und geruht
hat, die nimmermüde, in vcrständniöloser Ehrbarkeit
dem ganz anders gearteten Manne einst das Leben zur
Hölle machte, entwickelt sich im Alter zur Geißel ihrer
Kinder. Voll enger Selbstgerechtigkeit duldet sie keinen
Willen ncben dem ihren und bringt infolgedeffen von
vornherein überall, wo sie hinkommt, ein Element des
Unfriedens mit. Jhre Schwiegertochter Elsabe ist ihr
viel zu sehr für höhere DaseinSwerte, als weiß ge-
scheuerte Dielen und blanke Fenster es sind, interessiert,
und obwohl neben der nach Bildung hungernden jungen
Frau ihr Sohn Willem sehr glücklich ist, obwohl Elsabe
es fertig gebracht hat, scinen jüngeren Bruder Hugo
dem Trink- und Spielteufel zu entreißen, hat Mudder
Mews ünmerzu an ihr zu tadeln und zu schikanieren,
biö eö zum großen Familienskandal kommt, dem sie sürs
erste zum Opfer fällt. Sie geht aus des Sohnes Haus,
wird aber bald von Elsabe zurückgeholt, da diese fürchtet,
mit der Schwiegermutter dcn Mann zu vcrlieren. Lange
dauert der Frieden natürlich nicht an. Durch allerhand
Sticheleien reizt die Alte Elsabe so auf, daß diese, voll-
ständig außer sich, hingeht und sich ertränkt. „Nu, nu!
wat ick ok alls dörchmaken mött", das ist der Trost,
den Mudder Mcws für sich und dic ihren nun bereit
hat. Alles in diescr Tragödie ist auf den Charakter
gestellt, kommt aus der Stimmung der paar Menschen,
die so glücklich miteinander sein könnten. Die Szenen-
führung, die Steigerung bis zu dem furchtbaren Ende
ist von grandioser Einfachheit und Folgerichtigkeit und
zum bürgerlichen Drama un Sinne Hebbclö fehlt nur
noch die schreckliche „Gebundenheit" der Menschen.
Diese erreicht Stavenhagcn nicht, wcil er eben das
Tragische nicht in der Jdee, sondern im Affekt sieht.
Eine unerbittliche Notwendigkeit für den Tod der jungen
Frau liegt nicht vor, wohl aber eine momentane, und
mit ihr begnügt sich der Dichter.
Jm glücklichen inneren Aufstieg diescr Jahre voll-
endet er nun die eigentümlichste Dichtung, die ihm
gelungen ist, die niederdeutsche Bauernkomödie „De
dütsche Michel". Er widmet sie ohne jede wedelnde
Devotion „Uns'n Grotherzog von Meckelnborg, as'n
Teiken, werke Kraft und Eigenart in de öllst' dütsche,
echt german'sche Sprak begraben liggt, up dat Hei
mithelpen mag, uns Nedderdütschen dees leiwe grade
Spraak för unse Kunst tau gewinn' un tau erholln!"
Der dütsche Michel ift ein Märchenstück mit allerdings
sehr krausem Jnhalte und soll nach des Dichters eigener
Nußerung ein humoristisches Gegenstück zu Haupt-
manns Webern sein. Es stellt ebenfalls das Volk,
hier Mecklenburger Bauern von höchst individuellem
Gepräge, alö Helden in dcn Mittelpunkt der Handlung.
Diese Bauern müffen erleben, wie ihr junger Graf im
Kreise leichtsinnigcr und gemeiner Gesellen all sein Hab
und Gut verpraßt, wcil er sich einmal drci Tage
ordentlich ausleben will, und wie er dann ihnen, auf
altcn, grausamcn Rechten fußend, Abgaben über Ab-
gaben auferlegt. Sie beschließen zu revoltieren und
ziehen vorö Schloß. Hier erfahren sie, daß der Graf
eben gestorbcn sei, und sehen auch die Leiche eineö für
ihn untergeschobenen, ihm sehr ähnlichen Bettlers. Da
packt sic die Reue, und sie wollen dem Totcn die Zinse»
darbringen, die sie dem Lebenden versagten. Während
sie das veranlaffen, tritt im Dorfe der Graf mit seinem
Diener alö wandernder Komödiant auf und ftellt sich
selbst und sein eigenes Tun in ehrlicher Reue dar.
Seine Baucrn aber glaubcn einen Betrüger vor sich zu
haben, der daö Andenken ihrcS verklärten Herrn bc-
schmutzen will, und prügeln ihn weidlich durch. Käme
nicht Hanna, die mit dem Blick der Jugendliebe den
Totgeglaubten wiedererkennt, sie schlügen ihn wohl
zum'chte, während sie nun scheu den Ohnmächtigen inö
Schloß bringen lassen. Drei Tage haben sie mi't dem
Grafen gefeiert, drei Tage auch nach seinem Tode.
Während die einen Ersatz sür die verlorene Ieit von
ihm beanspruchen wollen, gedenken die andern noch drei
Tage zuzugeben, weil sie ja ihr Geld auö der Hand
deS mildgcwordencn Grafcn zurückzuerhalten hoffe».
Man hat versucht, den dunklen Symbolismuö der
Dichtung zu deuten. Die Bauern sollen daö deutsche
Volk darstellen, daö dem Künstler, hier dem Grafen,
immer erst nach dem Tode das Seine gibt und nicht
vcrstehen kann, wie er über die enge Weltanschauung
und Sittlichkeit der Masse hinaus zu einem freien
JndividualismuS strebt. Restlos erklärt diese Deutung
nicht alle Sondcrbarkeiten des Werkes, aber man muß
sich wohl mit ihr bescheiden und an der Gedrungenheit
und urwüchsigen Frische der Charaktere sein Genügen
finden. Jm echten Märchcn, dcm diese Dichtung sehr
nahe kommt, bleibt ja auch vieleö unerklärlich und kann
nur naiv im Mitcmpfinden, ohne vcrstandeSmäßigeS
Nachrechncn, genossen wcrden.
Auf dem Boden einer ganz tageshellen, ja peinlich
deutlichen Realität stellt sich Stavenhagen dann mit
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