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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Drittes Heft
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Walden, Herwarth: Nachrevolutionäre
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0044

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Mal nach drüben wollten wir,
wo es stiller werde.
Strohdach und ein Pflug dabei
ragten aus dem Grase
Weiße Kleider schritten zwei
vor uns auf der Strase (Vorschlag statt
Strasse).
Dieser Berliner Kulturvorgang ist eine Lei-
stung von höchstem Wert in der Stadt Kants.
Herr Dessoir hat den Braten gleich richtig
gerochen. Herr )Max Grube bringt dafür
die Haltung wieder auf den Kothurn: ,,Ihre
Mitteilung hat mich zwiefach erfreut . .
Möge der neue Weg, den Sie der Kunst bah-
nen wollen, Ihnen, Ihrer Stadt, dem ganzen
schwergeprüften Osten, Trost, Heil und Se-
gen bringen," Doch der Segen kommt von
Wilhelm von Scholz:
,,Schlaf war wie Nebel herangeschlichen,
Trank, mich umhüllend, Licht und Laut,
Schlaf ist wie Nebel plötzlich entwichen
Vor diesem Rieseln auf meiner Haut."
Das ist das Rieseln der neuen Kunst. Wes-
halb auch der Dichter Kurt Wolff-Verlag so-
fort erschauert: ,,Die Darlegungen Ihres
Briefes haben uns sehr interessiert und wir
freuen uns zu gegebener Zeit mit Ihnen zu-
sammen arbeiten zu können." Worauf Herr
Siegfried Jacobsohn nicht umhin kann, dem
Herausgeber außer seinen Wünschen noch
seinen abgelegten Speer zu schicken: ,,Sohn,
hier hast Du meinen Speer! Bewähren Sie
sich als einen, zu dem ein Graukopf wie ich
das sagen kann. Kitzeln Sie mit diesem Speer
die Bäuche der satten Krämer, stoßen Sie ihn
ins Herz der Barbaren, und lassen Sie nicht
allzuviel Zeit vergehen, bis Sie das Recht er-
worben haben, ihn im Triumph über Ihrem
Haupt zu schwingen." Mit diesem Speer ge-
stützt kann der Herausgeber auf dem Ko-
thurn schreiten. Denn in ganz Deutschland
regen sich für ihn die Geister.
Der Händlergeist
Der Kunsthändler J. B. Neumann ist durch
den Expressionismus ganz außer Bildrand
und Buchband gekommen. Er fängt an zu
dichten, gibt eine Zeitschrift heraus, will
,,mehr als bisher Architektur, Literatur und
Musik als wesensverwandte Formen der
expressionistischen bildenden Kunst för-

dern." Er wird sogar prophetisch und ver-
kündet am 6, März 1919: ,,Der Expressionis-
mus, der kein Begriff mehr ist, sondern eine
herrliche Wirklichkeit, findet in der begin-
nenden Weitrevolution seine Bestätigung. "
Nicht weniger als eine Weltrevolution ist
nötig gewesen, um Herrn J. B. Neumann von
der herrlichen Wirklichkeit des Expressio-
nismus zu überzeugen. Die Weltrevolution
hat sich also gelohnt. Auch sein Mitdichter,
der bekannte Herr Schneider aus Wien, hat
einen guten Magen: ,,Wir mäßigen unsern
Appetit, in die Speichen des kommenden
Menschenschicksals einzugreifen in einer
Art, die man von uns weder verlangt, noch
erwartet, weil man sich nichts davon ver-
spricht." Wenn man mit dem Munde in die
Speichen fährt, wird das kommende Men-
schenschicksal schlechter fahren. Trotz die-
ser Mäßigung verheißt Herr Schneider aus
Wien: ,.Führen aber darum nicht minder ge-
harnischt den Schlag gegen denselben Staats-
bürger mit Hühnerverstand, denselben denk-
faulen Zeitungsleser, ohne uns darob einer
Sünde wider den heiligen Geist zu zeihen."
Immerhin ist eine Lippe riskiert, wenn auch
geharnischt. So gürtet sich Herr Schneider
mit dem ganzen Selbstvertrauen Tolstois:
,,Aber unverbrüchlich mit dem Selbstver-
trauen Tolstois in die Wirkung seines Wer-
tes wie der inneren Vision Beethovens von
endlichem Menschenglück, der Klaviere zer-
trampelt, indessen die Felder zu Schlacht-
feldern Napoleon zerstampft, die entsetzlich-
ste Tatvision von Menschenglück seit Men-
schengedenken." Das ist die entsetzliche Tat-
vision vom Expressionismus, indessen Herr
J. B. Neumann einen individuellen Kommu-
nismus fördert und sich als Vertreter der
Menschheit Hochachtungsvoll vorstellt: ,.Ver-
mittler von Werten ohne jede kleinliche Be-
schränkung auf die Künstler, die mir als
Kunsthändler gehören." Was man vor der
Weltrevolution Sortiment nannte. Nun aber
ist Herr J. B. Neumann aus eigener Kraft
und eigener Macht zum Großsortiment in
Vermittlung von Werten, schlichter gesagt
zum Vertreter der Menschheit ernannt. Und
zwar für Produzenten und Konsumenten:
,,Die Künstler gehören weder mir noch an-
dern Kunsthändlern, die Dichter nicht die-
sem oder jenem Verleger, sondern der
Menschheit. Ausstellungen, Buchhandel,
Vortragsabende, Versammlungen, Konzerte,
 
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