fühlen auslösen. Er sieht die Farbformen
assoziativ. Bei einem roten harbfleck kann
er an einen Bluttropfen denken, bei einer
blaßgelben Seheibe an den runden Mond.
Die Schlangenlinie, die Wellenlinie, das
Strahlenbündel sind solche Assoziationen,
die schon aus der Umgangssprache bekannt
sind. Die Gefühlswerte der Farben spielen
eine Rolle in allen Farbtheorien. Wir kön-
nn jeden unverbildeten Menschen durch die
Wunderwelt der Märchen und durch die
Wunderwelt der Farben führen, und er wird
begreifen, daß jedes Bild ein Wunder ist.
Aber auch dann hat er das Kunstwerk noch
nicht empfangen. Er hat es nur gefühlt.
Das letzte, bis zu dem wir den Menschen
führen können, ist das Einfühlen in das
Kunstwerk. Wenn alle verständlichen Hem-
mungen beseitigt sind, wird er den Rhythmus
der Farbform im einzelnen Bild erfassen.
So wird er vor Bild 2 von Jacoba van Heems-
kerck das feierliche ernste Gleiten der For-
men fühlen. Er wird die tiefen Intervalle
der Farben fühlen, Er wird nichts Gegen-
ständliches auf dem Bild mehr sehen. Sein
menschlicher Rhythmus wird den Rhythmus
des Bildes mitzuschwingen versuchen. Wei-
ter können wir niemandem helfen. Und auch
das Einfühlen ist noch keine Hingabe, ist
noch kein Sichaufgeben, ist immer noch ein
Verhältnis zwischen Beschauer und Bild'.
Erst wenn aus der Beschau Schau geworden
ist, hat der Mensch sich aufgegeben. Dann
hat derRhythmus desKunstwerkes ihn erfaßt.
Dann ist der Mensch versunken. Sein Be-
wußtsein ist erloschen. Das ist die leiderlö-
sende Kraft des Kunstwerks.
Zur inneren Versenkung, zur Aufhebung des
Leidens führt uns das Erleben des Kunst-
werkes, der Bilder, der Bildhauerwerke, der
Bauwerke, der Tonwerke, der Gedichte, der
Bühnenwerke,
Nicht das Kunstwerk allein hat diese leid-
erlösende Kraft. Jede Erscheinung der
Wirklichkeit kann sie haben. Die Blume,
der zinnerne Teller, die Glaskugel, der Him-
mel, das Meer, der Mensch. Auch das Kunst-
werk ist nur eine Erscheinung der Wirklich-
keit. Das Wunder ist, daß der Mensch im
Kunstwerk Gesichte kündet. Wir ahnen,
daß alle Erscheinungen Gesichte künden.
Wir können nicht sagen, wessen Gesichte
sie künden. Aber wir erfassen, daß die Welt
Wunder voll ist, und fühlen, daß uns die
Wunder immer tiefer fühlen
Schluß folgt
Das Manifest des abso-
luten Expressionismus
Zur Ausstellung Oktober 1919
Die Erde bebt — schlingert — pulst dröh-
nend den Raum. — Mächtig wird ihre Achse
geworfen — da — ER — der EWIGE —
ihren Leib berührte.
Jahrhunderte — Jahrtausende verdorren
vor IHM. — Sein Blut hat Uns gezeichnet —
nach vorn gerissen. — ER der große Expres-
sionist. — Wir — von IHM — Geglühten —
jubeln SEINE Bahn —.
Weg den ER worauf war. —
Wir jubein Euch zu!
Das Werk — dem Wir — als Maler — Bild-
hauer und Dichter — verpflichtet — ist ge-
waltige Energie solchen Geschehens — ist
kosmischer Wille — Glut der EWIGKEIT.
— Lebendiger Pfeil — auf Euch gerichtet.
— Euch soll er sich einbohren — in das Blut
glühen, — auf daß es schneller und leben-
diger fließe — besser in die EWIGKEIT
glühe,
Sonnen und Monde sind Unsere Bilder —
die Wir Euch entgegenspannen. — Ge-
stirnte Banner der Ewigkeit — Euch ent-
gegen blühend. — Zwischen Aufgang und
Ende — Abgrund und Gipfel geworfen. —
ist Uns kein Erbe — kein Besitz — den an-
zutreten lohnte. — Wir tragen die große
Verheißung,
Man wollte Uns gleich Euch mit der Träg-
heit betrügen. — Wir aber sind über diese
Lüge — diesen Betrug — hinweggesprungen.
— Den Spiegel — den man Uns entgegen
hielt — Wir haben ihn zerschlagen. — Alles
fauler Zauber; — man verhüllt die schände-
ten Male nur schlecht. — Ueberall grinst
die Not —
Auf Trümmern und Scherben bereiten Wir
das Werk — kämpfend wollen Wir unseren
Weg in die Sterne treiben. —
Es gibt kein ICH — und kein DU mehr —
Alles Zweck — Ziel — ist Hemmung der
90
assoziativ. Bei einem roten harbfleck kann
er an einen Bluttropfen denken, bei einer
blaßgelben Seheibe an den runden Mond.
Die Schlangenlinie, die Wellenlinie, das
Strahlenbündel sind solche Assoziationen,
die schon aus der Umgangssprache bekannt
sind. Die Gefühlswerte der Farben spielen
eine Rolle in allen Farbtheorien. Wir kön-
nn jeden unverbildeten Menschen durch die
Wunderwelt der Märchen und durch die
Wunderwelt der Farben führen, und er wird
begreifen, daß jedes Bild ein Wunder ist.
Aber auch dann hat er das Kunstwerk noch
nicht empfangen. Er hat es nur gefühlt.
Das letzte, bis zu dem wir den Menschen
führen können, ist das Einfühlen in das
Kunstwerk. Wenn alle verständlichen Hem-
mungen beseitigt sind, wird er den Rhythmus
der Farbform im einzelnen Bild erfassen.
So wird er vor Bild 2 von Jacoba van Heems-
kerck das feierliche ernste Gleiten der For-
men fühlen. Er wird die tiefen Intervalle
der Farben fühlen, Er wird nichts Gegen-
ständliches auf dem Bild mehr sehen. Sein
menschlicher Rhythmus wird den Rhythmus
des Bildes mitzuschwingen versuchen. Wei-
ter können wir niemandem helfen. Und auch
das Einfühlen ist noch keine Hingabe, ist
noch kein Sichaufgeben, ist immer noch ein
Verhältnis zwischen Beschauer und Bild'.
Erst wenn aus der Beschau Schau geworden
ist, hat der Mensch sich aufgegeben. Dann
hat derRhythmus desKunstwerkes ihn erfaßt.
Dann ist der Mensch versunken. Sein Be-
wußtsein ist erloschen. Das ist die leiderlö-
sende Kraft des Kunstwerks.
Zur inneren Versenkung, zur Aufhebung des
Leidens führt uns das Erleben des Kunst-
werkes, der Bilder, der Bildhauerwerke, der
Bauwerke, der Tonwerke, der Gedichte, der
Bühnenwerke,
Nicht das Kunstwerk allein hat diese leid-
erlösende Kraft. Jede Erscheinung der
Wirklichkeit kann sie haben. Die Blume,
der zinnerne Teller, die Glaskugel, der Him-
mel, das Meer, der Mensch. Auch das Kunst-
werk ist nur eine Erscheinung der Wirklich-
keit. Das Wunder ist, daß der Mensch im
Kunstwerk Gesichte kündet. Wir ahnen,
daß alle Erscheinungen Gesichte künden.
Wir können nicht sagen, wessen Gesichte
sie künden. Aber wir erfassen, daß die Welt
Wunder voll ist, und fühlen, daß uns die
Wunder immer tiefer fühlen
Schluß folgt
Das Manifest des abso-
luten Expressionismus
Zur Ausstellung Oktober 1919
Die Erde bebt — schlingert — pulst dröh-
nend den Raum. — Mächtig wird ihre Achse
geworfen — da — ER — der EWIGE —
ihren Leib berührte.
Jahrhunderte — Jahrtausende verdorren
vor IHM. — Sein Blut hat Uns gezeichnet —
nach vorn gerissen. — ER der große Expres-
sionist. — Wir — von IHM — Geglühten —
jubeln SEINE Bahn —.
Weg den ER worauf war. —
Wir jubein Euch zu!
Das Werk — dem Wir — als Maler — Bild-
hauer und Dichter — verpflichtet — ist ge-
waltige Energie solchen Geschehens — ist
kosmischer Wille — Glut der EWIGKEIT.
— Lebendiger Pfeil — auf Euch gerichtet.
— Euch soll er sich einbohren — in das Blut
glühen, — auf daß es schneller und leben-
diger fließe — besser in die EWIGKEIT
glühe,
Sonnen und Monde sind Unsere Bilder —
die Wir Euch entgegenspannen. — Ge-
stirnte Banner der Ewigkeit — Euch ent-
gegen blühend. — Zwischen Aufgang und
Ende — Abgrund und Gipfel geworfen. —
ist Uns kein Erbe — kein Besitz — den an-
zutreten lohnte. — Wir tragen die große
Verheißung,
Man wollte Uns gleich Euch mit der Träg-
heit betrügen. — Wir aber sind über diese
Lüge — diesen Betrug — hinweggesprungen.
— Den Spiegel — den man Uns entgegen
hielt — Wir haben ihn zerschlagen. — Alles
fauler Zauber; — man verhüllt die schände-
ten Male nur schlecht. — Ueberall grinst
die Not —
Auf Trümmern und Scherben bereiten Wir
das Werk — kämpfend wollen Wir unseren
Weg in die Sterne treiben. —
Es gibt kein ICH — und kein DU mehr —
Alles Zweck — Ziel — ist Hemmung der
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