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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 6
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Schwitters, Kurt: Gestaltende Typographie
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0088

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zunächst einmal auf die Anpreisung allgemein,
dann’zunächst auf den anzupreisenden Gegen-
stand zwingend hinzulenken. Da kann aber die
beste Gedankenvorarbeit nichts nützen, sondern
helfen kann nur die richtige Komposition, die
mit allen visuellen Eigentümlichkeiten und
Gewohnheiten des durchschnittlichen Menschen
zu rechnen gewohnt ist, und die den Blick
zwingend auf die wichtige Stelle lenken.
In etwas dilettantischer Weise nutzen manche
Werbearbeiten geschickt die Eigentümlichkeit
des Mannes aus, daß er gern schöne Frauen
betrachtet, indem sie den anzupreisenden
Gegenstand gemeinsam mit einer Frauen-
gestalt wiederholt abbilden. Aber zuletzt ist
hier nicht die Frau das Wirksame sondern die
Wiederholung, und der Werbefachmann rechnet
damit, daß jeder irgend wann einmal zufällig
seine Propaganda sehen muß. Wiederholung
ist aber ebenso gut ohne Frau zu machen.
Wenn eine Firma z. B. an jedem Hausgiebel
längs aller Eisenbahnlinien die Bezeichnung
„Pelikanschreibband“ malen läßt, so ist das
zwar eine teure Reklame, doch es ist fast un-
möglich, daß jemand mit der Eisenbahn fährt,
ohne wenigstens einmal das Wort „Pelikan-
schreibband“ gelesen zu haben. Durch Menge
kann man immer wirken, doch muß man die
Wirkung teuer bezahlen. Ein Trick, der oft
aber brutal wirkt, ist die Lichtreklame. In der
dunklen Nacht, wenn es absolut duster ist, muß
natürlich jeder helle Fleck den Blick auf sich
ziehen, aber schon wenn die Lichtreklame in
Massen auftritt, beginnt ihre Wirkung aufzu-
hören, und es wirkt nur noch unter den zahl-
reichen Reklamen die am besten gestaltete.
Es wäre noch über das Ueberraschende und
Neue zu reden. Selbstverstäudlich wirken neu-
artige Dinge stark auf den Menschen, aber
nichs bleibt lange neu, und so ist die Wirkung
nur von kurzer Dauer.
Die einzige Wirkung aber von bleibender Dauer
kann die gestaltende Werbung erzielen, wie
eine Eisenbahn auf den ihr vorgeschriebenen
Schienen einen ganz bestimmten Weg geleitet
wird. Sie muß ihn fahren, wenn sie ihn

überhaupt fährt, ob sie will oder nicht, sie
muß ihn fahren, wie die Schienen vorgezeichnet
sind; so leitet die gestaltende Werbung durch
gestaltende Typographie den Blick des
Vorbeieilenden zum Lesen auf das, was sie
hervor-zu-heben beabsichtigt. Die Tätigkeit des
Werbegestalters beim Schaffen ist verwandt
der Tätigkeit des Künstlers, wenn er gestaltet;
blos ist ihm ein bestimmtes Ziel gegeben,
während der Künstler frei und ohne Ziel
schafft. Der Werbegestalter wertet wie der
Künstler wertet; will er dieses betonen, muß
er jenes vernachlässigen. Das Ganze muß den
Blick auf ein Ding zentralisieren, das ist aber
nur durch Mittel der Komposition zu erreichen.
Ist der Blick aber auf eine Stelle hingelenkt
worden, dann muß er veranlaßt werden, eben-
falls durch Mittel der Komposition über die zu
lesenden Einzelheiten zu wandern. Für die
Gestaltung der Komposition kann man nicht
Regeln schreiben, notwendig ist das Feingefühl,
das die einzelne Schrift, Schriftmassen und
Zwischenräume sicher gegeneinander auswerten
kann. Nur der Künstler besitzt dieses durch
Uebung verfeinerte Gefühl, doch ist dieses
keine besondere Eigentümlichkeit, die etwa
andere Menschen nicht haben könnten, sondern
weiter nichts als eine durch Uebung verfeinerte
Eigentümlichkeit aller Menschen, bewußt oder
unbewußt das Verhältnis verschiedener Größen
gegeneinander abzu-werten. Der Künstler ist
nur empfindsamer und empfindet sicherer und
kann daher den Weg für andere vorschreiben,
wie der Ingenieur durch Schienen der Eisen-
bahn den Weg vorschreibt.
Klare Schrifttypen, einfache und klare über-
sichtliche Verteilung, Wertung aller Teile gegen-
einander zum Zwecke der Hervorhebung einer
Einzelheit, auf die besonders aufmerksam ge-
macht werden soll, das ist das Wesen neuer
Typographie, das ist gestaltende Typographie
oder typographische Gestaltung. Auf der
Pressa habe ich mich überzeugen können, daß
man allgemein zur Zeit Gutenbergs noch er-
heblich sicherer gestalten konnte als heute.
Je mehr sich die Maschine vervollkommnete,

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