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Hei-elberg, Mittwoch, Oktober -1SÄS
Nr. -1 * it. Jahrgang
Verantwort!.: Für die innere u. äußere Politik u.Feuilleton: Dr,EmilKraus,
für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales: Otto Geißel, für die
Anzeigen: Heinrich Hoffmann, sämtlich in Heidelberg.
Druck und Verlag der llnterbadischen Derlagsaustalt G. m. b. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße ZS. Fernsprecher 2648.
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Internationale Wirtschafts-
gemeinschaft.
Der „Vorwärts" meldet:
Internationale Regelung der Kohlentransporte.
Bekanntlich ist die Transportkrise international. U. a.
hat sich auch Genosse Otto Hue seinerzeit dagegen gewandt,
daß durch das Hin- und Herfahren der für die einzelnen
Länder bestimmten Kohle der internationale Eisenbahnver-
kehr unnötig belastet wird. Um dem entgegenzuwirken,
m I^t zwischen dxx Schweiz und Italien ein Abkom-
men getroffen werden. Darüber drahtet uns unser Bericht-
erstatter aus Be'^n:
Zwischen d er Schweiz und Italien ist mit Zustimmung
der Alliierten e.jn provisorisches Abkommen bezüg-
lich der Kol)lentransporte. getroffen worden. Bis
jetzt sind die Züge mit Saar- und Ruhrkohleu über die
Schwerz nach Italien gegangen, während amerikanische
Kohlen für d jx Schweiz in Genua ausgeladen und mit der
Bahn nach ihrem Zielpunkt transportiert wurden. Jetzt
soll Sie für Italien bestimmte Saar- und Ruhrkohle der
Schweiz zuckertet werden, während die in Genua ein-
treffende an,rerikanische Kohle für Italien bestimmt wird.
' sollen gleich bleiben. Die so ausgstauschten
Kohlen werden zwischen der Schweiz und Italien ver-
rechnet. ,
Tarnst wird zum erstenmal — der Not gehorchend —
dlo nationale Beschränktheit dem höheren Prinzip einer
rationellen internationalen Regelung unterworfen. Aber
Das sich- Kohle und Waggons für die Schweiz und Italien
notwendig erscheint, das ist für alle Länder und den ge-
samten Güteraustausch das Gebot der Stunde!
*
"'Bei dieser Meldung ist es notwendig, einen Augen-
blick darüber nachzudenken, was sie für uns Sozialisten be-
deutet. Wir erstreben ja nicht nur eine sozialistische Or-
ganisation der einzelnen Volkswirtschaft, sondern unser
' eigentliches Endziel, wofür wir kämpfen, ist die sozialistische,
d. h. gemeinschaftliche Organisation der gesamten Weltwirt-
schaft. Dieses Ziel ist für uns nicht ein bloßer Glaube,
eine schöne Sehnsucht, sondern Erkenntnis von dem
naturgesetzlichen Gang der Entwicklung. Und
wie für uns der nationale Sozialismus herauswächst aus
dem Kapitalismus, aus Unwirtschaftlichkeit, Not und Klassen-
kampf und Folgen der kapitalistischen Profitwirtschaft, so
wächst der internationale Sozialismus trotz schärfster Gegen-
wehr nationalistischer Gruppen schließlich' heraus aus natio-
nalistischer Staatenkonkurrenz, aus Wölkernot und Völker-
elend, aus dem Völkerkrieg. Es ist doch eins eigentümliche
Ironie der Weltgeschichte: am Ende dieses furchtbare^ Väl-
kermordens steht im Friedensvertrag die erste moderne
Völkerbundsakte. Und zugleich zwingt die allgemeine
Finanz- und Wirtschaftsnot die Völker zu Wirtschaftsgemein-
schaften. Den Anfang bildet die Wiedsraufbaugemeinschaft
Deutschlands und Frankreichs. Ein weiterer Schritt bildet
dis Kohlengemeinschaft, die. wir oben gemeldet haben. Es
sind bescheidene Anfänge, aber es sind Anfänge. Trotz dem
Dunkel, das über uns lastet, trotz alles Geschreies der
andern: der Weltsozialismus marschiert!
Politische Übersicht.
Die Nationalversammlung in Berlin.
Die Nationalversammlung tritt am 30. September
wieder zusammen, diesmal nicht mehr in Weimar, sondern
in Berlin. Dort harrt ihr ein großes Maß von Arbeit.
Zunächst das Reichstagswahlgesetz. Aber die Ver-
fassung kündigt noch eine Reihe weiterer Gesetze an, deren
Erledigung für ihr funktionieren unbedingt notwendig ist,
so ein Gesetz über die Wahl des Reichspräsiden-
ten, ein Gesetz über das Verfahren bei direkter Gesetz-
gebung durch Abstimmung des Volkes, ein Gesetz zur
Ausführung des Artikels 48, der den Reichspräsidenten
ermächtigt, im Falle unmittelbarer Bedrohung der Sicher-
heit und Ordnung gewiße staatsbürgerliche Garantien auf-
zuheben. Diese Gesetze werden also unbedingt noch von
der Nationalversammlung erledigt werden müssen.
In engem Zusammenhang mit dem Verfassungswsrk
steht auch das Gesetz über dis Betriebsräte, das ja
gleichfalls in der Verfassung angekündigt ist. Ob auch
der in der Verfassung „verankerte" weitere Ausbau des
wirtschaftlichen Rätewesens zu Bezirksarbeitsrräten,
dem Reichsarüeitsrrat und dem Reichswirtschaft s-
rat noch von der Nationalversammlung vorgenommen
werden, oder dem ersten ordentlichen Reichstag der Repu-
blick vorbehalten werden wird, steht noch dahin. Es wäre
nur logisch, wenn die Nationalversammlung diese ganze
Arbeit verrichten würde, die ja mit zum Aufbau der Ver-
fassung gehört und ohne Gefahr nicht auf die lange Bank
geschoben werden kann. Sollen die Betriebsräte nicht der
vielbefürchteten Atomisierung verfallen, d. h. jeder für sich
und seinen Betrieb allein wirtschaften ohne engeren Zu-
sammenhang mit dem Ganzen der Volkswirtschaft, dann
muß für eine reichtzeitige Zusammenfassung in Bezirks-
arbeiterräten und schließlich im Reichswirtschaftsamt ge-
sorgt werden.
Daneben hat auch, wie allgemein bekannt, die National-
versammlung das schwere Werk der neuen Steuergesetz-
gebung zu vollenden. Es duldet keinen Aufschub, wenn
die deutsche Wirtschaft nicht mit rasender Schnelligkeit noch
weiter zur Tiefe hinabgleiten soll.
Alls diese Aufgaben können nicht verschoben werden,
bis der neue Reichstag Zusammentritt, denn der Zeitpunkt
seiner Wahl ist noch durchaus ungewiß, er hängt davon
ab, wann die Friedensbedingungen hinsichtlich der terri-
torialen Neugestaltung Deutschlands durchgeführt sein werden,
und das hängt nicht allein von uns ab. Darüber soll
aber überall volle Klarheit bestehen, daß die Wahlen zum
ersten ordentlichen Reichstag der Republik nicht um einen
Tag länger hinausgeschoben werden sollen, als unbedingt
notwendig ist. Die Verfassung macht Deutschland zu einer
reinen Demokratie und verkündet als eine ihrer ersten den
Satz, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Die
Nationalversammlung wftd an dem Tage, an dem eine
neue ordentliche Volksvertretung im Sinne der Verfassung
gewählt werden kann, ihre Gewalt in die Hände des
Volkes zurücklegsn. Dort harrt ihrer ein gerüttelt Maß
von Arbeit.
—_ Deutsche militärische Haz-adeure.
Der General und frühere Kriegsminister v. Stein
hat eine Besprechung zu Ludendorffs Kriegserinnerungen
geschrieben. Eine Krähe hackt der anderen bekanntlich die
Augen nicht aus und auch Steins Kritik an Ludendorffs
Buch ist naturgemäß eine große Lobpreisung des Verfas-
sers. Die Militärs haben natürlich alles glänzend gemacht,
sie sind die bekannten Siegfriedsgestalten, die Zivilisten
haben alles versaut. Namentlich hat uns nach Herrn v.
Stein der „große Staatsmann" gefehlt, der dem deutschen
Volk mit Gewalt die alldeutschen Kriegsziele hätte
aufzwingen müssen. Herr v. Stein schreibt:
„Gelang es ihm nicht, seine Auffassung dem Volke
aufzuzwingen, so blieb nur die Gewalt-übrig. Sie hätte
mit der Auflösung des Reichstags einsetzen müssen,
um dies Hindernis einer großen nationalen Politik
zu beseitigen. Ob die Folge das Schreckgespenst des all-
gemeinen Streiks oder gar die Revolution gewesen wäre,
wissen wir auch nicht. Es kam darauf an, dis Macht
hinter sich zu haben, diesen Bewegungen entgegentreten zu
können. Sie war in den Heimattruppen gegeben, ver-
ringerte sich aber von Tag zu Tag, bis ihre brauchbaren
Bestandteile vom Feldheer vollständig ausgenommen waren.
Es hätte daher im Bedarfsfalls auf dessen Teile zurückge-
griffen werden müssen, wenn sie abkömmlich waren. Einen
tatkräftigen Reichsteiter dürften diese Ueberlegungen nicht
abhalten, seinen Willen durchzusetzen. Vielleicht wäre
es ihm gelungen, vielleicht ging er dabei unter."
So denken die Herrschaften, dis heute sich nicht genug
in Anklagen gegen die Revolution „von unten" ergehen
können! Eine Revolution von oben war ja immer ihr
Ideal, wenn das Volk sich ihnen nicht fügen wollte.
Die Neubildung der Regierung.
Zur Frage der Neubildung der Regierung bringt ein
Berliner Blatt irrtümliche Nachrichten über die Fraktions-
sitzung des Zentrums. Der Berichterstatter über den bis-
herigen Verlauf der Verhandlungen zwischen Regierung
und demokratischer Fraktion, Reichsminister Erzberger, be-
schränkte sich — wie die P. P. N. erfahren — auf einen
streng sachlichen Ueberblick über die Entwicklung und die
Aussichten der Gesamtfrage. Weder hak er das Verhalten
der demokratischen Fraktion in den Tagen der Friedens-
abstimmung „ziemlich scharf kritisiert", noch hat er behaup-
tet, man brauche auf die Forderungen der Demokraten
nicht einzugehen, da nach seiner Ansicht die Demokraten
alles annshmsn würden, was man ihnen anböts, nur um
wieder in die Regierung hineinzukommen. Die Tendenz
dieser unwahren Darstellung ist deutlich, es soll Mißtrauen
gesät, dis Verhandlungen sollen zum Scheitern gebracht und
die Regierung verhindert werden, sich eins weitere Grund-
lage zu schaffen.
Sozialdemokratie und Umsatzsteuer.
Die Bedenken der Sozialdemokratie gegen das Umsatz-
steuergesetz haben bekanntlich Anlaß zu Unstimmigkeiten im
Ausschuß der Nationalversammlung gegeben. Der Ver-
tagungsantrag der Sozialdemokraten wurde zurückgezogen,
gleichwohl bestehen die Einwendungen gegen den Charakter
des Gesetzes als einer drückenden Verbrauchssteuer
nach wie vor. Genosse Krätzig hat hierzu in der vor-
gestrigen Sitzung bemerkenswerte Ausführungen gemacht,
die wir nachstehend wiedergeben: Die Volkswirtschaft wird
durch die Vorlage schwer erschüttert. Die Not des Landes
ist groß, deshalb sind besondere Maßnahmen nötig, dis
später wieder beseitigt werden müssen. Der Durchschnitt
der Steuern wird durch den Zirkulationsprozeß auf
20—25 Proz. steigen. Die Wirkung auf die Arbeiter-
schaft darf nicht übersehen werden, die Unzufriedenheit wird
noch größer, vielleicht auch die Ausschreitungen. Die Preise
der Verbrauchsgegenstände sind mehr als die Löhne ge-
stiegen. Der Arbeiterhaushalt wird zu stark belastet, dis
Gefahren der wilden Streiks werden wachsen. Die Auf-
hebung der Zwangswirtschaft hat eine furchtbare Wirkung
ausgelöst. Die Vorlage kommt in einer unglücklichen Zeit.
Nach den von den Gewerkschaften aufgestellten Haushalts-
rechnungen hat der Arbeiter beinahe
80 Proz. seines Einkommens für WirLschafts- und
Bekleidungsgegenstände
auszugeben. Bei einer siebenköpfigen Familie sind allein
17 Mk. pro Jahr für Brot Umsatzsteuer zu bezahlen.
Einen Antrag, die notwendigen Lebensmittel von
der Steuer zu befreien, werden wir einbringen, die
Befreiung muß ausgesprochen werden, sonst
können wir nicht dafür stimmen. Gleichzeitig wer-
den wir beantragen, die Steuer auf Luruswaren auf
25 Proz. zu erhöhen. Besondere Beachtung verdient
dis höhere Besteuerung der Wollwaren, da Wollwaren in
jeder Familie gebraucht werden. Der praktische Erfolg der
Steuer ist der Ruin des größten Teiles der Textilindustrie;
die gesamte Volkswirtschaft wird gehemmt und nicht ge-
fördert. Die Vorlage muß gründlich umgearbeitet werden,
sonst ist sie unbrauchbar und führt nur zur ungeheuren
Verteuerung der Waren.
Kautsky korrigiert die SchulddokumeuLe.
Der Bund „Neues Vaterland" hielt Freitag abend
einen Vortrag mit dem Thema: „Die ausländischen Pazi-
fisten" ab. Es sprachen Hellmut v. Gerlach und der
Unabhängige Heinrich Ströbel. Gerlach brachte in recht
interessanten Ausführungen manches Neue über die pazi-
fistische Bewegung in Deutschland, den pazifistischen Kon-
greß in Berlin Pfingsten 1919 und das pazifistische Bureau
in Bern und beleuchtete eindringlich die Schwierigkeiten,
die sich aus dem Mißtrauen der Entent?pazififten ergeben
haben. Viel "dazu beigetragen hat die Stellungnahme der
deutschen pazifistischen Vertreter in Bern zu den Pfingst-
beschlüssen in Berlin, indem sie nämlich erklärten, diese
seien vollinhaltlich nicht ernst zu nehmen. Der Redner
wünscht, die Regierung möchte tatkräftig darauf hinarbeitsn,
das Mißtrauen im Auslands zu zerstreuen. Dazu sei aber
dasVorgehen gegen den überall anerkannten Karl Kautsky
nicht angetan, den man von der weiteren Mitarbeit an
der Veröffentlichung der Dokumente über die Schuldfrage
ausgeschlossen habe.
In ähnlicher Weise sprach Ströbel, nur daß seine
Rede noch heftigere Ausfälle gegen die Regierung enthielt.
Er führte die Möglichkeit eines Diskurses zwischen Cle-
menceau und Lloyd George auf der einen Seite und eines
an Stelle Wilsons stehenden Sozialisten oder Idealisten
vor, wobei er die beiden Begriffe miteinander zu identifi-
zieren schien. Er schloß mit einem Apell an die Einigkeit
des Proletariats.
Das Interessanteste war wohl, als danach der Vor-
sitzende mittsilte, daß laut Verständigung durch die Regierung
die gesamten Akten über die Schuldfrage erst ver-
öffentlicht werden, sobald Kautsky sie durchgesehen
hat. Die Vorarbeiten seien soweit gediehen, daß Kautsky
am 27. d. M. mit dem Korrekturlesen beginnt. Da-
mit waren die hauptsächlichsten Angriffe der beiden Vor-
redner hinfällig geworden.
Einstimmiges Vertrauensvotum für Noske.
Berlin, 29. Sept. (Privattelegramm). Die am Sonn-
tag stattgefundene Versammlung von etwa 500 Partei-
funktionären stellte Noske nach dessen glänzendem etwa
zweistündigen Referat ein einstimmiges Vertrauensvotum
aus. Nach einem einleitenden Referat des Genossen Schöpf-
lin war die Kritik durch die Genossen Caspari und
Kuttner zu Wort gekommen. (Wir kommen morgen auf
diese wichtige Versammlung zurück. Red.)