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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1) — 1919

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Nr. 71 - Nr. 77 (22. Dezember - 31. Dezember)
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«Sinsheim, CPpLrrgen, Svrrbach, Mosbach, Buchen, Adersheim, BoxSers,


Hei-sGKrg, MiiiNsch, A'L. DezeMbsr
M. II ZgHZ'KKKß

TsseKMiLMg fSr Vie werttät^e NevStterrmg der AmtSbtzkke Heidelberg, Wiesloch, " '
_ LauSsrßifchsfshsiM uuS KükihsiM.

D-rMtwortl.: Mr innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton: Dr.
E. Krausfür Kommunales u. soziale Rundschau: I. Kabu: flir Loksle«:
O. Gri-öekr für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich kn HrideKers.
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PMchtzcktoÄ» Karlsruhe Rr.22Z77. Tel.-Mr.: VolksZsitung Zeft-skSerg.

Die Sphinx der Zeit.
Eine Neujahrsbetrachtuug.
Em Jahr ist im Strom -der Zeit verflossen. Ein wild beweg-
tes Jahr, voller Kämpfe, Sorgen und Gegensätze. Ein Jahr, das
trotz der finsteren Wollen, die über ihm hingen, der großen Volts-
mehrheit ein Jahr der Hoffnung, der Umgestaltung, des
Werdens war. Es gehört der Vergangenheit an, es wird von
Per Zutunft gerechter gewürdigt werden, als von der nie
zufriedenen Gegenwart. Ein neues Jahr beginnt, das weiter-
führen und vollenden soll, was das entschwundene nicht mehr voll-
bringen tonnte.
Warum die Menschen nur alles vom Augenblick, von viel zu
kurze» Fristen erwarten! Wohl weil der Mensch so kurzlebig ist,
weil er im rasch fliehenden Strom der Zeit alle Erscheinungen nur
snsieht mit den kurzsichtigen Augen des Sterblichen, die seinen und
der ganzen Menschheit Daseinszweck nur kn sich selbst erblickt. Der
ewig sich abrollenden Zeit aber mit ihren UnendlichieitsrLtseln ist
kein sterblicher Geist gewachsen. Die Zeit und ihre in immer neuen
Variationen vor den Menschen tretenden Erscheinungen spottet
menschlichen Unvermögens. Ihre sich ausrollenden Lebenserschei-
nungen vollziehen sich nach Gesetzen, die nicht fragen nach darüber-
hinausgchendem Willen und Wollen der Menschen, dio ja selber
nur Kinder und Diener und Rätsel der Zeit sind.
Wche den Menschen, die di^e Gesetze nicht zu ergründen und
in ihrem Rahmen zu handeln wissen. Die Sphinx der Zeit zieht
sie in den Abgrund, wenn sie aus ihre Rätsel eine unpassende
Antwort geben. Die Sphinx fragt nicht, ob das kleine Mensch-
lein, das sich vermißt, die Schicksalsfragen der Zeit zu lösen, nach
unseren menschlichen Begriffen ein Hoher oder ein Niedriger ist;
sie hat nicht einmal Respekt von den Kronen und Würdenträgern.
Raten sie falsch, so läßt sie sie unbarmherzig in den Abgrund
springen.
Dort unten im Abgrund der geschichtlichen Zeit liegen so viele,
die ihre Zeit nicht begriffen: Belsazar und Xerxes, römische Cäsaren
und Triumphatoren, Tyrannen aller Völker und Zeiten; Luden-
dorss wird mit Fach und Grey dem Attila, dem Han -
nibal und dem Napoleon folgen, wie Wilhelm der
Letzte dem vierten Karl und dem sechzehnten Lud-
wig, von denen er sich nur dadurch unterschied, daß er schon bei
Lebzeiten den Kopf verlor.
Die Sphinx der Zeit legt ihre Frage nach dem Glück, dem
Daseinszweck der Menschheit, nach dem auswärts führenden Weg
immer neuen Generationen in den Mund. Sind die Albigen -
f e r und Hussiten zum Schweigen gebracht, kommen „L uther,
Hutten, die Cevennenstreiter, die Stürmer der
Bastille und so weiter" und erheben die gleiche, immer neu
formulierte Frage. Hütet Euch, Ihr Mächtigen, so verfängliche
Fragen falsch zu verstehen. Eine falsche Antwort und Ihr liegt
im Abgrund. Im Osten habt Ihr ein Beispiel. Die Antwort
des Zarenwar falsch, er liegt im Abgrund. Die
Antwort Lenins freilich scheint nicht minder falsch zu
fein: er ritt der Zeit weit voraus und steht vor dem Ab-
grund.
Die deutsche Revolution vom 9. November 1918 verdammte
die zum Abgrund, die die große Frage falsch und obendrein zu spät
beantworteten. Aber sie rollte zwei neue Fragen auf: die an die
Enteirte gerichtete ist bereits falsch und wird auch zum Abgrund
führen; die Frage aber, die die deutsche Revolution an das deut-
sche Volk richtete, unsres große Schicksalsfrage mutz richtig
beantwortet werden, sonst sind wir für die Vernichtung
bestimmt.
Die Frage der deutschen Revolution an das deutsche Volk ist
kurz und klar; sie lautet lapidar: wiekannstduleben? Wir
antworten ebenso lapidar: In der Demokratie, durch
s o z i a l i st is ch e B rb e i t! Aber viele Köpfe, viele Sinne. Da
schreit ein Chor der dein Abgrund Entronnenen: Durch die
Arbeit der ^Anderen; durch das Monopol der
Ausbeutung, sind da schreit ein anderer Chor dazwischen,
der nichts gelernt hat aus der falschen Airtwort der Diktatoren von
gestern: Wir können nur leben dur ch. d ie Diktatur
der Handgranaten.
Arme Schächer rechts und links! Seht Ihr nicht das Ver-
dammungsurteil der Geschichte? Das Recht auf Ausbeutung b e -
ruht auf der Gewalt und die hat allezeit nur kurzen Be-
stand gehabt. Roms Sklavenhalter waren stärker als Stinnes
und Hugenberg und find doch zerschellt. Und die
Bergpartei des frattzö fisch en Convents rettete
auch die Erfindung des Doktor Guillotin nicht.
Der einzige legitime Rechtsboden, den die Menschheitsgeschichte
anerkennt, ist die freie demokratische Selbstbestim-
mung eines Volkes. Wer sich dem Willen des Volkes
beugt, braucht keine Bajonette zu seiner Beherrschung. Die Demo-
kratie allein wird die Kräfte entwickeln, die wir zur Erhaltung des
Lebens brauchen. Und der Sozialismus wird den ver-
schütteten Lebensborn reinigen, feine Ergie,-
bigkeit vermehren.
Das alte Jahr konnte die gestellte Aufgabe nur teilweise lösen.
Uns Menschen fehlt die Allmacht Jehovas, in sechs Tagen eine
Welt zu erschaffen. Und eine zusammengebrochene Welt neu unr-
und auszubauen, ist-schwerer, als im Besitz der Allmacht eine neue
Welt zu schaffen. Schon weil viel Schutt aufzuräumen ist und
obendrein die zum Neubau nötigen Menschen seelisch und
körperlich mit zerbrochen sind. Wer das alte Jahr hat
einen erfolgversprechenden Anfang gemacht. Es brachte uns
durch die neueVerfassung der deutschen Republik die Ver-
wirklichung der politischen Demokratie und die
^Anfänge der Wirtschaftsdemokratie und der so-
zialistischen Wirtschaftsformen.
Das neue Jahr wird die Entwickelung weitertreibcn, wenn
das deutsche Volk nicht erlahmt bei seiner welthistorischen Aufgabe.
Und es wird nicht erlahmen; es darf nicht erlahmen.
Wohl fehlen uns die Mittel zum Kulturleben. Uns fehlen die
Lebensmittel, um alle satt zu machen, uns schien aber auch
ausreichend Roh stosse, um alle ausgiebig zu beschäfti-
ge n. Wir sind auf die Zufuhr aus anderen Ländern
angewiesen und haben nur entwertete Zahlungsmittel.

BefriedigLKder Verlauf der
Verhandlungen.
Paris, 31. Dez. (W.B.) Die Verhandlungen des Freiherrn
von Lersner mit dem Generalsekretär der Friedenskonferenz, Du-
tasta,. nahmen einen befriedigenden Verlauf und lassen eine
Einigung in aller Kürze erwarten. Wie verlautet, sollen die Rati-
fikationsurkunde am 6. Januar, nachmittags 4 Uhr, ausgetaufchk
werden.
Die Kommission zur BesichtigMg Les
HafeNMaLerialS.
Berlin, 31. Dez. (W.B.) Die von dem englischen Marine-
amt zusammengestellte interalliierte Svnderkommissivn zur Besich-
tigung des Hafenmaterials in Hamburg wird auf Neujahr erwartet.
Die Hamburger Behörden werden sicher mit ihnen in Verbindung
treten. Bei der nächsten Prüfung der Angaben der deutschen Re-
gierung wird ein Mitglied der Hafendeputatton zugegen fein, das
bereits als Sachverständiger bei den Beratungen in Versailles mit-
gewirkt hat.
NRVerKRtWorLLiche StreiZhstzer.
Berlin, 31. Dez. (W.B.) Zu den Tarifverhandlungen im
Eisenbahnerministerium wird dem „Vorwärts" vom Haupteisen-
bahnerverband geschrieben, im Lande sind unverantwortliche Füh-
rer und Streikhetzer am Werke. Es wird vielfach versucht, die rein
gewerkschaftliche Bewegung auf politische Gebiete zu verschieben.
Wir warnen unsere Kollegen, den Lockungen und Weisungen unver-
antwortlicher Personen zu folgen.
Die Abstimmung irr Belgien.
Berlin, 31. Dez. (W.B.) Von der deutschen Friedensdele-
gation in Paris wurde jetzt auf die Rote Clemenceaus betreffend
die Abstimmung in den Kreisen Olpen und Malmedy eine Note
überreicht. In dieser wendet sich die deutsche Negierung gegen die
Auffassung der alliierten und assoziierten Regierung, daß die Ab-
stimmung in diesen Kreisen unter der Aussicht Belgiens erfolgen
soll, da keine Gewähr für die Freiheit der Abstimmung gegeben
sei, zumal nach dem letzten Vorgehen der belgischen Behörden. Die
deutsche Regierung verlangt daher Einsetzung einer Kom-
mission durch den Völkerbund, die die Abstimmung
überwacht. Ferner verlangt sie die gleiche Abstimmung wie in
Oberschlefien und Schleswig, da in Artikel 34 des Friedensvertra-
ges für die Abstimmungen die gleichen Worte gebraucht wurden
und sie auf gleicher Stufe verhandeln wolle, und daß die Beschwer-,
den gegen das Verhalten der belgischen Behörden alsbald abge-
stellt werden.
Die ungarische FriedensdelegsLion.
Budapest, 31. Dez. (W.B.) Die erste Gruppe der ungarischen
Friedensdelegation begibt sich am 5. Januar nach Neuilly. Dieser
Gruppe werden die früheren Delegierten angehören. Die politi-
schen Beiräte und die wirtschaftlichen Sachverständigen werden zu
Len Beratungen selbst wieder zugezogen werden.

Da Hilst weder die Diktatur der Rechten, noch der Lin-
ken. Da bleibt nur eins übrig: in nie verzagender Ar-
beit die Mittel zum Leben zu schassen; unsere Roh-
stoffquellen zu erschließen und unsere Rohstoffe zu vollwertigen und
ausreichenden Zahlungsmitteln zu verarbeiten.
Wir gleichen in unserer wirtschaftlichen Lage dein Mann, der
im Winterfrvst sich mit einer Decke schützt, die zu kurz ist, der sie
bald hoch zieht, bald die Beine damit schützt, der sich unter der
Decke krümmt und windet und doch friert. Da Hilst kein Fluchen
und es Hilst auch nichts, die Decke in der Wut zu zerreißen. W i r
müssen die schützende Decke unserer Wirtschaft
verlängern u st d dichter machen durch Arbeit.
Wir produzieren um ein Drittel weniger an Lebens-
mitteln, Rohstoffen und Industriewaren, als wir zum Leben
brauchen. Wir haben M i ll i v n e n P a r a s i t e n, die nicht
mit produzieren, »sondern vom Schacher mit der kärglichen Pro-
duktion leben. Wir sind nicht einmal alleinige Nutznießer unserer
Arbeit, an der unsere Besieger und der Kapitalismus des eigenen
Landes und der Nachbarstaaten zehren. M i l l i o n e n m i t t el-
ständischer Existenzen werden durch den ehernen Gang
des Schicksals völlig proletarisiert und in das Heer der
Lohnarbeiter hinabgeschleudert, während ein neuer Reichtum
der Kriegs- und Zusammenbruchsgewimrer sich austut, der wie die
Hyäne von der Beute des Schlachtfeldes sich
mäste L.
Helfen kann uns aus dieser Lage nur die organisierte. Arbeit
aller für alle: -die sozialistische Wirtschaft. Die kapi-
talistische Wirtschaftsform, die auf der Ausbeutung des Menschen
durch den Menschen beruhte, hat ihre historische Daseinsberechtigung
verloren. Sie hat uns in das Elend der Gegenwart gestürzt, sie
kann uns aber nicht mehr herausführen. Die Sphinx zieht den
Kapitalismus in den Abgrund; der Sozialismus muß fortan
das Lebensproblem der Menschheit zu lösen su-
ch e n. Er wird es lösen, weil er Millionen Kräfte freimacht, weil
er Millionen Kräfte neu begeistert zur Arbeit für die
menschliche Gemeinschaft.
Keine Gesellschaftsform der Menschheit hat Ewigkeits-
dauer. Der Kapitalismus kann sie ebensowenig haben
wie der Feudalismus; die Lvhnknechtschaft ist so
wenig Ewigkeitszustand wie die Leibeigenschaft
oder die Sklaverei. In der Menfchheitsentwicklung gilt das
Wort des alten Griechen: „Alles fließt." Fließt wie der Strom
der Zeit. Dauerndes Glück erwächst erst aus der sozialisti-
schen Gemeinschaftsarbeit, die das Faustwort erfüllt und „freie
Menschen auf freiem Grunde" leben läßt.
Der Sinn aller Entwicklung heißt: höhere Lebensfor-
men. Die deutsche Revolution sprengte eine zu enge Hülle. Das

alte Lahr r a n g noch in : t der alten Fvr m. Es war das
Jahr vornehmlich der gröbsten A u s r ä um u n g s a r b e i t. Möge
das neue Jahr, das wir hoffnungsfroh begrüßen, vornehmlich
ein Jahr der a u fb a u e nd e n A r b e i t sein, das uns die Flügel
frei macht, die uns der besseren Zukunft entgegentragen. Sehen
wir der Sphinx der Zeit klar ins Angesicht; wir haben die Kraft,
am Abgrund vorbei, kämpfend und arbeitend in neues
Lebenzuschreiten. Nikol. Ost erröt h.

Politische Übersicht.
Ein Vertrag über die Arbeitsbedingungen beim
Wiederaufbau.
Berlin, 29. Dez. (Privakmeldung.) In Verfolg der
Verhandlungen, die in den Bureaus der Bauarbeiterver-
bände kürzlich ftaktgefunden haben, haben die Sekretäre des
deutschen Bauarbeiterverbandes Päplow und Silber-
schmrdt und der Sekretär der französischen Organi-
sation Chauvin einen Vertrag für diese beiden Organi-
sationen unterzeichnet, der die Arbeitsbedingungen der
deutschen und deutsch-österreichischen Bauarbeiter im Wis-
deraufbaugebiet festlegt. Die Hauptpunkte sind nach
Mitteilungen der französischen Presse: Anerkennung des
Rechtes für die deutschen Arbeiter, zum Zwecke der
Arbeit nach Frankreich zu kommen, vorausgesetzt, daß sie
hierfür bestimmt sind und den örtlichen Arbeitern keine
Konkurrenz machen, Bezahlung der deutschen Arbeiter
nach dem ortsüblichen Normaltarif, freie Ausübung des
Rechts der Aussprache und Kontrolle über hygienische
Fragen Ernährung, Schlafräume und Schutz vor Unfällen
an den Arbeitsstellen und in den Quartieren, Genuß der
gewerkschaftlichen Freiheit, Freiheit jederzeit in die Hei-
mat zurückzukehrsn, freier unzensierter Briefverkehr mit
der Heimat, Pflichtversicherung gegen Krankheit Un-
fall, Znvaldiität usw., unverkürzte Anwendung des
Achtstundentages.
Pauk Colin über die französische Sozialdemokratie.
In der neuesten Nr. 52 des „Sozialist" verbreitet sich Colin
über Len französischen Sozialismus nach den Wahlen. Entgegen
dem nationalistischen Geheul der kapitalistischen Bourgeoispresse
stellt.er fest, daß trotz der geringen Mandatszahl die Stimmsnzahl
der Sozialdemokratie ungeheuer zugenommen habe, so daß heute
ein Viertel Les französischen Volkes und ein Drittel von Paris
„denen ihre Stimme gegeben hatten, die an die Spitze ihres Pro-
gramms die Revision des Versailler Vertrages und die Abschaffung
Les militaristischen Imperialismus setzten".
Colin kommt dann auf die Wahllaktik und die ganze Haltung
des französischen Sozialisten zu sprechen und wendet sich aufs
schärfste gegen kommunistetnde und bloße Oppositivnstendenzen, von
denen die Partei als solche nur Schaden hat. Er sagt:
Der Block, der, wie gesagt, aufgebaut ist auf dem Haß und der
Feindschaft gegen den Sozialismus und auf der Furcht vor ihm, hat
unsere Partei in eine extremistische Politik hineingctrieben, die eine Ge-
fahr für sie bedeutet. Er hat Verwirrung in den besten sozialistischen
Köpfen angerichtet, die angesichts der Entfesselung einer so wüsten Feind-
seligkeit sich selbst zu mißtrauen begannen. Die Wendung nach rechts,
die die reaktionäre Bourgeoisie vollzog, Hai einen R u ck'n a ch links
im Gefolge gehabt, der die sozialistische Partei in unbekannte und gefähr-
liche Regionen führte.
Vor allem hat die russische Bolfchewistendiktatur radikalisie-
rend auf die Parteigenossen gewirkt; von diesem Resolutions- und
Oppositionsradikakismus sieht nun Lolin die größte Gefahr für den
Sozialismus in Frankreich. Er schreibt u. a. wörtlich:
Der Imperialismus der Sieger macht cs uns unmöglich,, uns Rechen-,
schäft von der wirklichen Lage in Rußland zu geben, und an Ort und
Stelle die sich darbietendcn Probleme zu studieren. Das ist eine In-
famie, gegen die wir uns zusammen mit unseren ausländischen Genossen
nicht energisch genug wenden -können. Aber es gibt einen Unterschied
zwischen dem gegenwärtigen Schicksal der Russen und dem bolschewisti-
schen Regime: jenes ist uns bekannt, von diesem wissen wir wenig.
Die Opposition des nationalen Blocks hat diese Unklarheit verstärkt.
Sie hat die Verwirrung ins Maßlose gesteigert, und wenige Sozialisten
haben einen klaren Kopf behalten. Wenige Sozialisten haben sich ebenso
entschlossen gegen die verschwommene Ideologie eines dilettantischen
Terrorismus wie gegen den abscheulichen Nationalismus eines Renaudel
und der Führer der belgischen Arbeiterpartei gewandt. Von der großen
Partei, die sich von der imperialistischen Hysterie losmachte, Hai der
größte Teil nicht.objektiv genug den neuen Glauben geprüft, der aus
dem Osten kommt, sondern er hat in der Reaktion auf das Geschrei des
nationalen Blocks zwar nicht seinen Geist, aber seine Terminologie an-
genommen. Ich behaupte, daß es dem bürgerlichen Block nach der
Zerstörung des Programms der Parteien der Rechten gelungen ist. unser
' rogramm zu zerschlagen und daß er an der gegenwärtigen Verwirrung
die Schuld trägt, v.r ist auch verantwortlich für das Bestreben gewisser
französischer Sozialisten, sich in eine verhängnisvolle Politik reiner Ne-
gation zu stürzen. Aehnlich wie die Gegner suchen sie nicht auszuöauen,
sondern zu zerstören. Dem cintisozialistischen Schlachtruf antwortet eine
an und für sich unzureichende Parole des Antikapitalismus.
Schließlich wendet sich Colin mit außerordentlich beachtens-
werten Warnungen und Mahnungen an die französische Sozial-
demokratie:
Die Feindschaft gegen einen Gegner ist nur fruchtbar, wenn man
seinem sozialen Programm ein anderes entgegenstellt, bas stark und wohl-
aufgebaut ist. Im anderen Fall treibt man eine gesährliche Politik, die
zu einer politischen Revolution führt, die wir nicht wollen, weil sie unnütz
ist und das Blut des Volkes kostet, solange ihr nicht eine moralische Um-
wälzung vorangegangen ist. Sie bringt das Chaos herbei, ein Chaos
auf anderer Grundlage, aber eins, das nicht entschuldbarer ist als das
gegenwärtige. Es fehlt ihr der Gedanke und das Gleichgewicht.
Sicher sind diejenigen unserer Genoffen, die von diesem neuen Gift
angestcckt sind, viel weniger zahlreich als diejenigen, die zur bolschewisti-
schen Ideologie hinneigen. Jedoch wir müssen auf der Hut sein und
Sorge tragen, daß sic selbst auf sich achtgcben.
Ls ist nötig, auf den nationalen Block, dieses künstliche und zum
schnellen Zusammenbruch verdammte Gebilde, durch die Schaffung und
Verteidigung eines präzisen und sehr positiven westlichen Programms
zu reagieren, das heißt eines Programms, das den Notwendigkeiten unb
 
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