Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1) — 1919

DOI Kapitel:
Nr. 11 - Nr. 20 (13. Oktober - 23. Oktober)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43996#0057
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Tageszeitung für die Werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppmgen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Bsxberg,
TauSerbischofshejm und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlvhn 1.60 Mk„ durch die Post
bezogen monatlich 1.60 M., vierteljährlich 4.80 Mk. ausschl. Zustellung.
Anzeigenpreise: Die einspaltige Petitzeile (36 mrn breit) 30 Kfg., Re-
Oame-Anzeigen (93 mm breit) 1.80 Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß
nach Tarif. Geheiminitiel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Montag, -13. Okisber -19-19
Nr. -1-1 * Jahrgang



Deraniwortl.: Für inneren, äußere Politik, Dollewirischcftu. Feuilleton: Or.
E.Kraus; für Kommunales u. soziale Rundschau: Z.Kahn: fürLokr.les:
O. Geibel) für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg,
Druck und Verlag derllnterbadifchen Verlagsanstalt G.in.b.H., Heidelberg.
. Geschäftsstelle: SchrSderstraße 39. Fernsprecher 2648.
Gefchäftsstunden: S--.'/«tz Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11 12 Uhr.

Blockade gegen Rußland.

ruhig nach Washington knnqen, die Konferenz würde

Mitglieder des Völkerbundes sind. Wir haben das

Rückblick*)
Kr. Heidelberg, den 13. Okt. 19.
„. Im Vordergrund der internationalen weltpolitischen Fragen
stünd auch in der vergangenen Woche derFriedensvertrag,
feine Ratifikation und der Völkerbund. Noch ist der Vertrag nicht
in Kraft getreteü, da er noch nicht von drei Hauptmächten ratifiziert
worden ist. Doch steht diese Ratifikation unmittelbar bevor. Nach-
dem das englische Parlament den Vertrag gutgeheiben hat und jetzt
auch die britischen Dominions den Vertrag ratifiziert haben, wird
England wohl in den nächsten Tagen die offizielle Ratifikation
dornehmen. In Italien wurde anläßlich der erregten Debatten
über den Friedensvertrag und die Fiumeaktion D'Annunzios die
Kammer aufgelöst und die Ratifikation durch königliches Dekret
ausgesprochen. In Frankreich hat die Deputiertenkammer be-
reits dem Vertrag zugestimmt, momentan liegt er dem Senat zur
Beschlußfassung vor. Wie schon aus der Vorlage des Bericht-
erstatters an den Senat hervorgeht, wird auch der Senat den Ver-
wog ratifizieren. Gerade bei den französischen Debatten müssen
wir uns stets daran erinnern, daß Frankreich vor Kammer-Neu-
wahlen steht und darnach die Ausführungen der von den einzelnen
Parteien vorgeschickten Sprecher zu beurteilen find. Auch die
Ratifikation durch <oapqn soll im Laufe der kommenden ^Wvche
vollzogen werden. InAmerika dürfte sich die Ratifikation durch
die Krankheit Wilsons immer noch weiter verzögern. Wilson scheint
wit seiner Propaganda für den Völkerbund eine schwere Enttäu-
schung erlitten zu haben. Die Gegner des Vertrags wollen auf
keinen Fall die Weltpolitik Amerikas dem Forum eines Weltstaaten-
bundes unterbreiten. Und gerade darin liegt für uns Sozialisten
das bedeutsame Moment des Völkerbundstatuts von Versailles.
Kommt dieser Völkerbund zustande, dann^vird er den ersten Keim
einer Weltarbeitsgemeinschaft bilden. Er ist auch das einzige Mittel
für uns, zu einer Revision des Friedensvertrags, die dringend nötig
sit, zu kommen, um wieder einigermaßen zu gedeihen und hochzu-
rvmmen.
Mit dem Friedensvertrag ist zugleich die Frage der internatio-
nalen Arbeitskonferenz aktuell geworden. Zur Regelung der Fragen
des internationalen Arbeiterrechts und aller mit ihm zusammen-
hängenden Ausgaben schafft der Friedensvertrag am Sitz des Völ-
kerbundes ein Weltarbeitsamt, das jährlich die internationale Ar-
veitskonferenz einzuberufen und yorzubereiten hat. Ende Oktober
soll die erste Konferenz in Washington sein. Die Arbeiter Deutsch-
lands und Oesterreichs sind nicht geladen, da diese beiden Länder
"och nicht Mitglieder des Völkerbundes sind. Wir haben das
allergrößte Interesse daran, bei dieser Konferenz mit dabei zu sein,
^wer auch die Entente kann angesichts der Stimmung ihrer Ar-
.Aerschaft uns nicht einfach ausschliehen. Sie fucht nach einem
Mittelweg. Sie haben uns auf verschiedene Weise wissen lassen,
wir sollten ruhig nach Washington k uni en, die Konferenz würde
uns dann schon zulassen. Doch als Bettler vor der Türe zu stehen
hat die deutsche Arbeiterschaft nicht nötig, darum haben die deut-
fchen und deutsch-österreichischen Gewerkschaften vorläufig abgelehnt,
vielleicht trifft noch in letzter Stunde eine Einladung ein.
In der inneren Politik sind verschiedene wichtige Tatsachen zu.
erzeichnen. Die Nationalversammlung hat ihre Tätig-
est wieder ausgenommen, und zwar in Berlin. Große Auf-
gaben sind noch zu lösen. Die wichtigste ist natürlich die Steuer-
^fttzgebuirg und Finanzreform, durch die das Reich wenigstens
lnigernraßen aus der Kriegsfchuldenwirtschaft herauskommen soll.
Server ist die Gesetzgebung über das wirtschaftliche Rätesystem zu
eisten. So große und für die Zukunft entscheidende Aufgaben
ann nux ein Reichstag und eine Regierung leisten, die auf breitester
Bolksbafis ruhen. Darum hat fichderWiedereintrittder
TfblNokratenindieReichsregierungals eine politische
Notwendigkeit erwiesen. So sehr wir Sozialdemokraten den schärf-
i E" Kampf gegen den rechten, kapitalistisch-liberalen Flügel der
urgerlichen Demokraten aufnehmen, so wissen wirdoch, daß weite
Wichten des demvkratischen Bürgertums uns nahestehen und datz
S* durch eine geschlossene Zusammenarbeit aller echten Demokraten
er deutsche Volksstaat blühen und gedeihen kann. Vollends in den
obsten einer fortschrittlich-freiheitlichen Kulturpolitik brauchen wir
nsach die Mitarbeit der bürgerlich-demokratischen Intelligenz,
i außerordentlich schweres Problem der inneren Politik, das
n vlesen Tagen auch die Nationalversammlung beschäftigt, ist die
'.Narwstaatenpolitik", welche das alte System Rußland gegenüber
getrieben hat. Der Widerstand, den die baltischen Truppen unter
"hsung reaktionärer Offiziere dem Befehl der Reichsregierung
eisten, droht sich zu einer erneuten Katastrophe für unser Volk
iszuwachsen. Wir bedauern außerordentlich, daß in Kurland nicht
wfort nach der Revolution von der Regierung so durchgegriffen
orden ist, wie es nötig gewesen wäre. Vor allem hätte dieAera
r kö o l tz dort nie und nimmer so lange schalten und wal-
n dürfen, bis die Entente ihr Ultimatum stellen. Aber unsere
Legierung yat jetzt den ehrlichen, vollen Willen gezeigt, das Balti-
tum zu räumen. Den Truppen ist befohlen, zurückzukehren, andern-
aus ihnen die Löhnung und Verpflegung entzogen wird. Wer
die Grenze geht, um jetzt noch stch zu den Truppen im Balten-
sv zu schlagen, wird erschossen. Mehr kann die Regierung meist
mn. schon tummelt sich die russische Reaktion auf den balti-
iwen Gefilden. Anstatt uns dauernd mit neuen Drohungen zu
Mrecken, sollte die Entene sich auch an die russische Reaktion und
sonders deren Verbündeten wenden und von den russischen Gene-
Mvn die schortige Freigabe aller Deutschen verlangen!
> Z Unter dieser Ucberschrift werden wir alle 14 Tage einen kurzen
verbstck über die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse und Fragen
vergangenen Wochen geben. Wir hoffen, mit der Zeil diesen Rück-
w nach verschiedenen Seiten ausgestalten zu können. Die Red.

Große innenpolitische Aufregung verursachte das Atten-
tat auf den Abgeordneten Haase, weil es die Unab-
hängige Partei sofort politisch ausschlachtete. Man suchte die Ar-
beiterschaft aufzuhetzen gegen die Mvrdbuben der Gegenrevolution
und malte vamit mindestens ebenso ein Gespenst an die Wand wie
die „Liga zum Schutze der Deutschen Kultur" den russischen Bol-
schewismus. Der Anschlag auf Haase war ein völlig unpoliti-
scher Racheakt eines geistig minderwertigen Menschen. Aller-
dings — und das muß offen gesagt werden — können wir das
dreitägige Verbot der „Freiheit" durch Noske nicht billigen. Denn
was müßte man täglich an alldeutschen und antisemitischen Blättern
und Flugschriften verbieten, die zum Kampfe gegen den bestehenden
Staat und seine Führer auffordern, wenn man hier nach rechts
ebenso vorgehen wollte, wie es nach links geschieht!
Aus wirtschaftspolitischem Gebiet ist unsere größte Sorge eine
günstige Lösung der Lebensmittel- und Ernährungs-
frage. Groß ist die Transportnot, groß die antisoziale Haltung
weiter Kreise der produzierenden Landwirtschaft. Mit flehendem
Bittruf hat sich gerade unsere badische Regierung an diese Kreise
gewandt und sie gewarnt, den Bogen zu Überspannen. Aber jeder
Realpolitiker gerade als Sozialist weiß, daß alle Verordnungen
und Aufrufe das Uebel nicht an der Wurzel fassen, sondern nur
eine entsprechende Organisation der Wirtschaft von innen heraus.
Vergenossenschaftlichung der Lebensmittelverwertung, Zusammen-
schluß von landwirtschaftlichen Produktivgenofsenschaften mit städti-
schen Konsumgenossenschaften, Kommunalisierung des Lebensmittel-
handels, der Bäckereien, Metzgereien usw.: das sind die Wege zur
Behebung der Not. Mögen sie gegangen werden, ehe es zu spät ist.
Zum Schluß noch ein kurzer Blick auf den K a m p f u m d i e
Gewerkschaften. Seitdem auch nach der Revolution der
Bruderkampf innerhalb der Sozialdemokratie immer heftiger ge-
worden ist, -gleiten die-Massen, genährt Tag für Tag nur mit
Schlagworten und revolutionären Phrasen, immer weiter nach
links. Viele, die noch vor kurzem den llebertritt von uns zu den
Unabhängigen vollzogen haben, stehen heute schon bei den Kommu-
nisten. Und dieselbe Hetze, die anfangs die Unabhängigen gegen
uns getrieben haben, treiben heute die Kommunisten gegen sie. Schon
ist man daran, auch das stolze Werk der Gewerkschaften zu zer-
trümmern zugunsten revolutionärer Betriebsräte. Wann kommt
die Arbeiterschaft endlich zur Einsicht, daß so schließlich nur noch der
ganze Sozialismus in Grund und Boden hineinrevolutioniert wird?
Wir wollen, stolz auf die großen Erfolge, die wir bisher errungen
haben, treu zklr alten Fahne stehen. Wir wissen: nur Kampf und
Arbeit, unermüdliche Kleinarbeit für unsere Sache wird den sozialen
Staat schaden! —

Deutsche NationalversaMmlung.
Berlin, 10. Oktober.
Am Ministertisch: Reichskanzler Bauer, Erzberger.
Präsident Fehrenbach eröffnet die Sitzung um 1 Uhr 20 Minuten.
Auf der Tagesordnung stehen zunächst Anfragen.
Auf eine Anfrage des Abg. Dr. Heintze (Dtsch. Vpt.) wegen des
bargeldlosen Verkehrs auch bei den amtlichen und militärischen Kassen
wird regierungsseitig geantwortet, daß nach Möglichkeit dahin gearbeitet
wird, daß in den Kassen so wenig wie möglich Barbestände aufbewahrt
werden.
Auf eine Anfrage des Abg. Dr. Oberfohren (deutschnatl.) wegen der
Nichtbeschästigung zahlreicher schleswig-holsteinischer Wassermühlen wird
bemerkt, daß diese Mühlen nach Möglichkeit beschäftigt würden, daß sie
aber teilweise, da sie keinen Bahnanschluß hätten, nicht geeignet seien, da
ihre Belieferung eine Zersplitterung der Vorräte bewirken, würde.
Eine Anfrage des Abg. Dr. Traub (deutschnatl.) wegen der Ermor-
dung der deutschen Frau March aus Mainz durch einen farbigen fran-
zösischen Soldaten wird damit beantwortet, daß Ermittlungen darüber im
Gange seien.
Abg. Dr. Mittelmann (Dtsch. Vpt.) fragt an wegen Erhöhung der
Vergütung der. Pvstagenten.
Auf eine Anfrage des Abg. Schmidthals (Dem.) wegen Belieserung
der Leute auf dem Lande mit Holz in genügenden Mengen und zu er-
träglichen Preisen wird mitgeteilt, daß das Reich und die Landesregie-
rungen alle Bestrebungen unterstützten, um genügendes Brennholz zu be-
schaffen und dem Wucher bannt entgegenzuwirken.
Aog. Beuermann (Dtsch. Vpt.) fragt an, was geschehen soll, um den
aus den besetzten Gebieten vertriebenen Deutschen zu Wohnungen zu
verhelfen, welche beeinträchtigt würben durch den Zustrom von land-
fremden Russen und anderen Ausländern, deren Zahl allein in Berlin
75 000 betrage.
Ein Regierungsverkreter antwortet, den vertriebenen Deutschen
stände eine Vorzugsbehandlung zu. Die Gemeinden könnten ermächtigt
werden, den Abschluß von Mietsverträgen vom Mietseinigungsamt ab-
hängig zu machen, wodurch der fremden Einwanderung der Zustrom un-
möglich gemacht würde. Paßvorschristen für die Ostgrenzen seien er-
lassen.
Hierauf wird die zweite Beratung des Haushaltsetats fortgesetzt,
politische Besprechung.
Abg. Bolz (Ztr.): Mit dem Rcgierungsprogramm und den Ausfüh-
rungen des Reichskanzlers sind wir im wesentlichen einverstanden. Die
Revolution war eine Folge des militärischen Zusammenbruchs. Wir
haben uns auf den Boden der Verfassung gestellt und wollen mitarbeiten
am neuen Reiche. Wir treten dafür ein, den politischen Ministern fach-
lich durchgebildete Mitarbeiter zur Seite zu stellen. Die Akkordarbeit
muß wieder eingeführt werden. Die Erbitterung der Landleutc über die
Schikanen der Zwangswirtschaft ist nicht unberechtigt.
Abg. Henke (Unabh. Soz.): Die Einwohnerwehren verfolgen gänz-
lich kapitalistische und monarchische Ziele. Das Verbot der „Freiheit"
ehrt dieses Blatt. Sic soll durch Lügen Unruhen hervvrzurufen gesucht
haben. Dann hätte Herr Noske schon längst seine Entlassung nehmen
müssen, denn auch diese Begründung ist erlogen. (Unruhe.) Wenn Herr
Noske behauptet, es gäbe keine Mörderzentrale in Deutschland, so ist das
schamlos. (Ordnungsruf.) Eine Einigung mit Noske und seinesgleichen
ist unmöglich. Aber eine Einigung mit den Arbeitern, die noch hinter
ihnen stehen, wird erfolgen. Das soziale Programm des Reichskanzlers
kann man am besten erkennen, wenn man seine Beurteilung in der Rechts-

presse liest. Wenn- Noske die baltischen Truppen nicht keimhvlen kann,
so ist diese Ohnmacht der Regierung genügend, ihr die Existenzberechti-
gung zu nehmen. General von der Goltz ist ein Landesverräter, der
monarchische Umtriebe plant.
Reichskanzler Bauer: Herr Henke sollte doch Vorschläge machen, wie.
wir es im Baltikum machen sollen. Es ist eine gewissenlose Opposition,
zu sagen, wir brauchen uns nicht den Kopf der Regierung zu zerbrechen.
Jedermann und vor allem jeder Abgeordnete sollte da Mitarbeiten. Die
Regierung ist gern bereit, sämtliche unabhängigen Abgeordneten ins Bal-
tikum zu entsenden, damit sie dort ihren Einfluß geltend machen. (Große
Heiterkeit.) Das ungeheure Maß von Beschimpfungen, das der Abgeord-
nete Henke gegen de »Minister Noske aufwandte, übersteigt alles, was
bisher in diesem Hause üblich war. Ich habe nicht nölig, Herrn Noske
in Schutz zu nehmen. Das Attentat gegen den Abg. Haase bedauere
auch ich, denn es ist der tiefste Tiefstand, wenn Meinungskämpfe mit
(Hewalt ausgesochten werden. Der Attentäter hat mit keiner Partei
etwas zu tun, allenfalls mit der Partei der Unabhängigen. Er ist übri-
gens geistig minderwertig. Die Reichswehr beträgt gegenwärtig nicht
mehr als 400 000 Mann. Die Einwohnerwehren sind nicht bewafsnet.
Die Waffen werden an sie nur im Falle der Gefahr ausgeteilt. Sie
dienen Polizeizwecken und haben für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die
geschulten gewerkschaftlichen Arbeiter werden der Putschtaktik des Herrn
Henke nicht Folge leisten. Ich will keinen Arbeitszwang einführen. Ts
ist eine Frucht Ihrer Politik (nach rechts), wenn im vorigen Winter Un-
ruhen und Uebergriffe vorgekommen sind. Die Revolution ist eine Folge
der unglaublichen Verwüstungen des Krieges. (Widerspruch rechts.) Die
Regierung würde ihre Pflicht vernachlässigen, wenn sie nicht mit aller
Macht gegen die Drückeberger vorginge. (Beifall.) Die kommunistischen
Hetzer muß man unschädlich machen (Beifall), wenn sie Sabotage und
Streiks predigen. Auch die Rechte hat hierbei Schuld, indem sie die
Autorität der Regierung untergräbt. (Sehr richtig und Beifall.)
Abg. Dr. Heinze (Dtsch. Vpt.): Wir können uns mit der Lethargie
des Zentrums nicht befreunden, das sich einfach mit der bestehenden Re-
publik abfindet. Das Volk muß zum monarchischen Gedanken zurückgeführt
werden. Die Majorität des Volkes ist für die monarchische Staatsform.
Wir sind bereit, mitzuarbeiten an den Ausgaben des deutschen Volkes.
Der wirtschaftliche Wiederaufbau ist unser Ziel.
Reichsjustizminister Schiffer: Der Vorredner hat behauptet, die De-
mokraten hätten Ministerien geschaffen, um ihre Leute unterzubringen.
Diese Unterstellung weise ich entschieden zurück. Die neuen Ministerien
waren in dieser, Zeit unbedingt notwendig. Der Wiederaufbauminister
hat ein ungeheures Arbeitsfeld vor sich von Aufgaben, die in die ver-
schiedensten Ressorte hineinragen und wieder in sich Zusammenhängen.
Uebrigens geht die Duldung der Regierung soweit, daß noch eine ganze
Reihe von Parteiführern der Deutschen Volkspartei in führenden Reichs-
und Landesämtern sind. Sie muß uns bas Zusammenarbeiten mit ihnen
nicht unmöglich machen durch Anwendung vergifteter Waffen. Es ist
ein Verbrechen, in dieser Zeit Parteien das nationale Gefühl abzuspre-
chen. (Starker Beifall bei den Mehrheitsparteien.)
Der Haushalt des allgemeinen Pcnsionsfvnds wird erledigt.
Hierauf vertagt sich das Haus auf morgen 1 Uhr. Fortsetzung der
Schluß nach 6 Uhr.

Berlin, 11. Oktober.
Am Ministertisch: Kolonialminister Bell.
Präsident Fehrenbach eröffnet die Sitzung um 1.20 Uhr. Fortsetzung
der Beratung des Haushaltes (Kolonialministerium).
Abg. Nacken i.-nr.) berichtet über die Ausschußvcrhandlungen.
Kolonialminister Dr. Bell: Als voraussichtlich auf längere Zeit letz-
ter Kolonialminister vertrete ich meinen Etat mit bitteren Empfindungen.
Das Ministerium kann nicht von heute auf morgen abgebaut werden.
Die Ausführung des Friedensvertrags, die Abwicklung der Geschäfte, die
Angelegenheiten der Schutztruppe und die Entschädigung der Kolonial-
deutschen müssen erledigt werden. Die Liquidation wird schnellstens er-
folgen. Ich danke den Beamten auch hier für ihre treue Tätigkeit.
(Bravo.) Die Durchführung des Gesetzes betr. die Liquidation der
Schäden muß schnell erfolgen. Die Eingeborenen sind uns bis zum
letzten Augenblick treu geblieben, in Ostasrika, in Südost und in Kamerun.
Die Kameruner Eingeborenen haben aus Furcht, in die Hände der Fran-
zosen zu fallen, an uns das dringende Ersuchen gerichtet, ihr Schicksal
mit uns zu teilen. Nur so konnten unsere Truppen sich dort halten. Als
uns die Patronen ausgingen, wollten 600 OVO Kameruner mit den Trup-
pen über die spanische Grenze gehen. Möge ihnen aus ihrer Treue keine
Nachteile erwachsen. (Bravo.) Wir danken auch der Schuhtruppe, den
Beamten, den Kvlonialdeutschen und den Eingeborenen. Die d e u tsche
Kulturarbeit wird sich nicht vernichten lassen.
Der Kolonialhaushalt wird erledigt.
Es folgt der Haushalt der Reichspost und Telegraphenverwaltung.
Abg. Delius (Dem.) berichtet über die Ausschutzverhandlungen.
Abg. Taubadel (Soz.): Es mutz mit aller Energie darauf gedrungen
werden,"daß bei der Post endlich die alte Pünktlichkeit und Zuverlässig-
keit wieder eintritt. Verwaltung und Betrieb müßten wieder vereinfacht
und verbilligt werden nach kaufmännischen Grundsätzen. Alle neuen Er-
rungenschaften müßten nutzbar gemacht werden.
Unterstaatssekretär Tauske bespricht die Gründe, die zu der Minder-
leistung der Post geführt haben. Besonders die Verwendung des immer
wechselnden unausgebildeten Hilfspersonals sei schuld daran. Der Be-
raubung der Pakete haben wir noch nicht Herr werden können. Die Er-
höhung der Gebühren habe erfolgen müssen, um den Etat zu entlasten.
Wir können wegen dieser Erhöhung allein noch keine Besserung der Lei-
stungen erwarten. Für die Pvstagenten werden im Etat von 1920 Mittel
für Zulagen angefordert werden. Bei der neuen Zusammensetzung des
Verkehrsbeirats werden alle Wünsche nach Möglichkeit berücksichtigt wer-
den. 5e-n Postbetricb werden wir größte Aufmerksamkeit zuwenden.
Hierauf vertagt sich das Haus auf Montag 1 Uhr.
Tagesordnung: Gesetzentwurf über das Branntweinmonopol, Inter-
pellation über die Lebersrage und anderes.
Schluß 6)4 Uhr.

Politische Übersicht.
Blockade gegen Ruhland.
Vertin, 12. Oktbr. Dis Entente teilt der deutschen Re-
gierung eine Note mit, wonach sie die neutralen Staaten
aufgefordert hat, gemeinsam mit ihr das bolschewistische Ruß-
land zu blockieren. Die deutsche Regierung wird gebeten,
dieselben Maßnahmen zu ergreifen.
 
Annotationen