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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1) — 1919

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Nr. 71 - Nr. 77 (22. Dezember - 31. Dezember)
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Eppmge», MrrSach, Mosbsch, Buchen, Mersheim, Boxöerg,



HsiKslösrg^ Gsmsiag,- 21. DszeMSsk ^A-IS
M. 74 --- 4. IaHrgaKg

EttglERd LeLsMMt ÄsK LZWenanteil.
Washmglon, 27. Dez. (W.T.B.) Wilson verfügte, daß die
sieben deutschen Dampfer, die nach dein Waffenstillstand an die
Bereinigten Staaten geliefert rvvrden waren, an England zu-
rückgegeben werden.

Vor dem JnkrasLreLen des
FriedeNsverLrsgs.
Paris, 27. Dez. (W.T.B.) Die Sitzungen der deutschen und
alliierten Delegationen zur Feststellung von vorbereitenden Matz'
nahmen für die Inkraftsetzung des Friodensvertrages werden An-
fang nächster Woche beginnen.

,. Die amen-
schmachvolle Art, in der

Oefterreichisch-UNgKrischs
Denkwürdigkeiten.
Budapest, 27. Dez. (W.T.B.) Wieder Poster Lloyd erfahrt,
wird Graf Apponyi in deutscher Sprache Denkwürdigkeiten unter
dem Titel: „Aus dem letzten halben Jahrhundert der österreichisch-
ungarischen Monarchie" erscheinen lassen.

Keine Prestige - Politik.
Berlin, 27. Dez. (W.T.B.) Wie die „B. A. Z." erfährt, wird
die Reichsregierung die neue Note in dem Geiste der Loyalität be-
antworten. Sie werde sich frei von Prestige-Politik halten, die
völlig sinn- und zwecklos wäre, dagegen bemüht bleiben, die Lebens-
interessen Deutschlands unter allen Umständen zu wahren.

HochWLffer im RhemLsl.
Kalmar, 27. Dez. (W.T.B.) De ununterbrochenen Regenfälle
in den letzten acht Tagen und die schweren Schneefälle in den
Vogesen haben den Oberrhein weit hinaus zum Ueberschwemmen
gebracht. Zwischen Mülhausen und Schlettstadt ist die Ebene
zwischen dem Rhein und der Eisenbahnlinie ein einziger See. In
vielen Dörfern sind dis Häuser von dem Wasser überflutet, häufig
mußten die Bewohner vor der Flut flüchten. Es werden mehrere
Unglücksfälle gemeldet.

Sa-eGeikms fLr dis werMitze Besölksnmg der BrstsSeMe Heidelberg, WieOsch, Girrshekm,
TarrberKjfchsfsheLM Md WercheiW.

CleMLRceLu PräftdeRt FrankeeichS?
Paris, 27. Dez. (W.T.B.) Eine Anzahl Deputierter beabsich-
tigt binnen kurzem bei Clemenceau Schritte zu unternehmen und
ihn zu bitter., die Kandidatur der Präsidentschaft der Republik an-
zunehmen.

DerantNortl. - Mr nmere u. LußereKslitistVolksWlrischasi u.Feuilleton: Dr.
E.Krauch für Kommunales u. sozial« Rundschau- 2! Kahn, stirLstüM :
O.Gekden für die Anzeigen: H. Hbffmann, sämtlich in HsiLrlderz.
Druck und Verlag der llnterbadifchen DerlagSanstalt G. m.v.H., HeideSsK.
GeschästsMe: SchrSdeffkraße ZS, Fernsprecher 2673; Redaktion: LöM,
Geschästsstunden: tlhr. Gprechstimden der Redaktion: 11--4L M-.

i<r. Heidelberg, 27. Dezember.
R:cht von den kommunistischen Radikalinskis reden wir heute,
demn die „Weltrevolutivn" zum geflügelten Schlagwort geworden
ist, mit den: sie jeden niederschreien, der seine eigene Meinung
Wer weltpolitische Dinge zu haben wagt. Nein, wir reden von
der Wellrevoiution, wie sie sich in den Kopsen der wilhelminischen
Kriegspolitiker und der deutschen Generalstäbler gespiegelt hat.
Dieselben Kreise, die sich heute bei uns nicht genug tun können in
Anklage und Abwehr des „Bolschewismus", die bei jeder Lohn-
forderung, jedem Streik, mag er auch noch so berechtigt sein, das
Gespenst des Bolschewismus an die Wand malen — dieselben
Kreise haben buchstäblich den Bolschewismus in Rußland gezüchtet,
«m Deutschland "den Sieg über Rußland und damit eine pro-
deutsche Lösung aller Ostfragcn zu ermöglichen. Es kennzeichnet die
Verderbthert und Heuchelei des alten Systenrs: dieselbe deutsche
Regierung, die den russische« Zaren 19VZ mit Waffen gegen die
Revolution im Innern unterstützt hat, um die Monarchie zu retten,
hat 1917 Lenin von der Schweiz durch Deutschland nach Rußland
geleitet, nm durch die russische Revolution zv siegen, lind das war
dieselbe heuchlerische Regierung, die Oesterreich zum Kampf gegen
Serbien ermuntert hat, weil durch das Attentat in Sarajewo das
monarchische Prinzip angegriffen war, weil die Serben Fürsten-
mörder geworden waren. Aber für ihre eigenen Zwecke war
dieser fanwsen wilhelminischen Negierung jedes" Mittel recht, auch
die bolschewistische Revolution. Und so glaubte man Mexiko gegen
Amerika, Aegypten und Indien gegen England revolutionieren zu
müssen. Wie furchtbar rächt sich diese Verblendung und dieser
Grötzenwahnsmn heute am deutschen Volk! Und noch gibt es
immer mit Dummheit geschlagene Menschen, die auf die reaktio-
nären Agikationsphrasen Hereinsailen. Michel, mach , die Augen
aas, 's ist höchste Zeit!
p *
i-r?» * *
Wir zitieren aus dem Kautsky - Bu ch das Kapitel:
Die RsvolrrLrorrierrmg der Welt.
Die ganze Kriegspvlitik Wilhelms und feiner Leute war von
Anfang an auf falschen Voraussetzungen aufgebaut gewesen. Sie
hatten sich zur Teilnahme an dem serbischen 'Abenteuer entschlos-
sen in der Erwartung, es werde den Mittelmächten einen leichten
Triumph über Rußland und wohl auch Frankreich dri-ngen. Beide
Mächte unzureichend gerüstet, würden entweder den Schlag, den
Oesterreich der russischen Macht auf dem Balkan versetzte, ruhig
hinnehmen; ober, wenn sie sich zu einem Kriege, hinreihen liehen,
würden sie leicht besiegt werden, da Italien und Rumänien hinter
Deirtschland stäuben und England neutral bleiben werde. So
würde Deutschland auf jeden Fall Ruhm und Macht gewinnen.
Wenn der Konflikt zum Krieg würde, stand auch Landgewinn in
Aussicht.
Da, am 2S. Juli, stellte sichs heraus, daß die Rechnung falsch
war. Es waw zu befürchten, daß im Falle des Krieges gegen
Rußland und Frankreich Rumänien und Italien nicht mittaten,
und vor allem Englands aktive Gegnerschaft eintrat. Nun drohte
das' Spiel gefährlich zu werden. Von da an trachtete Bethmann
aus, ihm mit heiler Haut herauszukommen, aber nun wars zu spät.
Oesterreich hatte den Krieg gegen Serbien bereits begonnen, und
mit seiner eigenen Mobilisierung den Wettlauf der Kriegsvvr-
dcrcittmgen eröffnet, und als er aus diesem gefährlichen Stadium
herauswollte, stieß Bethmann auf den Widerstand der österreichi-
schen Regierung und des eigenen Generalstabs, der arrs jener ge-
spannten Situation nur noch einen Ausweg sah: raschestes
Losschlagen. sind schließlich verlor er völlig den Kopf und goß
Oel ins Feuer, das er zu löschen wünschte. So wurde aus dem
frivolen serbischen Abenteuer die entsetzliche Tragödie des Welt-
krieges.
Aber wie die diplomatische Berechnung Bethmann Hvllwcgs
vom Anfang Juli, erwies sich die militärische Mvltkes vom Ende
des gleichen Monats als falsch.
Das rasche Losfchlagen konnte den Sieg nur sichern unter der
Voraussetzung, daß Belgien sich widerstandslos unterwarf und
den deutschen Durchzug ohne Gegenwehr gestattete. Dann lag
der Erfolg Deutschlands nahe, gerade deswegen, weil die Be-
gründung des deutschen Einfalls in Belgien eine erfundene war,
das heißt, weil die Franzosen an ihrer Nvrdgrenze keine starken
Truppenaufgebote stehen hatten.
Wehrte sich Belgien nicht, dann durfte die. deutsche Heeres-
leitung erwarten, mit einigen entscheidenden Schlägen Memsigst
bis nach Paris und Calais zu bringen, Frankreich zum Frieden
zu zwingen und nicht minder England, dessen Eingangstvr, Dover,
m den Bereich der weittragenden deutschen Geschütze geriet, die
dort die Passage über den Kanal beherrschten. Mit Rußlaich
fertig zu werden, war keine schwere Aufgabe mehr.
Aber Belgien leistete Widerstand. Er wurde natürlich ge-
brochen, gab aber, den Franzosen Zeit, ihre Notdgrenze besser zu
bewehren. In der Marneschlacht kam der deutsche Vormarsch
zum Stehen und damit war die militärische Voraussicht des Sieges
ebenso zunichte gemacht, wie früher schon die politische. Die
Fortsetzung des Krieges gegen die llebermacht, die von da an von
Tag zu Tag wuchs, mußte nun zu jenem Verbluten Deutschlands
führen, das Wilhelm schon am 30. Juli 1914 vorausgesehen, zwei
Tage bevor er Rußland den Krieg erklärte. Das furchtbare
Ringen ging nur noch darum, ob mit Deutschland auch seine
Gegner verbluten sollten oder nicht. Bei Rußland ist dies edle
Ziel vollauf erreicht worden. Nicht ganz so gelang es mit Frank-
reich und Italien, noch weniger mit England und schon ganz und
gar nicht mit Amerika und Japan, die im Gegenteil enorm ge-
wannen.
sind es ist ein Glück, daß der Krieg nicht zum Verbluten der
ganzen Welt führte, denn wer wäre dann übrig geblieben, den
Verblutenden die Wunden zu verbinden und ihnen Nahrung ein-
zuflößen?
Von dem Tage an, daß Belgien sich zum Widerstand entschloß
und England in den Krieg eintrat, wurde Deutschlands Lage eine

militärisch nichts halfen, da sie vom Gegner nachgeahmt werden
konnten und dann ost mit verstärkter Wucht auf die Armee und
das Volk Deutschlands zurückficlen, die aber vor allem das Ansehen
Deutschlands in der Welt vollends ruinierten. Hatte ihm der Ein-
fall in Belgien dis letzten Freunde geraubt, so verwandelten die
sofort gerade in Belgien einsetzenden Scheußlichkeiten her deutschen
Kriegführung den Respekt, den ehemals Deutschlands Leistungen
sogar bei seinen Gegnern erzeugt hatten, in wütenden, Haß und
wegwerfende Verachtung selbst bei den Neutralen, und erzeugten
jene Stimmung, die es schließlich ermöglichte, daß nicht nur Ame-
rika in den Krieg eintrat, sondern daß die Sieger am Ende uns
Friodensbedingungen von ausschweifendster Härte auserlesen durf-
ten, ohne ausreichenden Widerstand bei ihren Völkern zu finden.
Aus einer selbst herbeigeführten Not geboren, die glaubte,
kein Gebot anerkennen zu müssen, hat diese Kriegführung die deut-
sche Not auf den Gipfel gesteigert.
Noch eines ist an den Ausführungen Mvltkes bemerkenswert.
Sie spinnen einen Gedanken weiter, der Wilhelm bereits am AO.
Juli in seiner ersten Bestürzung über Englands Warnung aufge-
dämmert war. Schon damals hatte er die Revolutionierung der
Mohammedaner und Indiens, wenn nicht zur Rettung Deutsch-
lands, so zur Ruinierung Englands ins Auge gefaßt. Mvltke fügt
hinzu die Insurrektion Polens. Und er hofft die Bereinigten
Staaten zu gewinnen, indem er ihnen Kanada in Aussicht stellt!
Diese sinnreiche Politik wurde im Kriege immer weiter getrie-
ben. Da die Vereinigten Staaten nicht zu gewinnen waren, stellte
man nun Mexiko einige Staaten der Union in Aussicht. Gleich-
zeisig aber suchte man Rettung bei den Rebellen Irlands, bei
Anarchisten Italiens, Dynamitern in Amerika und schließlich bei
den Bolschewisten Rußlands, die alle nach Kräften vom deutschen
Eeneralstab gefördert wurden.
Man sieht, Lenin und Trotzki sind nicht die ersten, die in der
durch ihre Emissäre herbeigeführten Weitrevolution die Rettung
aus einer unmöglichen Situation sahen. Wilhelm und Mvltke
waren ihnen damit vorausgeanngen.
Wie jede Aktion ihrer Weltpvlisik, vollzogen sie auch diese
ohne jegliche tiefere Kenntnis der Welt, die sie beherrsche:: oder
bewegen wollten. Sie wendeten dis ungeeignetsten MiM an,
riefen die ungeeignetsten Faktoren zu Hilfe, ließen sich von den
unerfüllbarsten Erwartungen leiten.
Ein Pröbchen der Art, wie man die mohammedanische Welt
zu rebellieren suchte, erzählt Bernhard Shaw in seinen „Peace
conference Hints" (London, 1919, S. 90):
„8n der erstsn Zelt des Krieges wünschte die deutsche Regierung
eine Rebellion gegen die Franzosen in Marsklo und Algier heevorzu-
rufen und verbreitete zu diesem Zweck eine Flugschrift in bestem Arabisch,
in der es hieß, ich (Shaw) sei ein großer Prophet und ich hätte emmal
einem amerikanischen Senator gesagt, die Verletzung der belgische» Neu-
tralität sei eine Episode des Krieges und nicht seine ilrtache. Cs ist mir
ganz unmöglich, jenen Weg des deutschen Denkens zu verfolgen, der zu
dem Schluß führte, irgend ein maurischer Schelk könnte veranlaßt wer-
den, die Waffe« z« ergreifen, weit irgendein Hund von einem Ungläubi-
gen zu einem andern Hund von einem Llnglmckigen ein« Bemerkung
machte, die für einen Marokkaner weder von Interesse, noch überhaupt
verständlich sein konnte. Aber die Deutschen waren dieser Meinung und"
gaben Geld dafür aus."
Sie verloren dabei leider nicht nur Geld, sondern auch ihren
guten Namen, denn sie beschränkten sich nicht darauf, Flugblätter
bei den Feinden zu verbreiten, sie benutzten auch den Schutz der
Exterritorialität ihrer Vertretungen bei den Neutralen, um Atten-
tate der verschiedensten Art auf Leben und Eigentum der feind-
lichen Bevölkerung hervorzurufen.
Erfolg hatten sie nicht, außer*- im Osten. Wie die deutsche
Politik, mit Deutschland zusammen auch seine Gegner verbluten
zu lasten, nur in Rußland zu dem a»-gestrebten Ziel gelängte, so
erreichte sie auch nur dort ihr Ziel der Revolutionierung der Be-
völkerung. Die beiden Ziele hingen eben auks engste mileinander .
zusammen, und dem russischen militaristischen Zusammenbruch wäre
der Sturz des Zarismus gefolgt auch ohne die Förderung des Bol-
schewismus -durch die deutsche Regierung. '
Die Borniertheit der deutschen Politik zeigte sich hier auch
wieder darin, daß sie nicht merkte, wie sie in dem Bestreben das
Haus des Nachbar anz-uZLnden, das eigene in Flammen steckte.
Sie huldigten dem Aberglauben, den sie allerdings mit vielen
Anhängern der Weltrevvlusion gemein hat, als sichen sich Revo-
lutionen durch geschickte und rührige Emissäre, die über die nötigen
Geldmittel verfügen, nach Belieben Hervorrufen. Sie fügte dem
aber noch den weiterer: Aberglauben hinzu, als könne man die
Geister, die man ries, nach Belieben kommandieren und, nachdem
sie ihre Schuldigkeit getan, Widder in die Ecke stellen.
Es war unglaublich kurzsichtig von einer deutschen kapfta-
kistisch-großagrarischen Militärmonarchie, die den Antimilitarismus
und die proletarische Revolution haßte wie die Sünde, die schärfsten
Verfechter der proletarischen Revolution und der Auflösung der
militärischen Subordination zu fördern, wie es die Bolschewik: im
Stadium ihres Kampfes um die politische Macht waren. Die russi-
sche Revolution und namentlich ihr zweiter Akt, der Sieg des
Bolschewismus, hat auf das deustche Proletariat und auch auf die
deutsche Armee den tiefsten Eindruck gemacht und ihre revolutionäre
Entschlossenheit gewaltig erhöht. Daß bei den deutschen General-
stäblern ihre frühere Liebe zu den Bolschewisten sich dann in den
grimmigsten Haß verwandelte, hat die revolutionäre Rückwirkung
des Bolschewismus aus Deutschland nicht vermindert, sondern viel-
mehr gesteigert.
So sind die Machthaber', die den Weltkrieg entzündet haben,
schließlich mit ihren eigenen Waffen geschlagen worden. Insofern
war die Weltgeschichte wieder einmal das -Weltgericht, was ihr
nicht ost passiert, denn die Welt ist durchaus nicht teleologisch ein-
gerichtet.
Wilhelm hatte den Zusammenbruch bereits am 30. Juli ge-
ahnt, ehe von ihn: noch der Krieg erklärt war. Wenn die Pom-
padour das Wort gesprochen hoben soll: „Nach uns- die Sintflut",
so dürste man bei Wilhelm das Wort dahin variieren: „Durchhal- -


NMM-pr-M: Monatlich emM. TMrrlohr, MO dm-ck dis Kost
bLzsM! mrmMch -i.MMO vlerkeljäh^ch 4.«r Mk. ausschk. ZaffeSung.
MtzelsWxrests: Ole einspaltig« petttMe k ZH mm ßrriii so via., Re-
».'«irMazs-geri (sz mm bretts i.so M. Lei Wiederholungen Nachlaß
«ach Tons. GchriMmittel--AnzeigLü werden nicht ausgenommen.
p-M-EmkKarrsruheRr. 2LM. Lel^ldr.: VM-ssttmtg S^ewekg.

Das erkannte man sofort im deutschen Generaistab und er zog
ohne weiteres in seiner Art die Konsequenzen daraus. Das be-
zeugt unter anderem eine Denkschrift, dis der Chef des Generalpäds
dem Auswärtigen Amt am 5. August zusandte und in der die
Kriegspolitik festgelegt wird — ein neuer Beweis dafür, daß der
Leiter der deutschen Politik nunmehr der Chef des Generalstabs
war und nicht der Reichskanzler, der nur noch des ersteren Auf-
träge auszuführen hatte. Die Denkschrift lautete:
„Die Kriegserklärung Englands, die nach sicheren Nachrichten von
Beginn des Konflikts au beabsichtigt war, zwingt uns, alle Mittel zu
erschöpfen, dis zum Siege beitragen können. Dis ernste Lage- in der
das Vaterland sich befindet, macht die Anwendung jedes Mittels zur
Pflicht, bas geeignet ist, den Feind zu schäbigem Die skrupellose Poli-
tik, die unsere Gegner gegen uns führen, berechtigt zu rücksichtslosem
Vorgehen.
Die Insurrektion Polens ist eingeleitet. Sie wirb ans fruchtbaren
Boden fallen, denn schon jetzt werden unsere Truppen in Polen fast als
Freunde begrüßt. In Wioclavek z. B. sind sie mit Salz und Brot
empfangen.
Me Stimmung Amerikas ist Deutschland freundlich,
kanisch« öffentlich« Meinung*lst empört über die jchmachvol ,
man gegen uns vor gegangen ist. Diese Stimmung gilt es nach Mästen
cuwzunutzrn. Die einflußreichen Persönlichkeiten der deutschen Kolonie
müssen ausgessrbert werden, die Presse weiter in unseren: Sinne zu be-
einflußen. Vielleicht lassen sich die Bereinigten Staaten z» einer Flotten-
aktion gegen England veranlasse::, für die ihnen als Skegesprms Ka-
nada winkt. /
Bon höchster Wichtigkeit ist, wie ich schon in meinem Schreiben vom
2. d. M. Nr. 1 P ausfiiyrte, die Insurrektion von Indien und Aegypten,
auch im Kaukasus. Durch den Vertrag mit der Türkei wird das Aus-
wärtige Amt in der Lage sein, diesen Gedanken zu verwirklichen und den
Fanatismus des Islam zu erregen. (gez.) v. Mvltke.
Wir sehen davon ab, daß Herr v. Mvltke dem Reichskanzler
sogar zumutete, ohne jeden Beweis, auf das bloße Vorgeben
„sicherer Nachrichten" hin, eine Behauptung gläubig hinzun-ehmen,
wie die, daß „En'glaftds Kriegserklärung von Beginn des Kon-
flikts an beabsichtigt war".
Furchtbarer ist es, daß der Generalstab schon im Anfänge
des Krieges aus der verzweifelten Lage, in die er Deutschland durch
seine eigene Politik gebracht hatte, nicht den Schluß zog, den
jeder vernünftige Zivilist gezogen hätte, wenigstens solange, als
er nicht selbst vom militaristischen Kriegsfieber angesteckt war, daß
man trachten müsse, das Reich so rasch als möglich durch eine
Politik der Versöhnlichkeit und des ausgesprochenen Verzichts auf
jegliche Eroberung aus dieser gefahrvollen Lage zu befreien, son-
dern daß er schloß, nun gelte es, jedes Mittel in Anwendung
zu bringen, das den Feind schädigen konnte, ohne Rücksicht auf
die Konsequenzen, urck aufs schonungsloseste vorzugehen.
 
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