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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1) — 1919

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Nr. 21 - Nr. 30 (24. Oktober - 4. November)
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LaMszeüung für dis werktätige BevStterung der Amtsbezirks Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Cppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheins, Bsxberg,
Tauberöffchofshesm und Wertheim.

Mzugsprett: Monatlich ei'nschl. LrSgerlohn i.s > M., durch die Post
bezogen monatlich 1.6V Alt., vicrieljähelrq i.hvMk. «nsschl. Zustellung.
Rszelg«q»eif«: Di- einspaltize pekitzeilr t !ö mm breit) 30 psg., M-
kl«m»Anzeigen (93 mm breit) i.so DN. Äei Wiederholungen 'Nachlaß
nach Tarif. Gehelmmittel-Aitzeigra werden nicht ausgenommen.
Postscheckkonto Kartsrubc Rr. 22Z77. Tel.-Avr.: Aolkszeiiung Heide-derg.



HsiKslSsrg, Dienstag, 28. OkisSer ^9^9
M. 24 -1. IÄ-rWKg

Derantwortl.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton: Or.
E.Kraus; für Kommunales u. soziale Rundschau: Z.zkahn,- für Lokales:
O. «deibel,- für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg.
Druck und Verlag derAnttrbabischenVerlagsanfiakt G.m.b.H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraßs 39. Fernsprecher 26Ä.
ÄefchästSstunden: s--'hs ühr. Sprechstunden der Rkdaitisn: :i. i 12 Mr,

Deutsche Pslitik.
Leber die Bedeutung der bisherigen Ergebnisse des
parlamentarischen Untersuchungsausschusses
schreibt unser „Hamburger Echo":
Die Wahrheit ist aus dem Marsche! Der parla-
mentarische Untersuchungsausschuß hat ihr zum Durchbruch verho'-
sen. Mit motorischer Wucht bahnt sie sich den Weg, alles zermal-
mend, was sich ihr bisher entgegengestellt hat: die deutsch-national-
antisemitischen Geschichtsfälschungen sowie Verschleierung-;- und
Reinwaschungsversuchc der Ludendorsf, Helsserich und Tirpitz, die
sich in ihren dicken und teueren „Lebenserinnerungen" als wahre
Unschuldsengel vorgestellt haben. Die Verhandlungen des zweiten
parlamentarischen Untersuchungsausschusses haben die Schleier zer-
rissen. Nackt grinsen uns entgegen: Dummheit und Verbrechen,
aus denen die deutsche Politik im Zeitalter Wilhelms 2. und vor
allem während des Krieges zusammengesetzt war. Aus seinem
gesunden Gefühl heraus hat das deutsche Voll — mit Ausnahme
der alldeutsch reaktionären Großagrarier und.Großindustriellen —
schon lange die Schuldigen erkannt. Wenn sie dennoch bis in die
jüngsten Tage geschrien haben, die Revolution hat uns erdrosselt,
und ein Ludendorff in seinem Buche die Heimat und die Sozial-
demokratie für die militärische Katastrophe verantwortlich machen
konnte, so deshalb, weil bisher die dokumentarischen Beweise für
das Gegenteil gefehlt Haden. Jetzt sind sie erbracht, und mit zer-
malmender Wucht fallen sie aus die Annexionisten und U-Boot-
beldcn, die unser Volk in das entsetzliche Elend gestoßen haben.
Gras Bernstorfs war am ersten und zweiten Tage seiner
Vernehmung etwas zurückhaltend, am dritten Tage ging er aus
sich heraus. Er konnte den außerordentlich geschickten Fragen un-
seres Genossen Dr. Sinzheimer und des Sachverständigen
Prosessor Dr. Bonn nicht ausweichen. Es waren Minuten höch-
ster Spannung, die der kleine Zuhörerkreis erlebte. Bald blaß,
bald rot wurden die Köpfe Bethmann-Hollwegs und Zimmer-
manns. Erschütternd, wie sich die Fäden entwirrten und der Un-
tergang eines 70-Millionen-Volkes Szene sür Szene verfolgt werden
konnte. Und der Titel dieses dreiaktiqen Dramas: Deutsche
Politik!
Sie war wetterwendisch wie der schlimmste Apriltag. Sonne,
Regen, Hagel, Wind, Schnee, Gewitter. Wir hören aus dem
Munde Bernstorsss^und finden es bekundet in den Akten, Briefen,
Gesprächen und Telegrammen aus jenen Tagen, daß Wilson von
August 1914 an ehrlich b»müht war. den Frieden ohne Sieger üA>
ohne Besiegte herbeizusühren. Wie er im September 1914 schon
zum zweiten Riale die Friedenstaube nach Berlin, Paris und
London geschickt hatte, wie er in einer Proklamation das amerika-
nische Volk ermahnte, neutral zu bleiben, da Amerika allein den
Frieden herbciführen könne. Als dann die entscheidenden militäri-
rischen Erfolge auf beiden Seiten ausblieben, hielt Wilson im Som-
mer 1916 seine Stunde wiederum sür gekommen. Immer wieder
wurde der günstige Augenblick verscheucht durch „Lusitania"- und
„Sussex"-Tatcn, durch deutsche Bombenanschläge in amerikanischen
Fabriken, durch Verschwörungen gegen Leden und Eigentum der
Bewohner Nordamerikas, durch den Abtransport belgischer Zivi-
listen. Was in jenen Tagen Bernstorfs gut machte, wurde immer
wieder und zehnmal von den deutschen Militärbevollmächtigten
verdorben, dm in Newyork saßen. Der Botschafter erhielt seine
Unterweisungen von der Reichsregierung, die Militärattachees ihre
Befehle aus dem Kriegsmimsterium und dem Großen Hauptquar-
tier. Hier rüägratschwache Friedenssucher — dort annexionistische
preußische Generäle, machtpochende, weltfremde Gewaltmenschen
Jeder ging verschiedene Wege, jeder machte Politik, jeder verfügte
über Geldmittel. Was sich in Deutschland entgegenarbeitete, fand
kernen Ausdruck bei den Vertretern-Deutschlands in Newyork und
Washington. -
Nach seiner Wiederwahl glaubte Wilsop endlich den Aufruf
zum Frieden ausgeben zu können. Berlin mahnt Bernstorfs ein-
dringlich, daß er Wilson dazu ermutige. Plötzlich erscheint das
deutsche Friedensangebot am 12. Dezember. Cs schwächt den
Vorstoß Wilsens, der am 21. des gleichen Monats erfolgt. Der
Präsident der Vereinigten Staaten bittet um Bekanntgabe der deut-
schen Friedensbedingungen. Er wiederholt die Frage. Bernstorfs
fragt und erhält erst keine Antwort, dann sagt man ihm, er solle
diese Frage verschleppend behandeln. Die Entente lehnt ab.
Der rücksichtslose Tauchdootkrieg wird am 9. Januar in Pleß be-
schlossen. Bernstorfs beschwört die Neichsregierung und warnt und
warnt, da dies den Bruch mit Amerika bedeute.
Am 18. Januar läßt eine andere neutrale Macht amtlich nach
den deutschen Friedensbedingungen fragen, da die Ensente bereit
sei, einzulenken. Wilson will einen neuen Friedensschritt unter-
nehmen. Sogar ohne die Bekanntgabe unserer Kriegsziele. Der
deutsche Botschafter warnt zum letzten Mal. Er bittet, man möge
doch den verschärften Tauchbootkrieg nur 14 Tage verschieben.
Am 30. Januar erhält Bernstorfs die deutschen Friedensbedingun-
gen. Verschleierte annexionistische Forderungen. Keine Klarheit
über Belgien. Und der Schlußsatz: Dies wären unsere
Bedingungen vor dem 21. Dezeinber gewesen!
Am 31. Januar muß Bernstorfs dem amerikanischen Volk und
Präsidenten den rücksichtslosen Tauchbootkrieg vor die Füße werfen.
Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Wilson zögert
immer n r ch mit der Kriegserklärung. Noch kann Deutschland
zurücknehmen Nichts. Die Würfel rollen. Die Tragödie Mittel-
europas.
Bernstorfs kehrt zurück. Sechs Wochen, bis zum 6. Mai,
währt es, bis ibn der Kaiser empfängt. Wo ward jemals ähnliches
gehört? Und Ludendorsf? Der begrüßt den zurückgekehr-
tcn Botschafter: „Na, Sie wollten ja in Amerika den Frieden
machen; baden geglaubt, wir seien zu Ende!" Bernstorfs:
„Nein. Ich Hobe nicht geglaubt, daß wir zu Ende seien. Doch
wollte ich tun Frieden vermitteln, damit wir ihn nicht erst bekom-
men, wenn Deutschland zu Ende ist." Ludendosf: „Jetzt ar-
beiten die U-Boote. In drei Monaten werden sie den Krieg be-
endet Haden!'
So wurde mit dem Geschick Deutschlands gespielt. Zwischen
Erkenntnis und Raserei, zwischen Lüge, falschen Vorspiegelungen,

Wahlergebnis in Birkenfeld.
Birkenfeld, 27. Oktober. (W. T. B.) Bei der gestrigen
Wahl zur Landesvertretung erhielten durch Wahlvorschlag
die vereinigten Parteien (Demokraten, Zentrum, Deutsche
Volkspartei, Bauernbund, Mehrheitssozialiften) zusammen
13004 Stimmen, die Liste der Regierungspartei 1822
Stimmen. Tie Unabhängige Sozialdemokratische Partei
47 Stimmen. Alts die vereinigten Parteien entfallen somit
23, aus dis Regierungspartei nur 2 Sitze in der Landes-
vertretung. Dis republikanische Regierung hat somit eine
vernichtende Niederlage erlitten. -z. >.-
Die Hsiwkehr dsr Gefangenen.
Berlin, 27. Okt. Dis englische Regierung teilt mit,
daß die Heimschaffung der in englischer Gemalt befindlichen
Kriegsgefangenen in nächster Zeit restlos durchgrführt sein
werde. Vor allem wird die Entlassung der in den Ab-
ftimmungsbezirken Beheimateten mit größter Beschleunigung
betrieben. Ä
- Berlin, 27. Okt. Das interalliierte „RÄe^reuz""in
Genf teilt laut „Berliner Tageblatt" mit, daß dsr Ab-
transport der deutschen Kriegsgefangenen aus Frankreich
zwischen dem 27. Oktober und 2. November begonnen werde.
Die Polen in Thsrn.
Berlin, 28. OÜ. (W. V.) Dem „Bsrl. Lok. Anz."
zufolge sind am 25. Okt. polnische Truppen in Thorn ein-
geruckt. Thorn wird der Sitz der Wojowodschaft, die den
Namen Pomenerellen führt.
Schwere Kämpfe in Rußland.
Amst, 27. Okt. (W. T. B.) Die Bolschewisten melden
die Wredereimrahme von Zarskoji-Sslg und Pawlosk. Bei
Krasnasa-Gorka wütet ein erbitterter Kampf. Dis Estländer
greifen diese Festung zu Land an, während britische Kriegs-
schiffs sie von der See her bombardieren. An der Koltschak-
Front haben dis Bolschewisten Tobolsk wieder eingenommen.
Amst, 27. Okt. Renaler Meldungen zufolge begann
eine neue durch Tanks und schwere Geschütze unterstützte
Offensive des Generals Judenitsch gegen Petersburg.
Judenitsch glaubt, in 14 Tagen in Petersburg zu sein (?).


Klare Politik
tut dem deutschen Volke mehr denn je not. Vor allem aber
deutschen Arbeiterschaft.
Sie hat die Aufgabe, einen neuen, sozial gerechten Staat
aufzubauen. Das geht nicht von heute auf morgen. Das
sagen wir allen veraniwortruigslosen Radikalinskis. Aber-
Mir Werdens schaffen
rufP das -Proletariat allen Kleingläubigen und Heuchlern
non rechts
zu, die heute wieder dis Arbeiter an ihrer Aufgabe ver-
zweifeln machen wollen. Als
Wölfe im Schafspelz
kommen sie und suchen Euch irrezusühren.
Klarheit tut not!
Eure Presse will sie Euch geben. Darum

abonniert vis „Volkszeitung",
werbt unermüdlich für sie.
sie ist Euer bestes

Kampf- und Schulungsorgan!


Dummheit und Verbrechen wankte unsere Diplomatie. Donnerstags
war die Friedenspartci oben, Freitags hatten die Generäle gesiegt.
Order. Konters Per. Desorder! Mit unterirdischen Mitteln, Bomben
und Verschwörungen arbeitete die Kriegspartei in Deutschland und
in Amerika. Dazwischen fiel die Jammergestalt eines Wilhelms
hin und her; bcwt, flucht, will Frieden, bläst Kricgstrompeten und
schlägt Vernichtungspauken. Inzwischen sinken Millionen in die
Massengräber, schwillt die Tränenflut zum Meer.
Schuldige und Verbrecher zeigen uns die Verhandlungen. Das
Volk hat sie bereits vorher erkannt. Viel Wichtigeres künden uns
die Sitzungen des Untersuchungsausschusses: Den großen Fortschritt
in Deutschland, den uns die Demokratie gebracht, indem die Ver-
antwortlichen vor dem Richtertisch erscheinen müssen. Das Volk
hat sie gelaome, sie haben zu bekennen. Daß wir die Wahrheit er
fahren, um daraus zu lernen und unseren Namen vor aller West
reinigen zu können. Eine politische Hochschule sind diese
Gerichtstage sür das ganze deutsche Volk. Wir erkennen die Ver-
brechen jener und die Schuld des Voltes, haß es nicht stark genug

war, die Militärdiktatur zu brechen, als es noch Zeit war: vor
1914! Erkennen, wohin jede Militärdiktatur führen muß und
daß der wahre Weg allein die Demokratie ist, die Gleichberechtigung
aller, damit jeder Volksgenosse Anteil an der Verwaltung des Lan-
des und der lebendige Odem des Volkes durch die Parlamente zu
den Staatsführern dringt, die aus diesen Körperschaften entnom-
men werden, die wieder gewählt sind durch das allgemeine, freie
und gleiche Wahlrecht.
So schmerzlich diese Tage für uns sind, so heilsam und segens-
reich werden sie wirken, wenn wir ihre Lehre verstehen!

Deutsche NaLisnKlVerssMmlKUg.
Berlin, 27. Oktober.
- Am Mnüslcrtijch: Schmidt: x
Vizepräsident Lobe eröffnet die Sitzung um Uhr.
Das Haus ist schwach besucht.
Fortsetzung der zweiten Beratung des Reichshaushalts, Abteilung
N e i ch s w i i! j ch a s t s m i n i st e r i u m.
Abg. Dr B ö h m e r t - Bremen (Dem.) berichtet über die Aus-
schußverhondinngen.
Reichswirsschaftsminister Schmidt: Es sind in unserem wirtschaft-
lichen Leben Anzeichen zur Besserung vorhanden. In der Ernäh-
rungsfrage haben wir von Beschränkungen Abstand nehmen können.
Das Brot ist besser geworden, die Landwirte können mehr Kleie zurück-
behalten. Eire Vermehrung der Schweinezucht würde unsere Kartoffel-
ernte gefährden. Auf dem Gebiete dsr Viehablieferung habe ich Be-
denken gegen scharfe Maßnahmen. Wir werden versuchen müssen, in
ausländischem Fleisch Ersatz zu finden. Die Hemmungen in
der Kartoffeibeiieferung liegen neben der schlechten Ernte in den Trans-
portverbciltnisseu. Holland und Polen wollen uns Kartoffeln liefern.
Es müssen Kohlen für die Margarincfabrikatwn bereitgesteilt werden,
damit die Rackoncn bcibehaltcn werden können. Wir sind bemüht, die
wilde Konkurrenz in Lebensmitteln durch Z e n t r a l e i n k ä u f e im
Auslande zu beschränken. Die 4 Milliarden zur P r eissen -
kung sind verbraucht. Für den kommenden Winter Huben wir die
Preise bis Ende des Jahres fest ch her Hand, für Fleisch bis Mitte
Januar. Dis Gemüjeversorgung ist noch befriedigend, wenn auch dix
Preise hoch . sind. Die Petroleumverteilung ist in Aussicht genommen.
Allgemein ist die Versorgung erheblich besser geworden. Wenn wir
durch Steigerung der Ausfuhr Devisen in die Hand bekommen, werden
wir noch-umfangreiche Einkäufe tätigen können. Handel und Industrie
bieten ein anderes Bild. Die Einfuhr bildet zurzeit ei» Fünftel der
Friedenseinsuhr, kostet aber 100 Prozent mehr, die Ausfuhr steigt enorm.
Sie beträgt jela ein Sechstel der Friedensausfuhr und hat den gleichen
Wert. Die Rohstofscinfuhr Ist möglichst zu begünstigen. Staatliche
Unterstützung wird weiter nötig sein, freilich mit Berücksichtigung des
Standpunktes der Konsumenten. Eine Vorlage wird dem Hause zu-
gehen wegen cmcs schnellen Verfahrens gegen den Wucher.
Die Frage des „Loches im Westen" wird geregelt werden
durch geeignete Kontrolle. Die Regierung wird wegen der Goldzöile
im Westen energische Schritte tun.. Die Ko h l e n x> rv d u k t i o n wird
gesteigert werden durch Erhöhung der Belegschaften. Die Braun-
kohlenförderung nimmt zu. Wir werden aber den Personenverkehr noch
mehr einschränken müssen, um den Güterverkehr anfrechterhalten zu kön-
nen. Die A r b e i t e r wo h n u n g s f r a g e wird durch Barackenbau
vorläufig zu lbjen versucht. Die Tergarbeitergenvsscnjchaften sollen an
dem Wohnungsbau auf sicdlcrischer Grundlage mit Bestimmungsrecht
beteiligt werden Wenn wir unserer Industrie nur Rohstoffe geben
könnten. Daher wird die Regierung allen politischen Streiks
der Bergarbeiter scharf ablehnend gegenüberstehen. Das Ausland be-
wundert die Energie unserer Industrie. Wenn uns ober die Entente
nicht genügend Stoffe läßt, um unsere Industrie zu versorgen, so können
wir nicht zahlen.
Abg. Hock (Svz.): Auch wir wünschen, daß uns die Entente ge-
nügend Spielraum zum Leben läßt. Aber wir mahnen dringend, daß
cs nicht wieder im Innern zu einer Ausbeutung des Volkes durch we-
nige Begünstigte kommt. Bei Aufhebung der Zwangswirtschaft kommt
überall eine Preissteigerung zutage, die uns zugrunde richtet. Di«
Hauptsache ist die Rücksicht auf das Wohl der Allgemeinheit. Wir
werden die schweren Zeiten nur dann überstehen, wenn die Regierung
mit starker Hand die Widerstände beseitigt.
Abg. Braun (Ztr.): Das Ministerium soll praktische Wirtsckafts-
politik treiben und müßte sich in drei Gruppen gliedern: für Landwirt-
schaft, Gewerbe und Handel. Die Vorsteher dieser drei Abteilungen
müßten Fachmänner, einander gleichberechtigt sein und den nötigen Ein-
fluß auf di« Gesamtpolitik haben. Die Landwirtschaft hat im Mini-
sterium zurzeit sicher nicht die genügende Vertretung. Für Handwerk
und Kleinhandel müßten besondere Abteilungen geschaffen werden. Die
statistischen Aufgaben und andere könnten den Universitäten überlasten
bleiben. Es bleibt nur ein Weg übrig: die beträchtliche Erhöhung
dec Preise, was natürlich wieder Erhöhung der Löhne zur Folge
hat. Tiefe Preiserhöhung ist besonders, notwendig, um die Waren im
Inlands zu behalten.
Abg. Hermann- Reutlingen (Dem.): Amerika fürchtet die Kon-
kurrenz Deutschlands, wegen des hohen Standes des Dollars. Hoffent-
lich gelingt es bald, unsere Wirtschaft durch B a ! u t a a n l e i h e n
stützen. Vollstzialisicrungen sind mit größter Vorsicht auszuführcn.
Wir wünschen eine zielbewusste Miitelslandspoütik.
Morgen 1 Uhr: Fortsetzung. Vorher Anfragen, nachher Reichshe-.-r.
Schluß 6)Z Uhr.

Politische Übersicht.
Die badische Gesandtschaft irr München aufgehoben.
Gr. Wie der „Badische Staatsanzeiger" meldet, hat das
Staatsministcn'um beschlossen, die badische Gesandtschaft für
Bayern und Württemberg in München mit Wirkung vorn 1.
Januar 1920 ab auszuhebcn. Dieser im Interesse einer stärkeren
Vereinheitlichung Deutschlands begrüßenswerte Entschluß erweckt
Erinnerungen an vergangene Zeiten, in denen die Gesandtsschafts-
frage im Mittelpunkt der badischen Politik stand. Trotz der völli-
gen Wertlosigkeit dieses den Etat verteuernden höfischen. Instru-
mentes konnten sich insbesondere die Nationalliberalen nicht von
ihm trennen, und sic stellten auf „höheren Wunsch" diese Position
unter Assistenz des Zentrums wieder her, nachdem sie einmal schon
eine Etatperwde lang aus dem -Etat ausgemerzt war. Nun ist
dieses Ueberbleibsel deutscher Zerrissenheit endgültig verschwunden,
wobei die Ironie des Schicksals diese Aufgabe einem babisürrn
Minister des Auswärtigen zuweist, der einstmals nut aus den Bän-
ken der Nationalliberalen saß.
 
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