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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1) — 1919

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Nr. 51 - Nr. 60 (28. November - 9. Dezember)
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.Taseszeitrmg für die werktsttge Bevöttemsg der AmisSsziM HeiderSerg, Wiesrsch, GLnsherm, GppmgsK, ESerSach, Mssbsch, BAcken, Adelsheim, Boxöerg,
TsuhsrSffchsfshLiM Mö WLk'thsiW.

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HeiKßlSsrß, Msmiag, N. BszsmSee l.V'LS
Ar. SS » -L. Iahrgsng

Aerantsortl.: Für innere u. äußere Politik, VslkSNirtschast u. Feuilleton: Dr.
8. Kraus? für Kommunales u. soziale Rundschau: Z. Kahn? für lokales!
O. Geibel»' für. die Anzeigen:' H.-Hoffmann, sämtlich in HeidelSerg.
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WW

Der Prozeß gegZK MarLgh,.
Leider sind wir gezwungen, wegen Raummangels
und anderer wichtiger Gegenstände die Berichterstattung
über diesen Prozeß so kurz wie möglich zu halten.
Die Red.
Berlin, 5. Dez. 8m Prozeß Marlohist heute der Pfar-
rer R u m p vernommen worden. Er erklärte, Wehmeyer habe ihm
erzählt, daß der erste Bericht Marlo Hs von Hauptmann
Kessel als unbrauchbar verworfen worden sei. Der zweite Bericht
sei von Kessel selbst angefertigt worden und in diesem zweiten Be-
richt sei die Wahrheit stark frisiert worden. Der Zeuge be-
richtet ferner über eine Aeußerung, die Marloh später zu ihm getan
hat. Marloh hätte erklärt, daß Oberst Reinhard ihm nach dem
LI. März erklärt habe, Hindenburg hätte geäußert, baß durch
die Erschießung Berlin vor größeren Unruhen bewahrt worden sei.
Marloh erzählte dann weiter: In dein Befehl, den er am 11. Mürz
bekommen habe, hätte es am Schluß geheißen: Oberst Reinhard
ließe ihm sagen, daß er in Moabit für so viele Gefangene keine
Unterbringungsmöglichkeit habe. Zur Flucht Marlohs bekundet der
Zeuge, daß es sich nur um ein Verschwinden für eine gewisse Zeit
gehandelt habe. Kessel sei eines Tages zu ihm, Rump gekommen,
der ihm erklärte, daß Marloh auf keinen Fall die Wahrheit sagen
dürfe. In einigen Wochen werde eins unabhängige Regierung
und im Anschluß daran eine Reichsregierung mit Militärdiktatur
am Ruder sein. Bis dahin müsse Marloh verschwinden. Dann
erst sei Zeit zu einer kriegsgerichtlichen Verhandlung.
Darauf wird Hugo Lewiy. hereingerufen. Sein Bruder
wurde erschossen. Er selbst ist nur durch einen glücklichen Zufall
dem Tode entronnen. Seine Aussage macht auf das Gericht tief-
sten Eindruck. Er wurde mit in den Hof herausgeführt. Dort stan-
den ungefähr 30—32 Mann. Als wir in der Mitte des Hofes stan-
den, führte er aus, krachte eine Salve. Wir rissen die Hände in
die Höhe und beteuerten unsere Unschuld. Da setzte Schnellfeuer
ein. Ich bekam einen Schutz in den Unterarm, fiel nach vorn und
wurde besinnungslos. Später erhob ich mich und schleppte mich in
die Wohnung des Pförtners. Dieser sorgte dafür, daß ich in einem
Krankenauto nach Moabit geschafft wurde. Dort versuchte ich mich
vor R ei nh a r d zu rechtfertigen. Reinhard aber sagte: Wir müs-
sen den Mann wohl erschieße n.
Berlin, 6. Dez. Heute wurde als erster Zeuge Leutnant
Hofsmann vernommen. Er soll am 1. oder 2. Juli den Ange-
klagten zur Flucht bestimmt haben. Auf die Anfrage, ob er den
Angeklagten aus eigenem Entschluß zu beeinflußen versucht habe,
ver w e i g e r t e.er dieAussage. Auf Veranlassung des Ver-
teidigers äußerte sich dann Marloh selbst. Er wäre am 25. Mai
im Dienstauto zu Kessel gefahren. Da habe Kessel ihm gesagt:
„Marloh, laßen Sie sich sofort eine Prothese machen und fahren
Sie mit einem Auslandspaß fort." Er hätte von viel Geld gespro-
chen, von 150 000 Mk., damit Marloh sich im Ausland erhalten
könne, und daraus hingewiesen, daß Marloh unbedingt verschwinden
müße. Als Marloh adlehnLe, habe Kessel gesagt: „I n Zu -
Lunft find wir Feinde!" Am 1. Juni sei dann Leutnant
Hoffmann bei ihm erschienen und habe ihm gesagt, er solle verhaftet
werden. Marloh war entschloßen, sich am 2. Juni selbst zu stellen,
doch brachte Leutnant Hoffmann ihm an diesem Tage 5000 Mk.
und eine Fahrkarte erster Klasse; beides müße von Kesse! herrüh-
ren. Hoffmann bestätigte diese Aussagen. Der nächste Zeuge, Ge-
neral v. Oertzen, bestätigt, daßKessel Marloh veranlaßt habe,
Deutschland zu verlassen, und zwar im Interesse des Vater-
landes.
Im weiteren Verlauf der Verhandlungen sucht Oberst Rein-
st a r d sich gegen die gemachten Anschuldigungen zu verteidigen.
Das Gericht beschließt nunmehr, die Zeugen Hauptmann von
Kessel, Leutnant Wehmeyer, Oberleutnant Hoffmann und den
Pfarrer Rump wegen des Verdachts der Beihilfe bczw. Anstiftung
zur Fahnenflucht nicht zu vereidigen. — Rechtsanwalt Grünspach
betont hierbei ausdrücklich, daß er nur deswegen nicht widerspreche,
weil schon der Verdacht einer solchen Teilnahme genüge und weil
auch ein unbeeidigter Zeuge keinesfalls mit einem Make! be-
haftet den Gerichtssaal verlaßen müsse.
Die Beweisaufnahme wird mit allseitigem Einverständnis
hierauf geschloffen und die Verhandlung auf Montag vertagt,
um dem Anklagevertreter und den Verteidigern Gelegenheit zu
geben, sich für das Plaidoyer vorzubereiten.
Marloh-Prozeß.
Strafantrag des Anklagevertreters.
Berlin, 8. Dez. Im Marloh-Prozeß beantragte der An-
klagevertreter Kriegsgerichtsrat Dr. Meyer gegen den Angeklagten
Oberleutnant Marloh wegen Totschlags, unerlaubter Entfernung
und Urkundenfälschung eine Gesamtstrafe von drei Jahren und zwei
Monaten Gefängnis, von denen zwei Monate durch die erlittene
Untersuchungshaft als verbüßt angesehen werden sollen.
Berlin, 8. Dez. Nachdem die beiden Verteidiger im Mar-
lohprozeß gesprochen hatten, zog sich der Gerichtshof zur Beratung
zurück. Die Verkündung des Urteils wurde auf morgen mittag
1 Uhr festgesetzt._„
Die Arbeitszeit der Bergarbeiter.
Esten, 9. Dez. (W.T.B.) Der vom Reichsministerium einge-
setzte Ausschuß zur Prüfung der Frage der Arbeitszeit im Bergbau
des Ruhrreviers trat heute wieder zusammen, um die im August
begonnenen Verhandlungen fortzusetzen.

Der MLrlsh-Prszetz.
Der fsMsfe Herr B. Kessel.
Berlin, 9. Dez. (W.T.B.) Wie dem Berl. Tagest!, gemeldet
wird, hat gestern nach Schluß der Verhandlungen im Marloh-
Prozeß Hauptmann v. Kessel durch die Leutnants Bekkurtz
und Stennes dem Zeugen Pfarrer D r. Rump ein Pi-
stvlenduell unter den schärfsten Bedingungen überbringen lassen.
Berlin, 9. Dez. (W.T.B.) Das Urteil im Prozeß Marloh
wird am Dienstag mittag verkündet. Hauptmann v. Kessel ist,
wie verlautet, auf seinen Wunsch vorläufig vom Dienst entbunden
worden.
Dis Lags im Osten.
Königsberg, 9. Dez. (W.T.B.) Reisende berichten, daß in
Mitau Ruhe herrscht. Auch in Riga ist die Lage ruhig. Schau-
len ist geräumt.
Zur Valutssrage.
Berlin, 9. Dez. (W.T.B.) Dem „Lok.-Anz." wird aus Flens-
burg gemeldet, daß die Verhandlungen über die Valutafrage in
Schleswig den dänischen Blättern zufolge nunmehr unmittelbar vor
dem Abschluß stehe.
Der erste überseeische Tabak.
Berlin, 9. Dez. (W.T.B.) Dem „Berl. Tagebl." wirst aus
Hamburg gemeldet: Seit 1917 sind die ersten direkten Tabak-
zufuhren aus den überseeischen Produktionsländern in Hamburg
eingetroffen, darunter 13 000 Vras-ltastak. Weitere 8000 Brasil-
tabak werden noch in diesem Monat erwartet.

Politische Übersicht.


Die deutsche Verfassung im besetzten Gebiet.
Köln,?. Dez. (W.B.) Der „Köln. Ztg." wird aus Wies-
baden telegraphiert: Der Oberbefehlshaber der alliierten Armeen
gibt bekannt, daß die alliierten Regierungen die deutsche Verfas-
sung als gültig anerkannt haben und die deutsche Verfassung dem-
nach auch im besetzten Gebiet als anwendbar zu betrachten ist. Die
Verfügung vom 25. 8., die die Vereidigung deutscher Beamter auf
die neue Verfassung untersagt, ist außer Kraft gesetzt.
Sitzung des Untersuchungsausschußes.
Berlin, 8. Dez. Heute vormittag trat der Untersu-
chungsausschuß der Nationalversammlung zu einer Voll-
sitzung zusammen. Es wurden rem juristische Fragen er-
örtert, die Verbesserung der Methoden bei der Untersuchung, die
strafprozessualen Möglichkeiten und endlich die Frage, ob Regie-
rungsmitglieder berechtigt seien, sich an der Fragestellung zu be-
teiligen. Dieser letzte Punkt bezieht sich wohl vor allem auf das
Verhalten des Reichsministers David, der bekanntlich bei fast allen
Sitzungen des Untersuchungsausschusses Fragen an die Zeugen
richtete. Es entspann sich eine rege Debatte, an der sich Redner
aller Parteien beteiligten.
Drohung der BsWünn-TnrpAen gegen die Regierung.
Um das Bermondtgslb.
Berlin,?. Dez. (Priv.-Meld.) Wie aus Danzig gemeldet
wird, nehmen die aus dem Baltikum heimkehrenden deutschen Trup-
pen teilweise gegen die Negierung eine drohende Haltung
ein und veröffentlichen in den westpreußischen Zeitungen Kund-
gebungen, in denen sie die Einlösung des Bermo Not-
geldes verlangen. Obgleich in diesen Kundgebungen erklärt
wird, dag eine Weigerung der Regierung katastrophaleFvl-
gen haben würde, kann man in Berlin doch nicht nachgeben, da bei
einem prinzipiellen Zugeständnis Geldschiebungen Tür und Tor
geöffnet sein würden. Die sogenannten Bermondtrubel sind in
deutschen Druckereien hergestellt worden. Die Druckplatten befinden
sich heute noch im Besitz dieser Druckereien und es würde natürlich
sofort ein großzügiger Neudruck beginnen, wenn man das Ber-»
mondtgeld anerkennen würde.
Friedenskonferenz der russisch«» Randstaaken.
Berlin, 7. Dez. (Priv.-Meld.) Wie über Helsingfors be-
richtet wird, Hot eine Friedenskonferenz der Randstaaten mtt russi-
schen Vertretern begonnen. Die Verhandlungen find geheim. Die
russische Abordnung besteht aus 50 Personen, darunter sieben
Frauen. Leiter der Abordnung sind die Kommissare Krassin und
Joffe, wozu noch Litwinoff aus Stockholm und Radek aus
Deutschland erwartet werden. Der G e is e l a u s 1 a us ch fand
in Pleskau statt.
Vom badischen Volkskirchenbund.
Mit Bezug auf die neuliche Mitteilung über den seitens der
sozialdemokratischen Vorstandsmitglieder des Volkskirchenbundes
Karlsruhe gestellten Antrag auf Einreichung einer Petition an die
außerordentliche Generalsynode wegen Beseitigung des zu monar-
chistischer Propaganda in der Kirche mißbrauchten Kirchengebetes
für die früheren Landesherren, sind wir heute in der Lage, mitzu-
teilen, daß der Gesamtvorstand des Volkskirchenbundes sich ein-
stimmig der gegebenen Anregung angeschlossen hat und eine ent-
sprechende Petition bereits bei der außerordentlichen Generalsynode
eingereicht hat. Es wird nun abzuwarten sein, welche Stellung die
Generalsynode zu dem Antrag einnimmt.

DKS PrsZlsM der JRLerNstkLMÄLe
aRs dem NNLLHLMgigeu PÄrteiLsg.
Wir haben bereits gestern die beschlossene Resolution des
Parteitages mitgeteilt. Wir geben heute als Fortsetzung des bereits
in unserer Samstagsnummer („Volkszeitung" Nr. 58) Mitgetsilten
das Wichtigste aus den Referaten und Anträgen wieder.

Hilferding über die dritte Internationale.
Die Moskauer Internationale ist gegründet und ihr Geist geht da-
hin, daß ihr nur angehören kann, wer die taktischen Maßnahmen der
Bolschewik! billigt. Wir haben mit den Kommunisten eine ganze Reihe
Grundsätze gemeinsam, aber man kann nicht sagen, daß zwischen uns
und ihnen kein Unterschied besteht. Ich unterscheide mich auch von der
Moskauer Internationale in der Stellung zum Terrorismus. Er ist
für mich unannehmbar, weil er unsittlich ist. Es ist ganz gleich, von
welcher Seite sie komme und zu welchem Zwecke sie geschieht. Der
Terrorismus ist die Methode einer Minderheit, die ihre Schwache fühlt.
Was Kautsky in seiner letzten Schrift darüber jagt, ist geschichtlich
richtig. In dieser Frage gibt es für mich kein Kompromiß. Die Bol-
schewiki haben die Unabhängige Partei seit ihrem Bestehen mit aller
Schärfe angegriffen. Wir haben sofort nach dem Revolutionspatteitag
versucht, den Moskauern unsere Beschlüsse kundzugcben. Daß sie nicht
ununterrichtet sind, und ihre Haltung nicht geändert haben, beweist
Hilferding an einem Aussatz Lenins, in dem dieser neben Haase,
Kautsky und Hilferding ganz besonders Däumrg -angreift und ihn einen
„Bourgeois" nennt.
Unsere Stellung zur Friebensfrage — fuhr Hilferding sott — hat
uns ebenfalls die wütende Gegnerschaft des Bolschewismus eingebracht.
Was die Bolschewik! brauchen, das ergibt sich aus der ungeheuren Not,
in der sie sich befinden. Sie brauchen die Wsltrevolutivu. (Lebhafter
Widerspruch.) Die Bolschewik! können nicht mehr fragen ober über-
legen, sie handeln in Verzweiflung. Wir werden in Moskau nichts
anderes sein als die Prügelknaben der Bolschewik!. (Lebhafter Wider-
spruch und Sehr richtig!) Wenn Sie glauben, daß Wir nach Moskau
gehen könne« und unsere Freiheit behalten, dann gehen Sie fehl. Wenn
wir den Anschluß an die dritte Internationale beschließen, ss erweisen
wir dadurch schon den Kommunisten den besten Dienst, denn sie sind
am Ende. Aber nicht nur vom Standpunkt der Partei halte ich den
Anschluß an Moskau für falsch. Das Problem der Internationale darf
nicht allein vom Standpunkt der Partei behandelt werden, sondern vom
wirklichen internationalen Gedanken. Wir würden durch unseren An-
schluß an Moskau besonders für die Franzosen eine schwierige Situatton
schaffen, er würde dort die Spaltung der Partei zur Folge haben. Das
wäre das Schlimmste, was gegenwärtig dem Sozialismus im Westen
passieren könnte.
Wie haben wir uns den

Wiederaufbau der Internationale
zu denken? Was wir brauchen, ist eine Internationale, die die Parole
verwirklicht: Proletarierer aller Länder, vereinigt Euch! Und solange m
einer langsamen, mühevolle« Arbeit alle Parteien mit sozialrevointio-
närem Geiste zu erfüllen und sie in einer aktionssähigen Internationale
zusammenzufaßen, das ist unsere Aufgabe. In Frankreich, England und
Italien ist von. einer Räteorgamsation kaum etwas zu hören. Die Frage,
ob wir nach Genf gehen sollen, ist für mich keine prinzipielle, solchem
eine taktische Frage. Wir könnten dort abrechnen mit den Svzialim-
perialisten aller Länder und besonders mit den deutschen Rechtssoziaiisten.
Was unter allen Umständen unterbleiben muß, ist der Anschluß a« die
dritte Internationale. Das würde bedeuten, daß wir uns dem Mos-
kauer Diktat beugen. (Sehr richtig!) Das ist wohl im wesentlichen die
Auffassung der größten Mehrheit der Partei. Die Parteileitung hat
jede Gelegenheit benutzt, internationale Beziehungen aufzunehmen, auch
mit den russischen Bolschewiki. Eine Reihe der Parteien, insbesondere
die skandinavische, haben uns geantwortet, daß sie es begrüßen würden,
wenn wir uns der dritten Internationale anschließen. Wir würden gern
die Schwierigkeiten aus dem Wege räumen. Die Franzosen und Oester-
reicher haben geantwortet, daß sie unsere Bemühungen unterstützen. Hit-
ferding schließ! mit der Hoffnung, daß es gelingen möge,

eine aktionsfähige Internationale
zu schaffen, in der wir auch die Stellung einnehmen, die dem deutschen
Proletariat' entspricht, und die die Worte wahrmacht: Die Inter-
nationale wird die Menschheit sein! (Stürmischer Beifall.)
Hierauf ergriff der Korreferent, der Genosse Stöcker, das Wort:
Wir sind uns einig, daß die Schaffung einer aktionsfähigen Inter-
nationale eine dringende Notwendigkeit ist. Hätte Hilferding auf der
Rcichskonferenz so gesprochen wie heute, so wäre ein gut Teil der-bisheri-
gen Diskussion unnötig geworden. Me zweite Internationale ist gestorben
am Reformismus, am Rationalismus und am Opportunismus. Wir
müssen uns bei der Schaffung der neuen Internationale von diesen Feh-
lern freihalten, wenn wir das revolutionäre Proletariat international
erfassen wollen. Die zweite Internationale ist nicht tot; sie ist auferstan--
den in Bern, Amsterdam und Luzern. Es sind dieselben Leute mit den-
selben Gedanken. Man hat in Berlin in ganz klarer Weist zur Diktatur.
Stellung genommen, und zwar gegen sie. Mir waren gewohnt, daß nach
internationalen Kongressen ein Kampfruf an das internationale Prole-
tariat hinausging. Stöcker verliest unter lebhafter Heiterkeit des Partei-
tages die Schlußworte Brant ings auf dem Berner Kongreß mit
seiner Verherrlichung des Wilsonschen Völkerbundes. Das Geschick der
Proletarier aller Länder ist auf Gedeih und Verderb verbunden. Hilfer-
ding gibt sich einer Illusion hin, wenn er meint, daß es gelingen könne,
alle Parteien in einer Internationale zu vereinigen. Dieser Standpunkt
Hilferdings findet die Billigung der verehrten Genossen Fritz Adler, aber
Fritz Adler geht zu sehr von den traurigen Verhältnissen seines Landes
aus, daher sein Pessimismus. Wir würden von vornherein durch ein
gemeinsames Zusammensein mit den Rechtssozialisten in eine Inter-
nationale uns den Stempel der Hohlheit, ja, des Verrats aufdrücken.
Wenn aber wirklich der Ausschluß der deutschen Rechtssozialisten voll-
zogen würde, so geschähe das nicht aus grundsätzlicher, sondern aus na-
tionalistischer Erwägung. Genosst Hilferding wünscht nochmals die Ab-
rechnung mit den Rechtssozialisten in Genf. Aber das bedeutet ja, den
Teufel bei seiner Großmutter verklagen. Den
Austritt aus der zweiten Internationale
müßen wir vollziehen und die Beteiligung am Genfer Kongreß ab-
lehnen. (Sehr richtig!)
Die dritte Internattonale ist im März in Moskau gegründet wor-
den. Dis heute besteht über sie eine Voreingenommenheit, die absicht-
lich gefördert wird. Stöcker macht dies im besonderen der Berliner

/ , Gemische 'SMr-PräwtermKleihe 1MN
 
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