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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (1) — 1919

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Nr. 51 - Nr. 60 (28. November - 9. Dezember)
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täten innerhalb dieser Staaten gleiche Rechte in Bezug aus Religion
und Muttersprache sichern soll. Schließlich wurde beschlossen, daß
jeder Staut, der den Wunsch ausspricht, möglichst bald in den
Völkerbund ausgenommen werden kann. Nach Erledigung dieser
Punkte behandelte die Konferenz Fragen rechtlicher Natur. Eine
permanente Kommission soll, so beschloß die Konferenz, den Ent-
wurf einer Rechtskonventivn zwischen den einzelnen Staaten aus-
arbeiten, eine andere gleichfalls permanente Kommission einen Ent-
wurf zum Völkerrecht.
Die Konferenz sprach sich für folgende Anträge ihrer Kom-
mission aus: Der Völkerbund soll drei Kommissionen schaffen für
Handel, Hygiene und Erziehung und sich für die Verbesserung der
Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einsetzen. Er
soll weiter bestrebt sein, sich dafür einzusetzen, daß durch geeignete
Gesetzgebung jedes Land ein Minimum an Erziehung und Schul-
pflicht gewährleistet. Die Verpflichtung zum Schulbesuch soll bis
zum 14. Lebensjahr erweitert werden. Die Vorschläge der Kom-
mission für die Abrüstung fanden Zustimmung. Danach sollen die
einzelnen Völkerbundvereme sich in ihren Ländern dafür einsetzen,
daß durch geeignete Propaganda der öffentlichen Meinung die Not-
wendigkeit der Abröstung vor Augen geführt werde, damit neue
Verletzungen des Völkerrechts möglichst vermieden würden. Leon
Bourgeois stellte dann fest, daß praktische Maßnahmen in dieser
Frage erst spruchreif seien, wenn Amerika dem Völkerbund beige-
treten sei. Die Konferenz schloß ihre Arbeiten. Leon Bourgeois
sprach dem belgischen Komitee und der belgischen Regierung für
die gewährte Gastfreundschaft den Dank der Konferenzteilnehmer
aus. Die nächste Konferenz tritt im kommenden Jahre in Rom
zusammen.
Aus den Kommissionsberichten sei noch nachzutragen, daß die
Kommission, die die Frage der Teilnahme des Heiligen Stuhles
am Völkerbund zu prüfen hatte, zu der Ueberzeugung kam, daß
zwar der Heilige Stuhl keine Nation sei, daß aber keine höhere
Macht einer Beteiligung des Heiligen Stuhles am Völkerbund im
Wege stehe.
Wahlniederlage in Norwegen.
Bei den am Dienstag in allen Städten Norwegens abgehalte-
nen städtischen Wahlen haben die Sozialdemokraten eins schwere
Niederlage erlitten. In der Stadtverordnetenversammlung von
Kristiania gerieten die Sozialdemokraten in die Minder-
heit. Von 84 Sitzen entfielen auf die Konservativen 45, auf die
Sozialdemokraten 36, auf die Freisinnigen 3. Auch in anderen
Städten haben die Sozialdemokraten schwere Verluste zu verzeich-
nen; sie haben im ganze» 32 Mandate verloren.

AUSlSKV.
Dir Politik Sowjet-Rußlands.
Das Interview, welches Litwinow dem Korrespondenten
des „Daily Herald", Nevinsvn in Kopenhagen gewährte,
ist von erheblichem Interesse. Litwinow beteuerte, daß die russische
Regierung keinerlei imperialistische Pläne im Auge habe. Sie
strebe weder darnach, Konstantinopel zu besitzen, noch irgendwie
ihre Grenzen zu erweitern. Das Sowjet-Ideal sei ein Bund von
Völkern, die sich Rußland au? Grund der Lage ihrer Länder und
der wirtschaftlichen Beziehungen ««geschlossen hätten. In diesem
Sinne solle kein militärischer Druck, z. B. gegen die Georgier,
Letten oder Ukrainer zur Anwendung kommen. Eine Loslösung
von Rußland würde allen erlaubt werden in der Hoffnung, daß
ein natürliches wirtschaftliches Bündnis sie zur guter Zeit wieder
zusammenbringen werde. Was die inneren Verhältnisse anbetrifst,
so erklärte Litwinow, daß die Sowjettruppen mit großer Begeiste-
rung kämpften. Die Dienstpflicht sei durchgeführt, aber man ver-
lasfe sich mehr auf die begeisterte Stimmung der Massen als auf
die Gewalt. Alle Betriebe seien soweit wie möglich nationalisiert.
Die Intellektuellen, die nicht fortgelausen seien, arbeiteten in ihren
Fachberufen für den Staat. Landbesitz sei nur denjenigen gestattet,
die Land bearbeiteten. Indesien bleibe die landwirtschaftliche Pro-
duktion Privateigentum, obgleich sie an den Staat verkauft, werden
müße. In dieser Beziehung scheine es noch recht viel ungesetzliches
Wuchertum zu geben. Das fei wohl eine^ Erscheinung in allen
Ländern. Die Regierung bearbeite einige landwirtschaftliche-Düter
auf kommunistischer Basis als Vorbild für die Bauern. Auf diese
Weise würden die Bauern wohl allmählich zu dem kommunistischen
Verfahren bekehrt werden. Was die sog. Komprvmiffe mit dem
ausläkdijchen Kapitalismus anbetrifft, so meinte Litwinow, daß

ThLSter, KrmsL mrd WisseNsch^ft.

Zum vierten Symphonie-Konzert des städtischen Orchesters.
Das Hauptwerk: Richard Strauß, Symphonie in f°
moll / op. 12. Wenn wir den Namen Richard Strauß hören, dann
wirbeln in unserer utopischen Vorstellung eine Unmenge raffinierter
Klangreize in dynamischen Kontrasten. Eine große Palette, farbenpräch-
tig und stark leuchtend, macht das musikalische Auge schwindeln. Schlag-
werkzeuge und Schlagzeugmaschinen lasten den auf das Aeußerste ange-
strengten Schädel brummen. — In Vieser musikalischen Werkstatt in
modernster, loumateriell vollkommener Ausstattung arbeitet und kompo-
niert Richard Strauß: der viel gefeierte, der als der bedeutendste Kom-
ponist. als Titane vergötterte.
Wollen wtt zur Kunst Richard StraußStellung nehmen, so gilt es,
den Menschen Strauß zu erkennen. Den Menschen: Künstler macht der
Künstler: Mensch. Das Kunstwerk ist die Offenbarung des Menschen
mit all seinem Sehnen, seinem Ringen mit der Welt oder für die Welt.
Richard Strauß kämpft für die Welt, denn er liebt die Welt mit
ihren Wesenheiten. Und weil er sie liebt, drängt es ihn, sie zu repro-
duzieren: wirklich, tatsächlich. Infolgedessen mutz auch seine Kunst die
Zeichen der Moderne tragen: Sensation, Aktualität, Sensitivismus. So
rennen wir Richard Strauß heute.
Die f-moll-Symphonie offenbart uns einen anderen Strauß: den
juaendlichen, strebsamen Schwärmer. Die klassischen Großmeister sind
fein Gott. Die Romantiker — vorwiegend Brahms, Schumann und
Mendelssohn — sein heiliger Hain, besten Bäume ihn beschatten. So
ist die f-moll-Symphvnie durchglüht vom heiligen Feuer der Klassiker.
Und ihre klassische Form ist ihm Notwendigkeit. — Aus diesem Geiste
heraus entstand das symetrische, in allen Teilen proportionale Gebäude
des noch nicht Zwanzigjährigen. Trotz der jungen euchre tritt der Kom-
ponist bereits als der große Könner auf. Der Beherrscher der Form,
der zielbewusste, ausklügelnde Instrumentalist. Die Orchesterbesetzung
ist die übliche: die des großen Symphonie-Orchesters, jedoch mit
Baßtuba.
Der erste Satz: Allegro ma non troppo, un poco maestoso. Ernst
und würdig fließt er dahin. Vorangehen einige melancholisch stimmende
Einleitungstakte. Eine mächtige Steigerung im Durchführungsteil. Auf
einen zehntaktigen Paukenwirbel als Fundament kracht unter gewaltigem
Getöse der Baste, Posaunen und Tuba, der Bau zusammen. Eine er-
neute Steigerung. Resigniert und still kehrt dann die anfängliche Stim-
mung wieder. , . ....
Der zweite Satz (Scherzo): drei Abschnitte: die beiden ersten bilden
den Hauptteil, der dritte das Trio. Launisch beginnt die Bratsche den
musst«lisch en Reigen. InOzwciten Teil zunächst ein anmutiges Gesangs-
thema. Holzbläser kichern übermütig ihre ausgelassenen Einfälle dazwi-
schen. Das Ganze gipfelt in einem etwas wilden Schabernack. Eine
Wiederholuirg des Gesangsthemas bringt wieder Ruhe und Ernüchte-
rung. Den Grundgedanken des Trios charakterisiert das von den Bässen
angegebene Einführungsthcma.
Der dritte Satz: Andante cantabile. Zunächst ein neues Gesangs-
thema des Streichkörpers, wiederholt von den Holzbläsern. Trompeten
pulsen Aufregung in die friedliche Stimmung. Horn und Solo-Molon-
cetl bringen neue Gedanken und leidenschaftlich bewegt steigert sich der
Satz bis zum Ouartenmvtiv als Höhepunkt. Nach einer Wiederholung
der einzelnen Themen verklingt er. -
Es folgt das Finale: Allegro assai, molto appassionato. Wieder
eine breite Einleitung, die zum ersten, dem eigentlichen Hauptthema
überleitet. Nach einem kräftigen kurzen Zwischenthema folgt ein zweites
Hauptthema der Bratschen und Telli. Zart und leise beginnt der Durch-
siibrungsteil. Dann — nach einer Generalpause — ein wildes For-
tissimo. Der letzte, abschließende Teil wiederholt streng schematisch die
^kste Themengruppe. „
Ejne angefügte Coda enthält eine_ Zusammenfassung und Ver-
schlingung sämtlicher Hauptthemen der Symphonie. Es.

Lenin sicherlich bereit sei, fremde« Staaten und Mrme« Konzessio-
nen zs "gewahren. Mast""tue dies, seil man Realist sei und wisse,
was die Ausländer in Wirklichkeit mit ihrer Intervention begehr-
ten. Es sei vorteilhafter für Rußland, den Frieden um diesen Preis
zu erkaufen, als noch mehr Landesschätze und Leben in einem Krieg
zu verschwenden, sieberdies hätten die letzten fünf Jahre einen
so ruinösen Zustand in Rußland verursacht, daß Rußkazch sein
wirtschaftliches Leben nicht shse sremde Hilfe wieder aufdaue«
könne. Deshalb müßten Konzessionen ans Ausland verkauft wer-
den, obgleich man sich der darauf erwachsenden Schwierigkeiten
bewußt sei. Zur Zeit sei man gezwungen, als siebergangsverfahcen
einen Mitteltms zwischen Kapitalismus und Kommunismus ein-
Zuschlagen. Der volle Kommunismus fei nur möglich, wenn die
übrigen Lä-ster die gleiche wkljchastiichc Basis eingenommen hät-
ten. Die übrige Welt werde entweder dem russischen Vorbild
folgen ober Rußland werde, falls es schneller als die Zeit gewesen
sei, wieder dem Kapitalismus--verfallen.
Die Streiks irr Italien.
Wettere blutige Zwischenfälle.
Berlin, 4. Dez. In Mailand wurden bei den Un-
ruhen am Nachmittag zwei Arbeiter und ein Karabiniere ge-
tötet, viele Arbeiter und Karabiniere zum Teil lebensgefährlich
verwundet. Der ohne Beschluß der Arbeitervertretungen
ausgebrvchene Generalstreik dauert auf Beschluß der Arbeiter-
kammer von gestern abend bis zur Aufhebung der von, Präsekten
erlassenen Maßregeln zwecks Ausrechterhaltung der Ordnung fort.
Der Generalstreik herrscht außer in Rom und Mailand auch in
Turin, Genua, Florenz, Varosa und Bologna.
In Mailand, Turin und Florenz wurden viele einzelgehende Offi-
ziere überfallen und verwundet, in Turm Oberst Rossi durch
Messerstiche tödlich venvundet.

UnabhLmgiger Parteitag.
3. Tag. Nachmittags.
Leipzig, 3. Dez. In der Nochmittagssitzung pylMisierte
Koen en (Halle) gegen Cohn und Hilserding. Lohn habe sich selbst
als Beisitzer für den Vorstand der Fraktion dorgeschlagen. Sogar sein
enger Gesinnungsgenosse Henke sei dagegen gewesen. HUferding habe
früher Sozialisierung aus dem Bode» der bürgerlichen Demokratie ge-
wollt, jetzt sei er für die Diktatur des Proletariats. Der revolutionäre
Druck der Masse habe nicht gefehlt, wie Hilserding behauptet habe. Dje
wissenschaftliche Ausbildung der Streikstrategie sei eine lohnende Auf-
gabe für die Parteitheoretiker. Eichhorn (Berlin) erklärte, die
Einigung dürfe nicht an den kompromittierten Führern scheitern; kom-
promittierte Führer gebe es in allen Parteien. Eine Einigung könne
nur aus der Grundlage des AtivnsproIramms erfolgen.
Curt Geyer (Leipzig) wendet sich gegen die persönliche» An-
griffe des Genoßen Lohn auf seinen Tharaktei. Nach der Enthüllung
des Skandals Sklarz hätte Cohn nicht mit Scheidemann verhandeln
dürfen. Es ist doch ein Unterschied, ob man mit Rechtssozialisten oder
Kommunisten verhandelt. Mar; hat sich klar Und deutlich für die
Diktatur des Proletariats ausgesprochen. Wo die Grenzen
zu stecken sind, darum gehen die Differenzen auch mit Hilserding. Die
rechtssozialistische Partei als Partei zu zertrümmern, ihre Mitglieder zu
uns herüberzusieben, das ist unsere Aufgabe hinsichtlich der Einigung.
Wie können wir die Lage des Proletariats ändern? In dieser Situation
ist es unsere Aufgabe, die Massen zusammeuzufafsen zur Bekämpfung
unserer Gegner. Hilserding meint, daß man bis demokratische Republik
verteidigen müße gegen jene Angriffe von rechts. Die Parole in dieser
Siutation ist so verkehrt wie möglich. Dadurch wird Ver-
wirrung in die Köpfe der Arbeiter getragen. Wenn es eine Situation
gibt, die die Notwendigkeit der, Diktatur des Proletariats dartut, dann
sit es die gegenwärtige. (Lebhafter Beifall.)
Ledebour (Berlin): Bei der sogenannten Einigung des Proleta-
riats handelt es sich um etwas ganz anderes, als hier oster behandelt
wurde. Durch die Frage der Einigung der Parteien rvird die Sache
auf die formalistische Bahn gedrängt. Es kommt darauf an, aus alle
Proletarier emzuwirken, um sie für unsere Anschauung zu gewinnen.
Dazu müßen wir eine Politik treiben, die uns das Vertrauen der Massen
sichert. Der Trennungsstrich nach links lag Seeger näher als nach rechts.
Das stebt im Widerspruch zu der Erfassung des revolutionärer! Prolera-
riats, Gegen diese Rückbewegung möchte ich mich ganz energisch wenden.
Die Männer und Frauen, die heute bei den Kommunisten sind, haben
vor noch gar nicht langer Zeit in unserer Partei gestanden. (Sehr rich-
tig!) Sie trennten sich wegen einer a u g e n b ls ck l i ch e n Erstar»
rung, die sie bei uns festzustellen glaubten. Das war kurzsichtig, denn
unsere Partei ist seit dieser Zeit immer revolutionärer geworden. (Sehr
richtig!) Ich habe diese Trennung lebhaft bekämpft und bedauert, da
der linke Flügel unserer Partei durch das Ausscheiden dieser Kräfte
geschwächt wurde. Wenn die Zeit zum Handeln gekommen war, haben
wir unabhängigen Sozialisten unsere Pflicht ebensogut erfüllt wie die
Kommunisten. (Beifall und Zurufe: Noch bester!) Ich sehe keinen
Trennungsstrich nach links. Dis Bewegung gegen den Parlamentarismus
bedauere ich ebenfalls. Die Genossen sind sich über das Programnr
nicht klar geworden. Solange wir nicht in der Lage sind, die parlamen-
tarischen Institutionen zu ersetzen, solange dürfen wir den Genossen die
parlamentarische Betätigung nicht verekeln. Der größte Mange!, den
wir haben, ist ja der Mangel an parlamentarisch geschulten Kräften.
Die Genoßen, die heute am ärgsten gegen den Parlamentarismus sind,
baden sich auf dem ersten Rätekongretz von einem Parlamentarier wie
Leinert einwickeln lasten. Die Gegner des Parlamentarismus sind
Schritt für Schritt zurückgewichen. Es kommt auf unsere neuschöpferische
Betätigung an, die Mehrheit zu gewinnen. (Stürmischer Beifall.)
Genosse Crispien erhält das Schlußwort. Er stellt fest,
daß sachliche Abänderungen des Aktionsprogramms kaum gewünscht wer-
den. Er bittet, das Wort „parlamentarisch" im Aktionsprogramm zu
streichen, damit nach dem Parteitag die Debatte nicht wieder auflebe.
Das Programm soll aussprechen, daß wir uns rückhaltlos auf den Boden
des wissenschaftlichen Sozialismus stellen. Wir werden, gestützt auf
dieses Programm, dem Proletariat Ziele und Wege geben können.
Wenn 1789 und 1848 die Arbeiter für das Bürgertum kämpften, so
kämpft 1919 das Proletariat für seine Sache. Wenn man versuchen
sollte, die gestürzten Throne wieder auszurichten, bann wird das Pro-
letariat selbst zur Abwehr entschlossen, zum Kampf bereit sein für den
Sozialismus, für die Menschheit! (Lebhafter Beifall.)
Vorsitzender Lipinski gibt die Vorschläge für die Redaktionskommis-
sion bekannt. Die Kommission wird bestimmt aus den Genosten C r sis -
pien-Berlin, Hilferoi ng-Berlin, Henke-Bremen, Herz-
feld-Berlin, S t ö ck e r - Berlin, D ä u m i g -Berlin, Dißmann-
Frankfurt o. M., Curt Geyer-Leipzig, K u n i k - Breslau, Ber-
ten-Düsseldorf. , , ,
In die Programmkommission werden entsandt: Crispien- Berlin,
Hilserding- Berlin, Henke- Bremen, Seeger- Leipzig, Braß-
Remscheid, Curt Geyer-Leipzig, D ä u m i g-Berlin, Genossin
Kietz- Berlin, Genossin Sender- Frankfurt a. M., Eckart- Braun-
schweig, L cd e b o u r - Berlin und Simon-Nürnberg.
Zur Beratung des Skeuerproaramms wird ebenfalls eine Kommis-
sion gebildet .aus' den Genossen Wurm- Berlin, Seeger- Leipzig,
Hugo Simon-Berlin, Curt Geyer-Leipzig, Hilferding-
Berlin, Stöcker- Berlin, Herzfeld - Berlin, Löhr ^Braunschweig.
Vierter Berhandlungstag. Vormittags.
Leipzig, 4. Dezember 1919.
Die Stellung zur Internattonale.
Dr. Hilserding (Berlin) führt aus ,daß die Frage der Inter-
nattonale für die innere Stellung zur Partei und ihrer gesamten Stel-
lung in der internattonalen Arbeiterklasse von außerordentlicher
Bedeutung sei. Man dürfe sich hierbei nicht von Voreingenommen-
heiten leiten lassen und keine Gesühlspolitik treiben, son-
dern aus der Untersuchung und Erkenntnis der internatto-
nalen Beziehungen heraus darüber urteilen. Die Geschichte der Partei
beweist, daß die internationale Gesinnung stets die Grundlage ihrer
Politik gewesen sei. Die Revolution habe die praktische Notwendigkeit
^rw-esen, daß eine aktionsfähige Internationale hergesteilt werden müsse.
Die Schwäche der Revolution sei gewesen, daß sie lokalisiert geblieben
sei. Während der Kapitalismus aller Länder sich zusmnmengeschlvsten
habe und gegen die soziale Revolution vyrgehe, habe das Proletariat
noch nicht den Weg gefunden, dem geeinigten Kapitalismus eine aktivns-
fähige Korporation entgegcnzusetzen. Aktivnsfähia könne eine Inter-
nationale nur sein, wenn sie auf sozialistisch-revolutionärer Grundlage
sich ausbaue. Der Parteivorstand sei nur deshalb nach Luzern gegangen,
um dort zu versuchen, aus dieser Grundlage eine Internationale herzu-
stellen. Wir haben dort erklärt, baß kein Urteil über die Politik Sow-
jet-Rußlands abgegeben werden dürfe, die russische Revolution habe ihr
eigenes historisches Recht. Mit dieser Anschauung seien die deutschen

Genossen restlos durchgetzrungen. Hilserding erklärt weiter, -aß feder
Echtaq gx^n Svw-ttrußland ein Schieg gegen den Ssziastssws' sei,
zugleich aber auch ein Schlag, der gegen uns geführt werde. I« Luzern
habe er die Empfindung gehabt, daß sich ein «ak» Mock der ssziaWischen
Parteien finden lasse, der das Uebergewicht in der Intematiovale ge»
wmnen könne. Das sei unmöglich gemacht worden dadurch, daß die
Schweiz und Italien nicht die Stange gehalten hätten.
Hilserding schildert dann die weltpolitische Situation. Während
Marr noch erklären konnte, daß Deutschland die Führung im stttematio-
nalen Kiastenkampf übernehmen würde, sei setzt nach dem Krieg der
E-chwerprmL der Arbeiterbewegung auf England gelegt worden. Der
amerikanische Sozialismus stützt sich vornehmlich auf die Einwan-
derer. Während der Kriegszeit habe die amerikanische sozialistische
Partei die stärksten Verfolgungen zu erleiden schabt. Eg sei damit zu
rechnen, daß auch Amerika eine starke chziastftische Partei bekommen
würde, allerdings würde das noch einige Zeit dauern, da die Masten
vor dein Kriegs vom Sozialismus sehr wenig gewußt haben. Aber die
letzten Bewegungen der amerikanischen Arbeiter zeigen, baß auch dort
die Entwicklung vorangehe. In England habe nach dem Kriege eine
außerordentliche Verbreitung sozialistischer Gedanken eingesetzt. Der
Radikalismus mache rasche Fortschritte, das zeige sich besonders bei den
Wahlsiegen der Arbeiterpariei. Bei England sei mit einer pariamen-
tarifchen Entwicklung zu rechnen. Weniger günstig längen dis Ding«
in Frankreich, wo unsere Partei ihre Stimmen um ein Drittel vermehrt
hat. Aber in Frankreich spiele das Kleinbürgertum und das Bauern-
tum ^eine wesentliche Nolle. Es sei aber auch in Frankreich mit einer
verhältnismäßig langsamen Entwicklung zu rechnen. Das treffe auch
für die anderen Westicinder zu, insbesondere Italien.
Hilserding schildert dann die Situation imOste n. In R u ß -
land sei, im Gegensatz zu Zentraleurvpa, namentlich mit Deutschland,
schon vor dem Kriege eine revolutionäre Situation gegeben. Das Bür-
gertum und Proletariat war schon längst entschlossen, den Zarism u s
zu stürzen. Line bürgerlich-bäuerliche Revolution
habe sich vorgebildet, die sich allerdings nur unter proletarischer Teil-
nahme und Führung habe durchsetzen können. Während des Krieges
hat das Proletariat die politische Macht erobern und die Diktatur er-
richten können. Wir willen aber, daß keine Politik auf die Dauer sich
halten kann, wenn sie nicht mit den ökonomischen Bedingungen des Lan-
des begründet ist. Das wissen auch die Bolschewisten, und darum haben
sie, ihre Hoffnung auf die W e l t r e v s l u t i o n gesetzt. Dies« Hoffnung
hat sich aber bisher nicht erfüllt. Darum hat sich die Situation der Bol-
schewisten außerordentlich erschwert und zu Rückbildungen geführt.
Politisch ist ihre Entwicklung mit den Aussichten der Weltrevolutioa ver-
quickt. Im übrigen Osten gewinnt die Gegenrevolution an Ausdehnung.
Ungarn ist wieder monarchistisch geworden. Es bildet sich zum
Zentrum der Konterrevolution
aus.
Hilserding saßt dann zusammen: 3m Westen- seLe« wir
eine zunehmende Radikalisierung, die aber noch eine gewiße Zett erfor-
dern wirb, bis sie sich ausgewirrt hat. Im Osten erkennen wir eine Er-
starkung der Gegenrevolution, die in Rußland ihre Wirkung darin aiis-
übt, daß sie zu Rückbildungen in der Wirtschastsverfaflung geführt hat.
Unsere Taktik mutz also dahin gerichtet sein, daß wir uns nicht isolieren
vom Westen, von dem Zentrum der kapitalistische» Entwicklung.

SsziaLe Rrmdschau.
Die hohen Arbetterttihne sind schuld daran, so kautet gewShnüch
bas Sprüchlein an den diversen Stammtischen unserer Spießer, wenn
sie auf die Preissteigerung der verschiedensten Gegenstände zu sprechen
kommen. Auch de! Debatten au? den Rathäusern und in den Lande? -
poriamenten hört man ab und zu diese „Weisheit" verkünden. Es ist
schon wiederholt die Gedankenlosigkeit einer solchen Behauptung nach-
gewissen worden, aber trotzdem wird sie von arbeiterfeindlichen Kreise»
erneut aufgestellt. Zur Illustration, wie Preise „gemacht" werden, be-
sonders bei einem Industriezweig, in der Metallindustrie, der für das
deutsche Wirtschaftsleben von großer Bedeutung ist, dient das Treiben
des Stahlwerksverbandes beleuchtet zu werden. I« einer
Sitzung dieses Verbandes wurde ein Abkommen genehmigt, das der
Trägerhänblervereinigung für Lieferungen der Fabrik für
jede Tonne Formeisen eine Vergütung von Z 4 0 M k. (gegen IM Mk.
seither) zusichert. Eine Hand wäscht die andere. Man faßt sich freilich
an den Kopf, wenn man hört, daß heute allein die Händlerprovision
sechsmal so hoch ist, als der Friedenspreis für Formeifen. Die
Herren, die eben am lautesten über den Zusammenbruch der Wirtschaft
lamentieren, auch über die Begehrlichkeit der Arbeiter und Angestellten
schimpfen und die die Revolution anklagen, vergessen sich nicht beim
Leichenschmaus. Niemand kann unserer Wirtschaft solch furchtbare
Stöße versetzen, wie die Preispolitik dieser SLahlwerksherre«, die ja die
Weiterverarbeitung in der Industrie und dadurch auch den wirtschaftlichen
Aufbau förmlich erdrosseln. Im Internste unseres gesamten Wirtschafts-
lebens müßte hier das Neichsarbeitsmimsterivm das Treiben dieser Kreise
scharf beobachten und gegebenenfalls gegen derartige Machinationen mit
aller Energie einschreiten.
Ein Vorschlag auf Abänderung des badische« Gehaltstarifs. Der
Bad. Beamtendund hat einen Entwurf zu einem neuen Gehalstarif aus-
gearbeitet, in weichem lt. „Bad. Ländesztg." das allseits von der Be-
amtenschaft abgelehnte Klossensystem beseitigt und das System des Be-
soldungsbienstalters durchgeführt ist. Aus sozialen Gründen ist eine frü-
here Erreichung des Höchstgehalts schon in M Jahren vorgesehen und
zwar in der Weise, daß in den ersten 10 Jahren höhere Zulagen als in
den folgenden- 10 Jahren gegeben werden.
/X Die Münchener Brauereiarbeiter treten in Ausstand. Der Orts-
verband der Münchener Brauereiarbeiter hat beschloßen, am Samstag
in den Streik zu treten. Die Arbeiter fordern die Weiterzahlung der
bisherigen Teuerungszulage von 30 Mk. wöchentlich. Der Streik droht
auf ganz Bayern üderzugreifen. Die Brauereien erklärten sich außer-
stande, die Teuerungszulage weiter zu bezahlen, wenn sie nicht besseres
Bier zu einem höheren Preise Herstellen dürfen.
— Ein Poststrei! in Köln. Die Postaushelfer- und Helferinnen des
Fernsprech-, Telegraphen- und Postscheckamts traten, da die Verhand-
lungen über die Lohnerhöhungen bisher zu keinem befriedigenden Ab-
schluß führten, nach der „Frankfurter Zeitung" in einen viertägigen
P r o t e st st r e i k ein. Durch den Streik wird hauptsächlich das Post-
scheckamt in Mitleidenschaft gezogen, dessen Personal hauptsächlich aus
Aushelfern besteht.
— Der Generalstreik in Bitterfeld beendigt. Die Verhandlungen
der paritätischen Kommission, die zur Beilegung des Generalstreiks im
Bitterfelder Revier eingesetzt ist, sind abgeschlossen. Es wurde ein acht
Punkte umfassendes Protokoll vereinbart, dem die Betriebsräte dereits
zugestimmt haben.
" Prozesse wegen des Schweizer Generalstreiks. In der Schweiz
beginnen in den nächsten Tagen die Prozesse wegen der Generalstreiks
von Basel und Zürich. Angeklagt sind sozialdemokratische Redakteure
und Gewerkschaftsfunktionäre. Man will sie nicht nur verurteilen, son-
dern sie auch zur Entschädigung der bei den Unruhen beschädigten Privat-
personen heranziehen, um auf diese Weise den Arbeitern für die Zukunft
größere Aktionen unmöglich zu machen-.

KsmMrmKles.
st. Gemeinderatssitzung in Mosbach. Der Bürgermeister berichtet
über die vorgenommenen Untersuchungen auf Mosdacber Gemarkung
nach neuen Quellen, wonach die Resultate als sehr günstig, be-
zeichnet werden müßen. Kenntnis genommen wurde von einer in Aus-
sicht gestellten Lebensmitteisendung eines amerikani-
schen Vergnügungsvereins, dieselbe soll für einige kinder-
reiche arme Familien bestimmt sein, deren Ernährer im Kriege gefallen
ist. — Die Obstbaumwaristelle soll, vorbehaltlich seiner weiteren Aus-
bildung, einem hiesigen Gärtner, der in Gefangenschaft war, über-
tragen werden. — Dem Gesuche der Direktion des Reaiprogymnasiums
um Anschaffung einiger Schränke für das Lehrpersonal kann, der Teue-
rung wegen, vorläufig nicht entsprochen werden. — Die neueingeteilten
Heckstücke im Gewann Mittel werden demnächst zur Versteigerung auf-
geboten, wobei in erster Reihe Arbeiter und Kleingewerbetreibende be-
rücksichtigt werden sollen. — Ebenso sollen im Mittel eine Reihe Nuß-
bäume angepflanzt werden. — In nächster Zeit wird in der Volksschule
mit einer Klasse mit der Zahnuntersuchung begonnen. — Nachdem die
evang. Stiftungsbekörde in Karlsruhe dem hiesigen Fußballklub um
Ueberlassung eines Sportplatzes nicht entgegengekömmen ist, kann sich
der Gemeinderat wegen weiterer Plätze nicht verwenden. — Das Woh-
nungsamt wird um ein weiteres Mitglied verstärkt und dasselbe aus den
Reihen der Unabhängigen Sozialdemokraten entnommen werden. —
Bekanntgegeben wird die endgültige Versetzung zrckier Hauptlehrer an
die hiesige Volksschule. — Ebenso wird dem Wunsch« der Schulbehörde
um Vermehrung einer wetteren Pr o s e s s o r e n st e l l e ent-
sprochen. — Bekanntgegeben wird die Kündigung des Tarifvertrages
der GemeiNdearbeiter und die neuen Lohnforderungen mit 2.20, 1.90,
1.70, 1.50, 1.20 und 1 Mk. pro Stunde. Der Gemeinderat bat zu
 
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