bvm Obersten Rat eingesetzte Kommission werbe sich mit der
Durchführung dieser Läwnsmittestransporte beschäftigen. Drittens
würde, wenn möglich, binnen einer Woche entschieden, welche von
den zurzeit der Reparationstommisfion verpfändeten österrei-
chischen Aktiven zur selbständigen Kreditbeschaffung frei-
gegeben werden sollen. Viertens erteile der Oberste Rat seine
Zustimmung zur Beendigung der Verhandlungen der österreichischen
Regierung mit einem holländischen Konsortium wegen
Verpfändung des üWrreichifchen Tsbakmvnvpvls.
Der hieraus zunächst zu erzielende Bors chu ß von 20 Mil-
lionen holländischen Gulden wäre in erster Linie zum
Ankauf der notwendigen Lebensmittel zu verwenden. Fünftens
würde die Reparationskommission das vom Staatssekretär der
Volksernährung ausgearbeitete
Programm für die Ernährung Oesterreichs in dien nächsten
zehn Monaten
unverzüglich prüfen.
Staatskanzier Dr. Renner dankte dem Ooersten Rat und
hob die Rotwendigkeit hervor, die Transporte aus Triest schnel st-
stens durchzuführen. Da die bisherigen Schritte zur Erlangung
größerer Mengen Lebensmittel aus Südsiawien fehlschlugen,
bedürfe es des ganzen Einflusses der Alliierten, um die süd-
slawische Aushilfe wirksam zu machen. Ferner betonte der Staats-
kanzler die Notwendigkeit baldigster Entscheidung über die Frei-
gabe von Aktivm, um Oesterreich im Auslande zahlungsfähig zu
machen.
-w daran anschließende Erörterung ließ erkennen, daß der
Oberste Rat gewillt sei, den Wünschen Oesterreichs
möglichst entgegenzukvmmen.
X
Die Wiener „Arbeiterzeitung" verweist auf einen
bemerkenswerten Artikel des in Delemvnt (Kanton Bern) erschei-
nenden schweizerischen Blattes „Democrate", dem man Be-
ziehungen zur französischen Botschaft in Dern nachsagt. In dem
Artikel wuo gegen den englischen Abgesandten Sir George Clerk
der Vorwurf erhoben, die Errichtung einer wirst-baftlichen Donau-
föderation und damit eine politische und militärische -riga anzu-
streben, deren Kern zweifellos Ungarn b-.^en und der sich Polen
und vieueicht auch Rumänien anschließen wüvverr. Die Stellung-
nahme Jugoslawiens sei fraglich. Der tschechisch-slowakische Staat
würde ,. energisch gegen diese neue Koalition erheben, da er das
erste Opfer dieses Donaublockes sein würde. Dann - .zt es wört-
lich weiter: „Während der ganzen Friedensverhandlungen hatte
Frankreich in Oesterreich eine beständige Polittt: nämlich die V e r -
Hinderung des Anschlusses Deutsch-Oesterreicks an
Deutschland, um das „Reich" nicht um sechs Marionen Einwohner
zu verstärken. Diese Politik wird gegenwärtig in Paris weni-
ger hoch bewertet, da ein Jahr Erfahrungen die materielle
Unfähigkeit Oesterreichs, aus eigener Kraft zu bestehen, erwiesen
hat. Das französische Ministerium für auswärtige Angelegen-
heiten ist dahin gekommen, das Schicksal der österreichischen Re-
publik aufs neue zu untersuchen. Das französische Außen-
amt war der Verwirklichung der in Wien von Herrn Alize geführ-
ten Politik günstig, nämlich der Errichtung einer Donau-Korföde-
ration; aber eine andere Tatsache scheint jetzt in den Vordergrund
z« treten."
Sozialistische Siege bei den GemeinderaLswahlen in Frankreich.
Das Ergebnis der Eemeinderatswahlen in Frankreich war
für die Sozialisten w ei t b e s s e r, als das der Kammer-
wahls, Zahlreiche große Provinzstädte haben nunmehr eine,
absolute szialistische Majorität, so z. B. Lyon,
Lille, Troyes, Perigueux und Grenoble. In den
meisten dieser Städte wird ein Sozialdemokrat zum Bürgermeister
gewählt werden, so der Abgeordnete DelvryinLille und der
Abgeordnete Mvutep in Lyon. Bemerkenswert ist die Tat-
sache, daß in zahlreichen Städten, namentlich bei der Stichwahl,
die Sozialisten mit der bürgerlichen Linken gemeinsame Listen auf-
stellten, obgleich der französische Parteivorstand diese Verbindun-
gen bei den allgemeinen Kammerwahlen vom 16. November aus
Gründen des reinen Klassenkampfes streng verboten hatte.
DsNtfche NMmmlvsesmKWLLNg»
(Schluß des gestrigen Berichts.)
Reichsfi'nanzmmister Erz berg er: Die Reichsfinanzverwaltung
wird mit aller Energie auf dein Boden der Resolution des Abg. Braun
treten. Wir haben bereits Herren in die neutralen Staaten entsandt, um
die Frage der Doppelbesteuerung und der gegenseitigen
Reich s h i l f e in Steuersachen zu behandeln. Unsere -Reichsabgaben-
ordnung muß der Ausgangspunkt einer internationalen Aktion größten
Stiles worden.
Abg. Schulz-Bromberg (D.-Ntl.): In der Kritik der Spar-
prämienanleihe hat meine Partei außerordentliche Zurückhaltung
gezeigt. Die Auslassungen Dr. Friedbergs in der preußischen Landes-
versammlung werden unseren. Argumenten gegen das Neichsnotopser
vollkommen zustimmcn.
Reichskinanzminister Lrzberger: Ich kenne die Aeußerungen
Dr. Friedbergs nur aus dem „Berliner Tageblatt". Sie bestätigen die
Richtigkeit einer Bemerkung des Abgeordneten Dr. Zehnter, daß in den
Landesoersammiungev vielfach Dinge erörtert werden, die nicht dorthin
gehören. (Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Dr. Friedberg hat
mir schon mehrfach auch im preußischen Landtag Dilettantismus vorge-
worfen. Solche Dinge lassen mich furchtbar kalt. Die Steuervorlagen
Mb 6 Monate lang erörtert worden und letzten Endes fast unverändert
verabschiedet. Der Vorwurf des Dilettantismus trifft also das ganze
Frühlingswogen.
(31. Fortsetzung.) '
Sie begnügte sich damit, geduldig ihre Mutter zu liebkosen,
welche auch sie anfangs von sich gestoßen hatte.
Endlich jedoch begann sich der Sturm nach und nach zu legen.
Frau Lenore hörte auf zu weinen, erlaubte Gemma, sie aus dem
Winkel, in den sie sich geflüchtet hatte, herauszuführen und sie in
einen Sessel neben dem Fenster zu ziehen und ihr 'bin Glas.Po-
meranzenblütenwasser zu reichen. Sie erlaubte Sanin — nicht sich^
ihr zu nähern: o nein! — sondern wenigstens im Zimmer zu blei"'
den — (bis jetzt hatte sie kategorisch verlangt, daß er sich entferne)
—und unterbrach ihn nicht mehr, wenn er sprach. Sanin beeilte sich,
Liese Symptome von Friedfertigkeit sofort zu benutzen und entwik-
kelte eine erstaunliche Beredsamkeit: selbst Gemma gegenüber hätte
er seine Absichten und Gefühle schwerlich mit solch überzeugender
Wärme darlegen können. Seine Gefühle waren die aufrichtigchen,
seine Absichten die reinsten, wie die Almavivas im Barbier von
Sevilla. Er verheimlichte weder Frau Lenore, noch sich selbst die
nachteilige Seite dieser Absichten; aber diese Nachteile, setzte er hin-
zu, seien nur scheinbar vorhanden! Allerdings sei er Ausländer, sei
erst vor kurzem mit ihnen bekannt und sie wüßten nichts Bestimm-
tes, weder von seiner Person, noch von seinen Verhältnissen, aber
er sei bereit, die erforderlichen Beweise dafür beizubringen, daß er
ein ordentlicher und nicht gerade armer Mensch sei; er wolle ihr zu
diesem Behuf die glaubwürdigsten seiner Landsleute als Zeugen vor-
führen und er hoffe, Gemma würde glücklich mit ihm werden; auch
werde er sich bemühen, ihr die Trennung von ihrer Familie möglichst
zu versüßen ...
Der Gedanke an eine Trennung — ja schon das bloße Wort
„Trennung" — hätte beinahe alles wieder verdorben, Frau Lenore
wurde ganz bestürzt und geriet in die größte Aufregung. Sanin
beeilte sich zu erklären, daß diese Trennung nur von kurzer Dauer
sein werde, ja daß sie am Ende vielleicht gar nicht eintreten würde.
Sanins Beredsamkeit blieb nicht ohne Wirkung. Frau Lenore
begann ihn anzusehen, allerdings noch mimmer mit einem traurigen
und vorwurfsvollen Blicke, aber doch nicht mehr mit dem früheren
Parlament. Die Sparprämienanleihe hat immerhin 80 Proz. des
erwarteten Ergebnisses gehabt und ihre Zeichnungshöhe ist der der ersten
Kriegsanleihe gleich, die doch unter viel größerem Druck auf das große
Kapital hinausgegeben worden war. Nach einer Richtung befriedigt
aber bas Resultat außerordentlich: Nicht weniger als Bi er fünftel
der Zeichner sind kleine Leute. Das große Kapital ist sich bisher
seiner vaterländischen Pflicht sehr wenig bewußt gewesen. Cs kämpfte
gegen das Relchsnotopser, das zwangsweise weggenommen wird, und es
kämpfte gegen die Sparprämienanleihe, die es freiwillig zeichnen sollte.
(Großer Lärm rechts, lebhafte Zustimmung linR) Die preußischen
Stimmen sind vor der Einbringung des R c i ch s n v t o p s e r s ein-
stimmig für dieses Gesetz gefallen und es ist von Pcußen kein
gegenteiliger Vorschlag gemacht worden. Erst nach der Ver-
abschiedung in der Kommission ist mir nicht von der preußischen Regie-
rung, sondern vom preußischen Finanzminifter eine Anregung einer
dritten Stell« unterbreitet worden, die dahin ging, man- möge im Gesetz
vorschreiben, daß das ganze Neichsnotopser durch Kriegsanleihe
gezahlt rverden müsse. Das ist der sogenannte preußische Vorschlag.
Ich habe ihn abgelehnt, denn wie sollen wir zu Bargeld kommen, wenn
wir dreißig Jahre lang immer nur Kriegsanleihe einnehmen. Indirekte
Steuern durchzudrücken ist kinderleicht gegenüber dem Treiben gewisser
Kreise, die einsehen, wenn man an ihren Geldbeute! rückt. (Lärmende
Zuruse rechts.) Was an Druckmitteln der verschiedensten Art nicht nur
au? Mitglieder des Hauses, sondern auch auf Regierungsstellen ausgeübt
worden ist, geht über alles Erträgliche. (Großer Lärm rechts, lebhafte
Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Aus diesen Willen des Kapi-
talismus kann ich nur eine Antwort geben: Das Reichsnotopfer nöchheute
uiit großer Mehrheit zu verabschieden. (Lebhafter Beifall bei den Mchr-
heitsparteien.)
Nach kurzen polemischen Ausführungen der Abgeordneten Most
(D. Vp.) und Waldstein (Dem.) und nachdem Reichsfinaiizmimster
Erzberger seine Rede vom 5. Dezember im Wortlaut verlesen hat,
schließt die allgemeine Aussprache.
Der Antrag Dr. Ni eß er auf Rückverweisung der Vorlage an
Len Ausschuß wird in namentlicher Abstimmung mit 223 gegen SO
Stimmen abgelehnt und in dritter Lesung gegen die Stimmen her Rech-
ten und einiger Demokraten das Gesetz über bas Reichsnotopfer ange-
nommen, ebenso die Resolution der demokratischen Fraktion.
Line Anzahl Wahlen werden für gültig erklärt. Der von dem
Abg. Trimborn und Gen. (Ztr.) eingebrachte Entwurf über Sieuer-
Nachlaß (Generalpardon) wird nach längerer Debatte gegen die beiden
sozia,-demokratischen Fraktionen in zweiter und vritter Lesung angenom-
men, ebenso wird ein Gesetzesvorschlag des volkswirtschaftlichen Aus-
schusses, der sich gegen das Animierkneipenwesen richtet, nach kurzer De-
batte einstimmig in allen drei Lesungen verabschiedet.
Der Präsident verliest unter lebhaftem Beifall ein Telegramm sämt-
licher politischen Parteien des Kreises Lyck mti dem Versprechen, treu
zum Reich zu halten, und teilt mit, daß es gelungen sei, die Ver-
psleWngsschwierigkeiten zu beheben, in die das Haus infolge des morgen
-einsetzenden Gastwirtestreiks zu kommen drohte. Für die Abgeordneten
seien 300 Mittsgsgedecke in der Reichstagsrestaurativn gesichert. (Heiter-
keit mrd Beifall.)
Donnerstag 10 Uhr: Deutschnalionale Interpellation wegen
Wirtschafts- und Steuerpolitik, Gesetz gegen das Glücksspiel, dritte B e -
ratung des U m s a tz st e u e r g e s e tz e s und des Elektrizitäts-
gesetze s.
Schluß Uhr.
Berlin, 18. Dez.
Präsident F ehrend ach eröffnet die Sitzung um 10.20 Uhr.
Auf der Tagesordnung stehen Interpellationen Arnstadt über die
Steuerpolitik, sowie das unablässig« und ungeheure Steigen aller
Preise und die E i n- und Ausfuhr.
Reichsfinanzminister Erzberger erklärte, daß die Regierung be-
reit sei, die Interpellation morgen zu beantworten.
Abg. Lobe lSoz.) wünscht ebenfalls eine Entscheidung darüber, ob
morgen oder übermorgen verhandelt werden soll. Es ist ein« Illoya-
lität dm Rechten, diese Interpellationen jetzt einzubringen, welche die
schwersten Angriffe gegen die Regierung enthalten. Es ist ein Ueber-
fall! Sie haben mit den Interpellationen im Hinterhalt gelegen!
(Widerspruch und Lärm rechts, Beifall bei der Mehrheit.)
Der Gesetzentwurf über das Glücksspiel wird in allen drei
Lesungen ohne Aussprache angenommen.
Der Notenwechsel zwischen Deutschland und den alliierten mrd asso-
ziierten Mächten und das am 22. Septemsbr in Versailles unterzeichnete
Protokoll über Artikel 61 der Verfassung werden in allen drei Lesun-
gen erledigt.
Das Gesetz betreffend die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschast
wird in dritter Lesung angenommen, vorher ein Nachtrag zum
Etat für 1919, ebenso in allen Lesungen und endlich in dritter Lesung
das ftmsatzfteuergesetz.
Präsident Fehrenbach:
Alle Parteien des Hauses sind darin einig, daß wir nicht in
die Ferien gehen wollen, ohne eine Kundgebung für unsere
Gefangenen erlassen zu haben. (Alle Abgeordneten erheben
sich von ihren. Sitzen.) Die Nationalversammlung nimmt mit tie-
fem Schmerz Kenntnis davon, daß fast eine halbe Million deutscher
Bürger noch ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft harrt. Der
größte Teil wird in Frankreich zurückgehalten. Ader auch Eng-
land hat noch nicht alle herausgegeben. Deutschland hat alle seine
Gefangenen zurückgefchickt, die zurückgehaltenen Russen deshalb
nicht, weil es unmöglich war. Die Nationalversammlung fühlt
und leidet mit den unglücklichen Gefangenen sowie mit ihren Eitern,
Frauen und Kindern, dis jetzt zu Weihnachten in besonders tiefer
Sehnsucht der fernen Lieben gedenken werde«. Sie wendet sich an
die Neutralen mit heißem Dank für ihre bisherige Tätigkeit, sie
wendet sich an alle Frauen und Männer in den bisher feindlichen
Ländern, die sich ein menschlich fühlendes Herz bewahrt haben, daß
sie heute ihre Stimme erheben zu dem Ruf: Schafft den Frauen
ihre Männer, den Kindern ihre Väter, den gebeugten Estprn ihre
Söhne wieder! (Bravo!) Das Wort zu dieser Kundgebung wird
nicht gewünscht. Sie haben sich zu Ehren unserer Gefangenen von
Ihren Sitzen erhoben. Ich danke Ihnen und stelle die einmütige
Annahme dieser Entschließung durch die Nationalversammlung fest.
Nächste Sitzung morgen 10 Uhr. Schluß gegen 12 Uhr.
Zorn und Unwillen; dann erlaubte sie ihm, heran zu kommen und
sich neben sie zu setzen (Gemma saß an der andern Seite); alsdann
fing sie an, ihm Vorwürfe zu machen, nicht bloß mit Blicken, son-
dern auch mit Worten, ein Beweis, daß ihr Herz sich schon bedeu-
tend erweicht hatte; sie begann zu klagen, aber ihre Klagen wurden
immer milder und wemüti-ger; und nach und nach gingen sie in
Fragen über, die sie bald an ihre Tochter, bald an Sanin richtete; so-
dann gestattete sie ihm, ihre Hand zu nehmen und zog sie nicht sofort
wieder zurück . . . darauf fing sie wieder an zu weinen, aber es
waren jetzt ganz andere Tränen . . . dann lächelte sie wehmütig und
bedauerte nochmals die Abwesenheit des seligen Giovann Battista,
aber in einem ganz andern Sinne als vorhin . . . Noch einen
Augenblick und die beiden Sünder, Sanin und Gemma, lagen be-
reits vor ihr auf den Knien und legte nacheinander ihre Hände
auf ihre Häupter; wieder einen Augenblick und sie umarmten und
küßten sie, und Emil stürzte mit vor Entzücken strahlendem Gesicht
ins Zimmer und schloß sich der eng verschlungenen Gruppe an.
Pantaleone warf durch die halbgeöffnete Tür einen Blick ins
Zimmer, lächelte und runzelte die Stirn zu gleicher Zeit, durchschritt
das Zimmer und schloß die Ladentür wieder auf.
30.
Der Uebergang von der Verzweiflung zur Traurigkeit und
von dieser wieder zur „stillen Resignation" hatte sich bei Frau Le-
nore ziemlich rasch vollzogen; ja auch diese stille Resignation ver-
wandelte sich bald in heimliche Freude, welche sie jedoch, um den
Anstand zu wahren, in jeder Weise zu verbergen suchte. Sanin
hatte gleich am ersten Tage, da sie ihn kennen gelernt, einen günsti-
gen Eindruck auf Frau Lenore gemacht. Einmal mit dem Gedanken
vertraut, daß er ihr Schwiegersohn werden solle, fand sie an dieser
Vorstellung nichts des. Unangenhmes mehr, obgleich sie es für ihre
Pflicht hielt, den beleidigtersiod. vielmehr bekümmerten Eesichtsaus-
druck beizubehalten. Zudme war alles, was in den letzten Tagen ge-
schehen, so außerordentlich gewesen! ... Es war alles Schlag auf
Schlag gekommen! Als praktische Frau und Mutter hielt Frau
Lenore es ferner für ihre Pflicht, Sanin einem eingehenden Ver-
hör zu unterwerfen, und Sanin, der, als er sich am Morgen zu dem
Stelldichein mit Gemma begeben, noch nicht im mindesten daran
gedacht hatte, sie zu heiraten — in her Tat dachte er damals an gar
Der Arbeitsplan der RationalversiuMsiung.
Berlin, 17. Dez. Der Aeitestenrar der Nativiralversamm-
lung hielt am Dienstag abend eine längere Sitzung über dis Ge-
schäft s l a g e ab und einigte sich schließlich -dahin, am 13. 8ammr
1920 wieder zusammenzutreten, um den Gesetzentwurf über die
Betriebsräke m 2. und 3. Lesung zu beraten. Man hofft, bas
Betriebsrätegesetz in drei bis vier Tagen verabschieden zu können.
Es ist ferner in Ansicht genommen, im Anschluß an das BstrieLs-
rätegefetz die erste Lesung kleinerer Steuerg e s e tz s (Be-
steuerung der Toten Hand) vorzunehmen. Hierauf wird auch mit
Rücksicht auf den Parteitag des Zentrums eine Pause
eintreten, die sich bis in die zweite oder dritte Februarwoche er-
strecken soll. Jedenfalls so lange, bis der Haushaltsplan vor»
1920—21 vorgelegt ist. Beim Zusammentritt des Plenums im
Februar wird wahrscheinlich auch die Vorlage über das Reichs-
tags wahlrecht und über -die Wahl des Reichspräsi-
denten vvrliegen. Die Ausschüße, namentlich die Steueraus-
schüsse, werden ihre Arbeiten im Anschluß an die IanuartagrmK
wieder aufnehmen.
Badische Politik.
Zum Kapitel Schulordnung
wird unserem Freiburger Parteiblatt geschrieben: „Zu den ressM-
bedürftigsten Verordnungen gehört die allgemeine Schulordnung
für Gewerbe- und Handelsschulen vom 8. August
1907. Dieselbe besagt: „Am Schluffe des Schuljahres findet eine
öffentliche Prüfung (Unterrichtsprobe) statt, um Inter-
essenten einen Einblick in dis Leistungen der Schule und öis Art
der Unterrichtseoteilung zu ermöglichen usw." Eine öffentliche
Komödie, welche bis iirs kleinste erprobt ist, soll den Interessenten
einen Einblick in die Leistungen der Schule und die Art der Uktter»
richtserteilung ermöglichen. In einer halben Stunde ist ein Ein-
blick in die Leistungen der Schule ein Ding der Unmöglichkeit, urüd
eine Schaustellung gibt kein Bild von der Art der Unterrichts-
erteilung. Sehen wir uns einmal die Interessenten an: Dis Hand-
werker fehlen meist gänzlich, alle Pensionäre gähnen auf den Stüh-
len oder nicken mit sachverständiger Miene, wenn der wochenlang
Eingsdrillte feste läuft und eine Frage beantwortet wird, bevor sie
nur recht gestellt ist. Die Drillzeit würde viel bester anders und
zwar zum Unterrichten verwendet werden. Deshalb weg mit den
öffentlichen Prüfungen."
Eine weitere Zenirumssümme für em unttarifches Reich.
8--. Nachdem sich Herr Dr. Zehnter vom Zentrum für den
unitarischen Staat ausgesprochen hat, meldet sich jcht der
Zentrmnsabgeordnete Diez von Radolfzell im „Badischen Beob-
achter" zum Wort, um im gleichen Sinne Propaganda zu machen.
Wir begrüßen diese Entwicklung des Zentrums, indem wir die
Ausführungen des Herrn Diez wiedergeben, der nach polemischen
Spitzen gegen die Novemberrevolution schreibt:
„Statt eine starke Zentralgewalt zu schaffen, splitterte sie ü-s spär-
lich genug vorhandenen Kräften. Waren früher die Monarchien und
deren Hauspolitik die Hemmungsversuche für eine gesunde Entwicklung
deutschen Nationalempfindens, so sind es heute 25 „Staäts"-Rechemngen,
25 Parlamente. Der Begriff „Staat" setzt souveräne Rechte voraus.
Die „Länder" der neuen Reichsverfaffung besitzen solche nicht mehr. Das
Heer, die Post, Eisenbahn und Wasserstraßen, die Finanzhoheit sind auf
das Reich übergegangen, die -wirtschaftliche und politische Hegemome
Preußens — die Grundlage der Reichsverfaffung von 1871 und bas
Bollwerk deutschen Partikularismus — ist damit' zerstört. Das Reich
ist das Erbe der preußischen Hegemonie geworden. Der deutsch« Par-
tikularstaat ist am Kriege gestorben, die Revolution hätte ihn nur be-
graben dürfen. Das Argument von der drohenden Berpreußung ist
widerlegt. Preußen als deutscher Vormachtsstaat ist durch die Reichs-
vcrfassung erledigt. Man warte die in der Verfassung feMslegte
Sperrfrist von 2 Jahren für die Bildung neuer Länder ab; der Beweis,
für die sogenannt« Geschlossenheit des preußischen Staatswesens wird
im Westen und Osten, in Hannover und den hessischen Provinzen der
früheren preußischen Monarchie durch die Bildung neuer in ihrer Ber-
waitimg selbständiger.Staaten in negativem Sinn erbracht werden. Daß
sich heute süddeutsche Länder zum Schützer der preußischen Hege-
monie post sestum aufwerfen, ist die Tragikomödie unserer Tage. Die
Gegnerschaft gegen -den ftnitarstaat beruht vielfach aus seiner Verwechs-
lung mit dem Zentralstaat und nur aus dieser Begriffsverwirrung heraus
ist das Schlagwort verständlich: Baden den Badenern! Abgesehen da-
von, daß Bade n als Land zu klein, administrativ unzweckmäßig und
stämmisch keine Einheit ist, also einer natürlichen Abrundung, Ergänzung
und Erweiterung dringend bedarf, werden unsere Bestrebungen auf die
Wahrung der landsmannschaftlichen Personalien im Einheitsstaat sich
befer wahren lasten, als im alten Partikularstaat."
Zum Schluffe wirst Herr Diez die Frage auf, ob diese Auf-
fassung auf dem Boden der Zentrumspolitik vertretbar ist. Er
bejaht die Frage, indem er betont, daß nur auf dem Boden natio-
naier Einheit unserem Volke ein Aufstieg möglich werden kann.
Diese neuerlich vertretenen Auffassungen der Herren Zehnter und
Diez bedeuten eine erfreuliche Schwenkung des Zentrums, die, wenn
sie sich durchsetzt, für den Aufbau -des deutschen Volksstaates von
unermeßlichem Wert ist.
Soziale RNNÄschsN.
Di« Ortskrankenkasse Weinheim hat in der letzten außerordeml.
Ausschußsihung entsprechend den erhöhten Leistungen für die Wöch-
ne-rinnenfürsorge beschlossen, die Beiträge von 4)^ auf 6 Prozent
des Grundlohnes zu erhöhen. Um einen Grundstock für ein Erho-
lungsheim für Rekonvaleszenten zu erlangen, soll hier sofort eine
Sammlung eingeleitet werden. Dcks Betriebspersonal mehrerer hiesigen
Industriefirmen- hat der Ortskrankenkasse bereits namhafte Beiträge zu
diesem Zwecke zur Verfügung gestellt.
nichts und ließ sich nur von seiner Leidenschaft hmreißen — Sonin
übernahm resolut und mit der -größten Bereitwilligkeit seine Rolle
als Bräutigam; alle Fragen beantwortete er pünktlich, ausführlich
und freudig. Als Frau Lenore sich überzeugt hatte, daß er wirklich
aus einem erbadligen Geschlechte stammte, — sie zeigte sich sogar
ein wenig erstaunt, daß er kein Fürst war, — da nahm sie eine
ernste Miene an und „kündigte ihm im voraus an", daß sie ganz
offenherzig und ohne alle Umstände mit ihm verfahren werde: ihre
heilige Pflicht als Mutter zwinge sie dazu! Sanin antwortete, daß
er nichts anderes von ihr erwarte und sie sogar inständig bitte, ihn
nicht zu schonen!
Darauf bemerkte Frau Lenore, daß Herr Klüber — (als sie
diesen Namen aussprach, seufzte sie leise, preßte die Lippen zusam-
men und schwieg einen Augenblick) — daß Herr Klüber, Gemmas
„ehemaliger" Bräutigam, jetzt schon- ein Einkommen von achttausend
Gulden habe und daß sich diese Summe mit jedem Jahre bedeutend
vermehre . . . und wie hoch denn Herrn Sanins Einkünfte seien?
„Achttausend Gulden . . ." wiederholte langsam Sanin, „das
macht in unferm Gelbe . . . etwas fünfzehntausend Papierrubel . .
Mein Einkommen ist weit geringer. Ich besitze ein kleines Gut im
Gouvernement Tula . . . Bei guter Verwaltung kann es — ja muß
es fünf bis sechs, ja bestimmt sechs Tausend einbringen . . . Und
wenn ich in den Staatsdienst trete, kann ich mit Leichtigkeit einen
Gehalt von zweitausend erhalten."
„In den Staatsdienst? In Rußland? rief Frau Lenore. „Dann
müßte ich mich also von Gemma trennen!"
„Ich könnte in die Diplomatie eintreten", versetzte Sanin rasch.
„Ich habe einige Verbindungen ... Dann versehe ich meine»
Dienst im Auslande. Aber ich könnte auch etwas andres tun —
und das wäre wohl das beste: — ich könnte mein Gut verkaufen
und das gewonnene Kapitel'bei einem gewinnbringenden Unterneh-
men anlegen — ich könnte es z. B. zur Vergrößerung Ihrer Kon-
ditorei verwenden."
(Fortsetzung folgt.)
WikiMW. U M BM!
Durchführung dieser Läwnsmittestransporte beschäftigen. Drittens
würde, wenn möglich, binnen einer Woche entschieden, welche von
den zurzeit der Reparationstommisfion verpfändeten österrei-
chischen Aktiven zur selbständigen Kreditbeschaffung frei-
gegeben werden sollen. Viertens erteile der Oberste Rat seine
Zustimmung zur Beendigung der Verhandlungen der österreichischen
Regierung mit einem holländischen Konsortium wegen
Verpfändung des üWrreichifchen Tsbakmvnvpvls.
Der hieraus zunächst zu erzielende Bors chu ß von 20 Mil-
lionen holländischen Gulden wäre in erster Linie zum
Ankauf der notwendigen Lebensmittel zu verwenden. Fünftens
würde die Reparationskommission das vom Staatssekretär der
Volksernährung ausgearbeitete
Programm für die Ernährung Oesterreichs in dien nächsten
zehn Monaten
unverzüglich prüfen.
Staatskanzier Dr. Renner dankte dem Ooersten Rat und
hob die Rotwendigkeit hervor, die Transporte aus Triest schnel st-
stens durchzuführen. Da die bisherigen Schritte zur Erlangung
größerer Mengen Lebensmittel aus Südsiawien fehlschlugen,
bedürfe es des ganzen Einflusses der Alliierten, um die süd-
slawische Aushilfe wirksam zu machen. Ferner betonte der Staats-
kanzler die Notwendigkeit baldigster Entscheidung über die Frei-
gabe von Aktivm, um Oesterreich im Auslande zahlungsfähig zu
machen.
-w daran anschließende Erörterung ließ erkennen, daß der
Oberste Rat gewillt sei, den Wünschen Oesterreichs
möglichst entgegenzukvmmen.
X
Die Wiener „Arbeiterzeitung" verweist auf einen
bemerkenswerten Artikel des in Delemvnt (Kanton Bern) erschei-
nenden schweizerischen Blattes „Democrate", dem man Be-
ziehungen zur französischen Botschaft in Dern nachsagt. In dem
Artikel wuo gegen den englischen Abgesandten Sir George Clerk
der Vorwurf erhoben, die Errichtung einer wirst-baftlichen Donau-
föderation und damit eine politische und militärische -riga anzu-
streben, deren Kern zweifellos Ungarn b-.^en und der sich Polen
und vieueicht auch Rumänien anschließen wüvverr. Die Stellung-
nahme Jugoslawiens sei fraglich. Der tschechisch-slowakische Staat
würde ,. energisch gegen diese neue Koalition erheben, da er das
erste Opfer dieses Donaublockes sein würde. Dann - .zt es wört-
lich weiter: „Während der ganzen Friedensverhandlungen hatte
Frankreich in Oesterreich eine beständige Polittt: nämlich die V e r -
Hinderung des Anschlusses Deutsch-Oesterreicks an
Deutschland, um das „Reich" nicht um sechs Marionen Einwohner
zu verstärken. Diese Politik wird gegenwärtig in Paris weni-
ger hoch bewertet, da ein Jahr Erfahrungen die materielle
Unfähigkeit Oesterreichs, aus eigener Kraft zu bestehen, erwiesen
hat. Das französische Ministerium für auswärtige Angelegen-
heiten ist dahin gekommen, das Schicksal der österreichischen Re-
publik aufs neue zu untersuchen. Das französische Außen-
amt war der Verwirklichung der in Wien von Herrn Alize geführ-
ten Politik günstig, nämlich der Errichtung einer Donau-Korföde-
ration; aber eine andere Tatsache scheint jetzt in den Vordergrund
z« treten."
Sozialistische Siege bei den GemeinderaLswahlen in Frankreich.
Das Ergebnis der Eemeinderatswahlen in Frankreich war
für die Sozialisten w ei t b e s s e r, als das der Kammer-
wahls, Zahlreiche große Provinzstädte haben nunmehr eine,
absolute szialistische Majorität, so z. B. Lyon,
Lille, Troyes, Perigueux und Grenoble. In den
meisten dieser Städte wird ein Sozialdemokrat zum Bürgermeister
gewählt werden, so der Abgeordnete DelvryinLille und der
Abgeordnete Mvutep in Lyon. Bemerkenswert ist die Tat-
sache, daß in zahlreichen Städten, namentlich bei der Stichwahl,
die Sozialisten mit der bürgerlichen Linken gemeinsame Listen auf-
stellten, obgleich der französische Parteivorstand diese Verbindun-
gen bei den allgemeinen Kammerwahlen vom 16. November aus
Gründen des reinen Klassenkampfes streng verboten hatte.
DsNtfche NMmmlvsesmKWLLNg»
(Schluß des gestrigen Berichts.)
Reichsfi'nanzmmister Erz berg er: Die Reichsfinanzverwaltung
wird mit aller Energie auf dein Boden der Resolution des Abg. Braun
treten. Wir haben bereits Herren in die neutralen Staaten entsandt, um
die Frage der Doppelbesteuerung und der gegenseitigen
Reich s h i l f e in Steuersachen zu behandeln. Unsere -Reichsabgaben-
ordnung muß der Ausgangspunkt einer internationalen Aktion größten
Stiles worden.
Abg. Schulz-Bromberg (D.-Ntl.): In der Kritik der Spar-
prämienanleihe hat meine Partei außerordentliche Zurückhaltung
gezeigt. Die Auslassungen Dr. Friedbergs in der preußischen Landes-
versammlung werden unseren. Argumenten gegen das Neichsnotopser
vollkommen zustimmcn.
Reichskinanzminister Lrzberger: Ich kenne die Aeußerungen
Dr. Friedbergs nur aus dem „Berliner Tageblatt". Sie bestätigen die
Richtigkeit einer Bemerkung des Abgeordneten Dr. Zehnter, daß in den
Landesoersammiungev vielfach Dinge erörtert werden, die nicht dorthin
gehören. (Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Dr. Friedberg hat
mir schon mehrfach auch im preußischen Landtag Dilettantismus vorge-
worfen. Solche Dinge lassen mich furchtbar kalt. Die Steuervorlagen
Mb 6 Monate lang erörtert worden und letzten Endes fast unverändert
verabschiedet. Der Vorwurf des Dilettantismus trifft also das ganze
Frühlingswogen.
(31. Fortsetzung.) '
Sie begnügte sich damit, geduldig ihre Mutter zu liebkosen,
welche auch sie anfangs von sich gestoßen hatte.
Endlich jedoch begann sich der Sturm nach und nach zu legen.
Frau Lenore hörte auf zu weinen, erlaubte Gemma, sie aus dem
Winkel, in den sie sich geflüchtet hatte, herauszuführen und sie in
einen Sessel neben dem Fenster zu ziehen und ihr 'bin Glas.Po-
meranzenblütenwasser zu reichen. Sie erlaubte Sanin — nicht sich^
ihr zu nähern: o nein! — sondern wenigstens im Zimmer zu blei"'
den — (bis jetzt hatte sie kategorisch verlangt, daß er sich entferne)
—und unterbrach ihn nicht mehr, wenn er sprach. Sanin beeilte sich,
Liese Symptome von Friedfertigkeit sofort zu benutzen und entwik-
kelte eine erstaunliche Beredsamkeit: selbst Gemma gegenüber hätte
er seine Absichten und Gefühle schwerlich mit solch überzeugender
Wärme darlegen können. Seine Gefühle waren die aufrichtigchen,
seine Absichten die reinsten, wie die Almavivas im Barbier von
Sevilla. Er verheimlichte weder Frau Lenore, noch sich selbst die
nachteilige Seite dieser Absichten; aber diese Nachteile, setzte er hin-
zu, seien nur scheinbar vorhanden! Allerdings sei er Ausländer, sei
erst vor kurzem mit ihnen bekannt und sie wüßten nichts Bestimm-
tes, weder von seiner Person, noch von seinen Verhältnissen, aber
er sei bereit, die erforderlichen Beweise dafür beizubringen, daß er
ein ordentlicher und nicht gerade armer Mensch sei; er wolle ihr zu
diesem Behuf die glaubwürdigsten seiner Landsleute als Zeugen vor-
führen und er hoffe, Gemma würde glücklich mit ihm werden; auch
werde er sich bemühen, ihr die Trennung von ihrer Familie möglichst
zu versüßen ...
Der Gedanke an eine Trennung — ja schon das bloße Wort
„Trennung" — hätte beinahe alles wieder verdorben, Frau Lenore
wurde ganz bestürzt und geriet in die größte Aufregung. Sanin
beeilte sich zu erklären, daß diese Trennung nur von kurzer Dauer
sein werde, ja daß sie am Ende vielleicht gar nicht eintreten würde.
Sanins Beredsamkeit blieb nicht ohne Wirkung. Frau Lenore
begann ihn anzusehen, allerdings noch mimmer mit einem traurigen
und vorwurfsvollen Blicke, aber doch nicht mehr mit dem früheren
Parlament. Die Sparprämienanleihe hat immerhin 80 Proz. des
erwarteten Ergebnisses gehabt und ihre Zeichnungshöhe ist der der ersten
Kriegsanleihe gleich, die doch unter viel größerem Druck auf das große
Kapital hinausgegeben worden war. Nach einer Richtung befriedigt
aber bas Resultat außerordentlich: Nicht weniger als Bi er fünftel
der Zeichner sind kleine Leute. Das große Kapital ist sich bisher
seiner vaterländischen Pflicht sehr wenig bewußt gewesen. Cs kämpfte
gegen das Relchsnotopser, das zwangsweise weggenommen wird, und es
kämpfte gegen die Sparprämienanleihe, die es freiwillig zeichnen sollte.
(Großer Lärm rechts, lebhafte Zustimmung linR) Die preußischen
Stimmen sind vor der Einbringung des R c i ch s n v t o p s e r s ein-
stimmig für dieses Gesetz gefallen und es ist von Pcußen kein
gegenteiliger Vorschlag gemacht worden. Erst nach der Ver-
abschiedung in der Kommission ist mir nicht von der preußischen Regie-
rung, sondern vom preußischen Finanzminifter eine Anregung einer
dritten Stell« unterbreitet worden, die dahin ging, man- möge im Gesetz
vorschreiben, daß das ganze Neichsnotopser durch Kriegsanleihe
gezahlt rverden müsse. Das ist der sogenannte preußische Vorschlag.
Ich habe ihn abgelehnt, denn wie sollen wir zu Bargeld kommen, wenn
wir dreißig Jahre lang immer nur Kriegsanleihe einnehmen. Indirekte
Steuern durchzudrücken ist kinderleicht gegenüber dem Treiben gewisser
Kreise, die einsehen, wenn man an ihren Geldbeute! rückt. (Lärmende
Zuruse rechts.) Was an Druckmitteln der verschiedensten Art nicht nur
au? Mitglieder des Hauses, sondern auch auf Regierungsstellen ausgeübt
worden ist, geht über alles Erträgliche. (Großer Lärm rechts, lebhafte
Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Aus diesen Willen des Kapi-
talismus kann ich nur eine Antwort geben: Das Reichsnotopfer nöchheute
uiit großer Mehrheit zu verabschieden. (Lebhafter Beifall bei den Mchr-
heitsparteien.)
Nach kurzen polemischen Ausführungen der Abgeordneten Most
(D. Vp.) und Waldstein (Dem.) und nachdem Reichsfinaiizmimster
Erzberger seine Rede vom 5. Dezember im Wortlaut verlesen hat,
schließt die allgemeine Aussprache.
Der Antrag Dr. Ni eß er auf Rückverweisung der Vorlage an
Len Ausschuß wird in namentlicher Abstimmung mit 223 gegen SO
Stimmen abgelehnt und in dritter Lesung gegen die Stimmen her Rech-
ten und einiger Demokraten das Gesetz über bas Reichsnotopfer ange-
nommen, ebenso die Resolution der demokratischen Fraktion.
Line Anzahl Wahlen werden für gültig erklärt. Der von dem
Abg. Trimborn und Gen. (Ztr.) eingebrachte Entwurf über Sieuer-
Nachlaß (Generalpardon) wird nach längerer Debatte gegen die beiden
sozia,-demokratischen Fraktionen in zweiter und vritter Lesung angenom-
men, ebenso wird ein Gesetzesvorschlag des volkswirtschaftlichen Aus-
schusses, der sich gegen das Animierkneipenwesen richtet, nach kurzer De-
batte einstimmig in allen drei Lesungen verabschiedet.
Der Präsident verliest unter lebhaftem Beifall ein Telegramm sämt-
licher politischen Parteien des Kreises Lyck mti dem Versprechen, treu
zum Reich zu halten, und teilt mit, daß es gelungen sei, die Ver-
psleWngsschwierigkeiten zu beheben, in die das Haus infolge des morgen
-einsetzenden Gastwirtestreiks zu kommen drohte. Für die Abgeordneten
seien 300 Mittsgsgedecke in der Reichstagsrestaurativn gesichert. (Heiter-
keit mrd Beifall.)
Donnerstag 10 Uhr: Deutschnalionale Interpellation wegen
Wirtschafts- und Steuerpolitik, Gesetz gegen das Glücksspiel, dritte B e -
ratung des U m s a tz st e u e r g e s e tz e s und des Elektrizitäts-
gesetze s.
Schluß Uhr.
Berlin, 18. Dez.
Präsident F ehrend ach eröffnet die Sitzung um 10.20 Uhr.
Auf der Tagesordnung stehen Interpellationen Arnstadt über die
Steuerpolitik, sowie das unablässig« und ungeheure Steigen aller
Preise und die E i n- und Ausfuhr.
Reichsfinanzminister Erzberger erklärte, daß die Regierung be-
reit sei, die Interpellation morgen zu beantworten.
Abg. Lobe lSoz.) wünscht ebenfalls eine Entscheidung darüber, ob
morgen oder übermorgen verhandelt werden soll. Es ist ein« Illoya-
lität dm Rechten, diese Interpellationen jetzt einzubringen, welche die
schwersten Angriffe gegen die Regierung enthalten. Es ist ein Ueber-
fall! Sie haben mit den Interpellationen im Hinterhalt gelegen!
(Widerspruch und Lärm rechts, Beifall bei der Mehrheit.)
Der Gesetzentwurf über das Glücksspiel wird in allen drei
Lesungen ohne Aussprache angenommen.
Der Notenwechsel zwischen Deutschland und den alliierten mrd asso-
ziierten Mächten und das am 22. Septemsbr in Versailles unterzeichnete
Protokoll über Artikel 61 der Verfassung werden in allen drei Lesun-
gen erledigt.
Das Gesetz betreffend die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschast
wird in dritter Lesung angenommen, vorher ein Nachtrag zum
Etat für 1919, ebenso in allen Lesungen und endlich in dritter Lesung
das ftmsatzfteuergesetz.
Präsident Fehrenbach:
Alle Parteien des Hauses sind darin einig, daß wir nicht in
die Ferien gehen wollen, ohne eine Kundgebung für unsere
Gefangenen erlassen zu haben. (Alle Abgeordneten erheben
sich von ihren. Sitzen.) Die Nationalversammlung nimmt mit tie-
fem Schmerz Kenntnis davon, daß fast eine halbe Million deutscher
Bürger noch ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft harrt. Der
größte Teil wird in Frankreich zurückgehalten. Ader auch Eng-
land hat noch nicht alle herausgegeben. Deutschland hat alle seine
Gefangenen zurückgefchickt, die zurückgehaltenen Russen deshalb
nicht, weil es unmöglich war. Die Nationalversammlung fühlt
und leidet mit den unglücklichen Gefangenen sowie mit ihren Eitern,
Frauen und Kindern, dis jetzt zu Weihnachten in besonders tiefer
Sehnsucht der fernen Lieben gedenken werde«. Sie wendet sich an
die Neutralen mit heißem Dank für ihre bisherige Tätigkeit, sie
wendet sich an alle Frauen und Männer in den bisher feindlichen
Ländern, die sich ein menschlich fühlendes Herz bewahrt haben, daß
sie heute ihre Stimme erheben zu dem Ruf: Schafft den Frauen
ihre Männer, den Kindern ihre Väter, den gebeugten Estprn ihre
Söhne wieder! (Bravo!) Das Wort zu dieser Kundgebung wird
nicht gewünscht. Sie haben sich zu Ehren unserer Gefangenen von
Ihren Sitzen erhoben. Ich danke Ihnen und stelle die einmütige
Annahme dieser Entschließung durch die Nationalversammlung fest.
Nächste Sitzung morgen 10 Uhr. Schluß gegen 12 Uhr.
Zorn und Unwillen; dann erlaubte sie ihm, heran zu kommen und
sich neben sie zu setzen (Gemma saß an der andern Seite); alsdann
fing sie an, ihm Vorwürfe zu machen, nicht bloß mit Blicken, son-
dern auch mit Worten, ein Beweis, daß ihr Herz sich schon bedeu-
tend erweicht hatte; sie begann zu klagen, aber ihre Klagen wurden
immer milder und wemüti-ger; und nach und nach gingen sie in
Fragen über, die sie bald an ihre Tochter, bald an Sanin richtete; so-
dann gestattete sie ihm, ihre Hand zu nehmen und zog sie nicht sofort
wieder zurück . . . darauf fing sie wieder an zu weinen, aber es
waren jetzt ganz andere Tränen . . . dann lächelte sie wehmütig und
bedauerte nochmals die Abwesenheit des seligen Giovann Battista,
aber in einem ganz andern Sinne als vorhin . . . Noch einen
Augenblick und die beiden Sünder, Sanin und Gemma, lagen be-
reits vor ihr auf den Knien und legte nacheinander ihre Hände
auf ihre Häupter; wieder einen Augenblick und sie umarmten und
küßten sie, und Emil stürzte mit vor Entzücken strahlendem Gesicht
ins Zimmer und schloß sich der eng verschlungenen Gruppe an.
Pantaleone warf durch die halbgeöffnete Tür einen Blick ins
Zimmer, lächelte und runzelte die Stirn zu gleicher Zeit, durchschritt
das Zimmer und schloß die Ladentür wieder auf.
30.
Der Uebergang von der Verzweiflung zur Traurigkeit und
von dieser wieder zur „stillen Resignation" hatte sich bei Frau Le-
nore ziemlich rasch vollzogen; ja auch diese stille Resignation ver-
wandelte sich bald in heimliche Freude, welche sie jedoch, um den
Anstand zu wahren, in jeder Weise zu verbergen suchte. Sanin
hatte gleich am ersten Tage, da sie ihn kennen gelernt, einen günsti-
gen Eindruck auf Frau Lenore gemacht. Einmal mit dem Gedanken
vertraut, daß er ihr Schwiegersohn werden solle, fand sie an dieser
Vorstellung nichts des. Unangenhmes mehr, obgleich sie es für ihre
Pflicht hielt, den beleidigtersiod. vielmehr bekümmerten Eesichtsaus-
druck beizubehalten. Zudme war alles, was in den letzten Tagen ge-
schehen, so außerordentlich gewesen! ... Es war alles Schlag auf
Schlag gekommen! Als praktische Frau und Mutter hielt Frau
Lenore es ferner für ihre Pflicht, Sanin einem eingehenden Ver-
hör zu unterwerfen, und Sanin, der, als er sich am Morgen zu dem
Stelldichein mit Gemma begeben, noch nicht im mindesten daran
gedacht hatte, sie zu heiraten — in her Tat dachte er damals an gar
Der Arbeitsplan der RationalversiuMsiung.
Berlin, 17. Dez. Der Aeitestenrar der Nativiralversamm-
lung hielt am Dienstag abend eine längere Sitzung über dis Ge-
schäft s l a g e ab und einigte sich schließlich -dahin, am 13. 8ammr
1920 wieder zusammenzutreten, um den Gesetzentwurf über die
Betriebsräke m 2. und 3. Lesung zu beraten. Man hofft, bas
Betriebsrätegesetz in drei bis vier Tagen verabschieden zu können.
Es ist ferner in Ansicht genommen, im Anschluß an das BstrieLs-
rätegefetz die erste Lesung kleinerer Steuerg e s e tz s (Be-
steuerung der Toten Hand) vorzunehmen. Hierauf wird auch mit
Rücksicht auf den Parteitag des Zentrums eine Pause
eintreten, die sich bis in die zweite oder dritte Februarwoche er-
strecken soll. Jedenfalls so lange, bis der Haushaltsplan vor»
1920—21 vorgelegt ist. Beim Zusammentritt des Plenums im
Februar wird wahrscheinlich auch die Vorlage über das Reichs-
tags wahlrecht und über -die Wahl des Reichspräsi-
denten vvrliegen. Die Ausschüße, namentlich die Steueraus-
schüsse, werden ihre Arbeiten im Anschluß an die IanuartagrmK
wieder aufnehmen.
Badische Politik.
Zum Kapitel Schulordnung
wird unserem Freiburger Parteiblatt geschrieben: „Zu den ressM-
bedürftigsten Verordnungen gehört die allgemeine Schulordnung
für Gewerbe- und Handelsschulen vom 8. August
1907. Dieselbe besagt: „Am Schluffe des Schuljahres findet eine
öffentliche Prüfung (Unterrichtsprobe) statt, um Inter-
essenten einen Einblick in dis Leistungen der Schule und öis Art
der Unterrichtseoteilung zu ermöglichen usw." Eine öffentliche
Komödie, welche bis iirs kleinste erprobt ist, soll den Interessenten
einen Einblick in die Leistungen der Schule und die Art der Uktter»
richtserteilung ermöglichen. In einer halben Stunde ist ein Ein-
blick in die Leistungen der Schule ein Ding der Unmöglichkeit, urüd
eine Schaustellung gibt kein Bild von der Art der Unterrichts-
erteilung. Sehen wir uns einmal die Interessenten an: Dis Hand-
werker fehlen meist gänzlich, alle Pensionäre gähnen auf den Stüh-
len oder nicken mit sachverständiger Miene, wenn der wochenlang
Eingsdrillte feste läuft und eine Frage beantwortet wird, bevor sie
nur recht gestellt ist. Die Drillzeit würde viel bester anders und
zwar zum Unterrichten verwendet werden. Deshalb weg mit den
öffentlichen Prüfungen."
Eine weitere Zenirumssümme für em unttarifches Reich.
8--. Nachdem sich Herr Dr. Zehnter vom Zentrum für den
unitarischen Staat ausgesprochen hat, meldet sich jcht der
Zentrmnsabgeordnete Diez von Radolfzell im „Badischen Beob-
achter" zum Wort, um im gleichen Sinne Propaganda zu machen.
Wir begrüßen diese Entwicklung des Zentrums, indem wir die
Ausführungen des Herrn Diez wiedergeben, der nach polemischen
Spitzen gegen die Novemberrevolution schreibt:
„Statt eine starke Zentralgewalt zu schaffen, splitterte sie ü-s spär-
lich genug vorhandenen Kräften. Waren früher die Monarchien und
deren Hauspolitik die Hemmungsversuche für eine gesunde Entwicklung
deutschen Nationalempfindens, so sind es heute 25 „Staäts"-Rechemngen,
25 Parlamente. Der Begriff „Staat" setzt souveräne Rechte voraus.
Die „Länder" der neuen Reichsverfaffung besitzen solche nicht mehr. Das
Heer, die Post, Eisenbahn und Wasserstraßen, die Finanzhoheit sind auf
das Reich übergegangen, die -wirtschaftliche und politische Hegemome
Preußens — die Grundlage der Reichsverfaffung von 1871 und bas
Bollwerk deutschen Partikularismus — ist damit' zerstört. Das Reich
ist das Erbe der preußischen Hegemonie geworden. Der deutsch« Par-
tikularstaat ist am Kriege gestorben, die Revolution hätte ihn nur be-
graben dürfen. Das Argument von der drohenden Berpreußung ist
widerlegt. Preußen als deutscher Vormachtsstaat ist durch die Reichs-
vcrfassung erledigt. Man warte die in der Verfassung feMslegte
Sperrfrist von 2 Jahren für die Bildung neuer Länder ab; der Beweis,
für die sogenannt« Geschlossenheit des preußischen Staatswesens wird
im Westen und Osten, in Hannover und den hessischen Provinzen der
früheren preußischen Monarchie durch die Bildung neuer in ihrer Ber-
waitimg selbständiger.Staaten in negativem Sinn erbracht werden. Daß
sich heute süddeutsche Länder zum Schützer der preußischen Hege-
monie post sestum aufwerfen, ist die Tragikomödie unserer Tage. Die
Gegnerschaft gegen -den ftnitarstaat beruht vielfach aus seiner Verwechs-
lung mit dem Zentralstaat und nur aus dieser Begriffsverwirrung heraus
ist das Schlagwort verständlich: Baden den Badenern! Abgesehen da-
von, daß Bade n als Land zu klein, administrativ unzweckmäßig und
stämmisch keine Einheit ist, also einer natürlichen Abrundung, Ergänzung
und Erweiterung dringend bedarf, werden unsere Bestrebungen auf die
Wahrung der landsmannschaftlichen Personalien im Einheitsstaat sich
befer wahren lasten, als im alten Partikularstaat."
Zum Schluffe wirst Herr Diez die Frage auf, ob diese Auf-
fassung auf dem Boden der Zentrumspolitik vertretbar ist. Er
bejaht die Frage, indem er betont, daß nur auf dem Boden natio-
naier Einheit unserem Volke ein Aufstieg möglich werden kann.
Diese neuerlich vertretenen Auffassungen der Herren Zehnter und
Diez bedeuten eine erfreuliche Schwenkung des Zentrums, die, wenn
sie sich durchsetzt, für den Aufbau -des deutschen Volksstaates von
unermeßlichem Wert ist.
Soziale RNNÄschsN.
Di« Ortskrankenkasse Weinheim hat in der letzten außerordeml.
Ausschußsihung entsprechend den erhöhten Leistungen für die Wöch-
ne-rinnenfürsorge beschlossen, die Beiträge von 4)^ auf 6 Prozent
des Grundlohnes zu erhöhen. Um einen Grundstock für ein Erho-
lungsheim für Rekonvaleszenten zu erlangen, soll hier sofort eine
Sammlung eingeleitet werden. Dcks Betriebspersonal mehrerer hiesigen
Industriefirmen- hat der Ortskrankenkasse bereits namhafte Beiträge zu
diesem Zwecke zur Verfügung gestellt.
nichts und ließ sich nur von seiner Leidenschaft hmreißen — Sonin
übernahm resolut und mit der -größten Bereitwilligkeit seine Rolle
als Bräutigam; alle Fragen beantwortete er pünktlich, ausführlich
und freudig. Als Frau Lenore sich überzeugt hatte, daß er wirklich
aus einem erbadligen Geschlechte stammte, — sie zeigte sich sogar
ein wenig erstaunt, daß er kein Fürst war, — da nahm sie eine
ernste Miene an und „kündigte ihm im voraus an", daß sie ganz
offenherzig und ohne alle Umstände mit ihm verfahren werde: ihre
heilige Pflicht als Mutter zwinge sie dazu! Sanin antwortete, daß
er nichts anderes von ihr erwarte und sie sogar inständig bitte, ihn
nicht zu schonen!
Darauf bemerkte Frau Lenore, daß Herr Klüber — (als sie
diesen Namen aussprach, seufzte sie leise, preßte die Lippen zusam-
men und schwieg einen Augenblick) — daß Herr Klüber, Gemmas
„ehemaliger" Bräutigam, jetzt schon- ein Einkommen von achttausend
Gulden habe und daß sich diese Summe mit jedem Jahre bedeutend
vermehre . . . und wie hoch denn Herrn Sanins Einkünfte seien?
„Achttausend Gulden . . ." wiederholte langsam Sanin, „das
macht in unferm Gelbe . . . etwas fünfzehntausend Papierrubel . .
Mein Einkommen ist weit geringer. Ich besitze ein kleines Gut im
Gouvernement Tula . . . Bei guter Verwaltung kann es — ja muß
es fünf bis sechs, ja bestimmt sechs Tausend einbringen . . . Und
wenn ich in den Staatsdienst trete, kann ich mit Leichtigkeit einen
Gehalt von zweitausend erhalten."
„In den Staatsdienst? In Rußland? rief Frau Lenore. „Dann
müßte ich mich also von Gemma trennen!"
„Ich könnte in die Diplomatie eintreten", versetzte Sanin rasch.
„Ich habe einige Verbindungen ... Dann versehe ich meine»
Dienst im Auslande. Aber ich könnte auch etwas andres tun —
und das wäre wohl das beste: — ich könnte mein Gut verkaufen
und das gewonnene Kapitel'bei einem gewinnbringenden Unterneh-
men anlegen — ich könnte es z. B. zur Vergrößerung Ihrer Kon-
ditorei verwenden."
(Fortsetzung folgt.)
WikiMW. U M BM!