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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 69 - No. 71 (13. September 1866 - 27. September 1866)
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wir uns jetzt dem allgemeinen Wohl hingeben, desto gesicher-
ter und erfolgreicher werden wir uns hinterdrein auch wieder
unseren persönlichen Lebensaufgaben widmen können. Der
militärische Theil des Volkes hat in allen Lagern seine Schul-
digkeit gethan; möge der Politische Theil des Volkes, dessen
Krtegszüge jetzt begonnen haben, nicht träger und feiger er-
funden werden, wenigstens in dem Lager, das die Fahne des
nationalen Fortschritts trägt.

Die heutige Lage und die Parteistellungen.
I. Die AuSl,nd«parteien.
N Die traumhafte Schnelligkeit, womit die Revolution von
1866 sich abspieltc, hatte zuerst' eine Art Betäubung erzeugt;
erst allmälig fängt man an, sich klar zu machen, was das
Erlebte Alles zu bedeuten hat. Es gilt, sich auf dem neu
geschaffenen Boden zurechtzufinden, zu Prüfen, was von dem
Hausrath der vorsündfluthlichen Vorstellungen, Wünsche, Be-
strebungen für immer hinweggeschwemmt, was davon stehen
geblieben und für Neudeutschland noch brauchbar ist. Diese
Arbeit der Sichtung, Jnventarisirung, kurz der Totalrevision
des gejammten Besitzstandes liegt vor Allem den bisherigen
Parteien in der deutschen Frage ob.
Als völlig bankerott müßte sich die großdcutsche
Partei aller Schattirungen erklären, von der blutrothen bis
zur schwarzgelben und schwarzen, jammt allen ihrer partikula-
ristischen Anhängseln, für welche die Parole „Großdeutschland"
lediglich die Bewahrung ihrer kleinstaatlichcn Sonderexistenz
bedeutete. Zndeß niemand gibt sich leicht selbst auf, so
lange noch ein Strohhalm von Hoffnung bleibt; so leise und
gedrückt auch die großdeutschen Interessenten zur Zeit einher-
wandeln, so sehr sich ihr Betriebskapital und ihre Kundschaft
vermindert hat, zu liquidiren sind sie offenbar noch nicht ge-
sonnen. Da entsteht aber die Frage: worauf können sie heute
noch rechnen, falls sie überhaupt rechnen und hoffen, und nicht
etwa bloß fortvegetiren, weil der „Wille zum Leben" noch zu
stark bei ihnen ist, um freiwillig abzudankcn! Die Antwort
lautet: ihre Rechnung kann sich nur allein noch auf das
Ausland stützen. Ein hartes Wort aber leicht zu begründen.
Der Krieg der siebenzig Tage hat gezeigt, daß die staat-
liche Kraft Preußens den Kräften seiner deutschen Gegner un-
bedingt überlegen war, die staatliche Kraft, sagen wir,
nicht bloß die militärische; denn die Erfolge der Armeen sind,
wie jeder Unbefangene sehen kann, keineswegs bloß durch das
Zündnadelgewehr und rein technische Vorzüge, sondern auch
mittelst einer Summe geistiger und sittlicher Kräfte errungen,
wie sie in solcher Stärke und solchem Zusammenwirken eben
nur in einem wirklich gesunden, jugendfrischcn und zukunfts-
reichen Staatswesen sich erzeugen können. Und daß sie sich
bis zu dieser Höhe zu entwickeln vermochten, trotz der bekann-
ten inneren Hemmnisse und Zerwürfnisse, das stellt diesem
Staat nnd dem Volke dieses Staates nur ein um so glänzen-
deres Zeugniß aus. Der Krieg also hat dahin geführt, daß
Preußen ohne ernsthaften Widerstand ganz Deutschland er-
obern und die zukünftige Gestaltung der deutschen Verhältnisse
nach seinem Ermessen diktiren konnte, sobald es die Ein-
sprache des Auslandes unberücksichtigt ließ. Diejenigen deut-
schen Staaten, welche ihre Integrität behalten haben oder der
Führung Preußens nicht unterstellt sind, verdanken dies nicht
sich selber und ihrer eigenen Kraft, sondern dem eigennützigen
Wohlwollen des Auslands, oder wenigstens dem Interesse, welches
Preußen daran hatte, sich nicht sofort mit dem Ausland in
Krieg zu stürzen; sie eristiren also als das, was sie sind, von
Auslands Gnaden.
Diese Ueberlegcnheit hat sich Preußen erworben mit den
Mitteln und Kräften, die ihm vor dem Kriege zu Gebot
standen. Jetzt wo Oesterreich rechtlich und thatsächlich aus
Deutschland ausgeschieden und Preußen so bedeutend gewachsen
ist, unmittelbar durch die Einverleibungen, mittelbar durch
die Angliederung des übrigen Norddeutschland, jetzt ist sie
noch ungleich erdrückender geworden; cs gibt jetzt keine Kraft
in Deutschland mehr, von welcher man irgend glauben könnte,

baß sie der seinigen das Gegengewicht hielte. Daran also, daß
die Herstellung eines preußisch-deutschen Gesammtstaats, gleich-
viel ob in bundes- oder in einheitsstaatlicher Form, jetzt noch
durch einen innerdeutschen Widerstand gehindert werden
könnte, ist auch nicht im Traume mehr zu denken. Um so
weniger, als Preußen doch nicht bloß auf dem Schlachtfeld,
sondern auch in den Köpfen und Herzen der Menschen seine
Siege erfochten hat. Willig oder ungern, mit Furcht, Haß
oder Liebe, man glaubt jetzt überall, auch in Süddeutsch-
land, selbst in den Spalten der A. A. Z., an Preußens Beruf
zur Führung, so gut wie gar nicht mehr dagegen an die eigene
Kraft, Deutschland anders als unter dieser Führung zu eini-
gen, oder auch nur einen lebensfähigen Sondcrbund von Klein-
deutschland in die Welt zu setzen. Man weiß allenthalben,
daß, wenn Deutschland sich selbst und der naturgemäßen Ent-
wicklung aus dem Gegebenen überlassen bleibt, die jetzt noch
vom Hauptkörper getrennten Glieder mit derselben Nothwcn-
digkeit sich ihm anfügen werden, mit der sich die Flüsse in das
Meer vergießen.
Wenn vor dem Kriege die Radikalen im Süden sich ein-
bildeten, von der südwestlichen Ecke aus Preußen zerschlagen
und eine deutsche Föderativrepublik aufbauen zu können, so
war das freilich schon damals eine mehr als kindliche Täu-
schung, aber entschuldbar wenigstens insofern, als eine ernst-
hafte Probe auf das Werthverhältniß der verschiedenen, seit
1815 in Deutschland nebeneinander gelagerten Kräfte bisher
nicht stattgefunden hatte. Jetzt aber, nachdem diese Probe
so über alle Maßen günstig für Preußen ausgefallen, kann
nur die reine Tollheit jene Hirugespinnste noch länger nähren,
ohne eine, mehr oder minder bewußte, Spekulation auf einen
Umschwung, welcher nur allein durch die Einmischung des
Auslands, zunächst Frankreichs, zu bewirken sein würde. Ar-
beiten diese Parteien also fort, ist es ihnen dabei um mehr
zu thun, als um den Erweis ihrer durch nichts zu erschüttern -
den Consequenz (wogegen weiter nichts einzuwenden), erwarten
sic einen thatsächlichen Erfolg für irgend eine berechenbare
Zukunft, kurz, machen sie noch Anspruch auf die Geltung einer
politischen Partei, keiner bloßen Sekte, so charaktcrisiren sie eben
damit diese ihre Partei als Partei des Auslands, die aus
der Liste der vaterländisch gesinnten Parteien zu streichen ist.
Wer dieses Urtheil etwa zu hart findet, den fragen wir noch-
mals, ob seiner Ansicht nach heute, bei einem halbwegs zurech-
nungsfähigen Politiker, noch eine Täuschung darüber möglich
ist, daß, ohne Dazwischentrctcn auswärtiger Mächte, Deutsch-
land unaufhaltsam auf dem jetzt eingcschlagcuen Wege zum
Ziele kommen wird? Denn nicht schon dadurch charaktcrisirt
sich bei uns eine Partei als antinational, daß das, was sie
will und wünscht, zufällig oder nicht zufällig auch von einer
auswärtigen Macht gewollt wird, sondern erst dann verfällt
sie jenem Urtheil wenn sie sich selbst sagen muß, daß ihre
Sache, ohne das Ausland, verloren ist und sic gleichwohl diese
Sache nicht ausgiebt. Mag sein, daß Mele ihrerj. Anhänger
davon kein klares Bewußtsein haben und daß im entscheiden-
den Augenblicke, wenn es — was der Himmel verhüte —
wirklich zur fremden Einmischung kommen sollte, die Aller-
meisten erschreckt sich abwenden würden - sachlich wird dadurch nichts
geändert. Auch läßt sich leider nicht leugnen: vom Janhagel
der Partei wenigstens, von den Leuten, aus denen hier im
Südwcsten die Mannschaft zu den Circusversammlungen und
dergl. rekrutirt wurde, hat man während der letzten Wochen
das infame Wort: „Lieber französisch als preußisch!" mehr
als einmal hören können.
In noch höherem Grade,giltdas Gesagte von Denjenigen unter
den entthronten oder in ihrer Souverainetät beschnittenen deutschen
Fürsten nebst ihrem hoch und niedrig bedienstetem Anhang, welche
das Ausland für die Stellung ihrer Throne und Thrönchen bereits
angerufeu haben und fortfahren, ihre ganze Hoffnung auf
sein Einschreiten zu setzen. Bei dieser Partei ist es gar
nicht nöthig, den antinationalen Charakter ihres Treibens erst
aus der Logik ihrer gegenwärtigen Lage abzuleiten; er liegt
offen vor den Augen aller Welt. Diese Leute selbst würden
höchlich erstaunen, wenn man etwas Anderes von ihnen er-
 
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