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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 69 - No. 71 (13. September 1866 - 27. September 1866)
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551

warten wollte und kein verständiger Mensch wird etwas An-
deres von ihnen erwarten. Deutschlands Einheit, Macht und
Ehre sind für sie entweder Worte ohne Sinn, oder, wenn sie
ihren Sinn verstehen, feindliche und abscheuliche Worte; auf
die rothen Hosen zu rechnen, in Paris, Petersburg und wo
sonst noch um Hilfe zu betteln, das erscheint ihnen einfach
als Pflicht gegen ihre Familie, und eine höhere kennen sie
nicht. Wenn der König Johann von Sachsen, der Enkel der
glorreichen Albertiner, welche zuerst die Reformation verrie-
then und dann ihren Glauben abschworen, Alles um der grö-
ßeren Ehre ihres Hauses willen, wenn er die Erhaltung sei-
ner Krone in erster Linie Frankreichs Fürsprache verdankt,
nnd wenn auch sein hartnäckiges Sträuben, sich Preußens F orde-
rungcn zu unterwerfen, sich vorzugsweise auf diese Fürsprache
stützt — so hieße cs in die leere Luft reden, wollte man ihm
oder seinen Getreuen begreiflich machen, daß Alles, was er
auf diesem Wege erreicht hat oder noch erreich!, in den Augen
der vaterländisch Gesinnten vorneweg als ein durch unerlaubte
Mittel erworbenes Bcsitzthum gelten muß und vorkommenden-
falls danach zu behandeln ist. Es ist freilich schlimm genug
und der bedenklichste Mangel der preußischen Politik, welche
die Mittel der innerlichen, moralischen Vorbereitung des jetzt
Geschehenen verschmähte, oder nicht zur Verfügung hatte, daß
die Gönnerschaft und Einsprache des Auslandes nicht durch
den einmüthigen Gegenwillen der beteiligten Bevölkerung
sofort unwirksam gemacht wurde, vielmehr hier und da sich
auf die Volksstimmung selber berufen kann; aber das Urtheil
über die Verwerflichkeit jener Dynastenpolitik wird dadurch
nicht gemildert. Sie würden cs ja ganz ebenso machen, wenn
auch ihr gesummtes Volk in allen Stücken gegen sie wäre.
Giebt es in Südwestdeutschland Leute, welche dem
süddeutschen Bunde und seiner Unabhängigkeit von Preußen
ernstlich das Wort reden, so müssen sie wissen, daß sie damit
ein ausländisches, dem deutschnationalcn entgegengesetztes In-
teresse vertreten. Sie kennzeichnen sich also als Auslands-
partei in doppelter Hinsicht: erstens, sofern sie überhaupt,
wohl oder übel, genöthigt sind, auf das Ausland zu bauen,
und zweitens, sofern ihre Rechnung auf den Widerstreit der
ausländischen und der deutschen Interessen gegründet ist. Da-
mit sind sie denn zur Genüge vcrnrtheilt.
Hiernach scheint uns also, daß es von nun an keine Par-
tei mit dem Anspruch, eine nationale zu heißen, in der deut-
schen Frage mehr geben kann, welche grundsätzlich der preu-
ßischen Führung widerstrebt. Für diese hat die deutsche Ge-
schichte entschieden. Nicht mehr um das Ob, sondern nur
noch um das Wann und Wie, kurzum Fragen zweiter Ord-
nung, kann es sich jetzt handeln. Und damit treten wir an
die verschiedenen Fragen und Aufgaben heran, welche durch
die neue Ordnung der Dinge unserer eigenen, der National-
partei, gestellt sind.
ck Aus Würtcmbcrg. Wtc in den Dreißiger und Vierziger Jah-
ren Frankreich der Prügelknabe der liberalen deutschen Presse war, so wird
Preußen heutiges Tages in der nämlichen Eigenschaft von den Stuttgarter
Radikalen, Volksvercinsmännern, Föderativrepubltkanern verwendet. Dar
Jultkönigthum herunterzureißcn, das „Juste-milieu" zu beohrfetgen, die
Politik des „Friedens um jeden Preis" zu verhöhnen, das war in jener
Periode bei uns die Art, Opposition zu machen, das Publikum politisch zu
bilden, die öffentliche Meinung auf liberalen Ton und den Volkswillen zu
mannhaften Entschlüssen zu stimmen. Nachdem Deutschland insgesammt
diesen Armseligkeiten und Verkehrtheiten glücklicher Weise entwachsen, ist ein
lokaler Rückfall in dieselben doppelt peinlich zu sehen. Die „demokratischen"
Blätter in Württemberg behandeln, wie gesagt, Preußen, wie Frankreich
seiner Zeit von der deutschen Presse überhaupt behandelt wurde, und sie
glauben offenbar, damit tapfere publicisttsche Thatcn zu thun, der Freiheit
eine Gasse zu bahnen, ihr Publikum auf die Höhe der Zeit zu heben.
Herabwürdigung Preußens, seiner Regierung und seiner Verfassungszustände
nicht blos, sondern auch seiner Volksvertretung und seines VolkSgetstcs,
Spott, Haß und Hohn gegen Alles was preußisch heißt, ist für den Stutt-
garter „Beobachter" zum Beispiel das eigentliche LebcnSclement. Dagegen
hält sich der „Beobachter" natürlich für den besten deutschen Patrioten,
nur daß ihm freilich für deutsch nur gilt, was eben nicht preußisch ist.
Dieser „Beobachter" nun ist im Schwabenland die Seele des „Volks-
vereins", durch welchen bekanntlich der deutschen Sache nach der Nieder-
lage, die fie in der Meinung unserer „VolkSmänncr" bet Sodowa er-
litten, wieder aufgeholfcn werden soll. Auf welche Weise und zu welchem
Endzweck — das ist freilich, trotz der vielen darüber bereits gewechselten

Worte, noch ein tiefes Gchcimniß, nicht allein für das profane Publikum,
sondern, allem Anschein nach, für den Volksvcretn und seine Anstifter
selbst. Die einschlägigen Beschlüsse seiner Versammlungen sind unergründ-
liche Orakelsprüche. Ein unlängst in Hall, von einer Volksversammlung
von angeblich 1200 Köpfen genehmigter Antrag der Stuttgarter Direktion
des VolksvcrctnS lautet zum Beispiel: »Wir halten es für die Aufgabe
des deutschen Volkes diesseits und jenseits des Mains, auf die Beseitigung
dieser Scheidelinie htnzuwirkcn; aber nicht durch die Agitation für den
Eintritt in den norddeutschen Bund, sondern durch die Agitation für die
Herstellung eines R ei ch s m it c on stitutioncller Central-
gewalt und einem wirklichen, nicht einem Scheinparla-
mcnt." Was sich die Herren Oesterlen, Struve, Mai u. s. w., welche
in Hall als Redner auftraten, wohl bei diesem Wortgcklingel gedacht haben
mögen! Vielleicht eben so wenig wie die Menge ihrer andächtigen Zu-
hörer. Kommt es doch in der That eig entlich nur darauf an, das schwäbische
Volk vollends gegen Preußen aufzuhetzen und in der Einbildung des politischen
Befferscins und besonders das Befferdrranseins zu bestärken.
Die würtembergische Kammer, von welcher ein Erschwabe in einer
sehr drastisch geschriebenen und vielgelesenen Flugschrift sagt, daß fie in
ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung die unfähigste Gesellschaft sei, welche
jemals mit dem Namen einer konstitutionellen Versammlung in Deutsch-
land getagt hat, wird demnächst Gelegenheit haben, dieses Urtheil zu wi-
derlegen, oder auch zu bestätigen Wenn man sich erinnert, daß die wür-
tembergischen Landtagsmitglieder im Beginne des Krieges drei lange Be-
rathungen hielten ohne zu irgend einem Beschlüsse zu kommen, so wird
man der bevorstehenden Landtagssitzung jeden Falls mit den bescheidensten
Erwartungen von der Geistesgegenwart und Willenskraft der Kammer
entgegenschen. Wie vor dem Kriege, so wird man vcrmuthlich auch nach
dem Frieden das Schicksal des Landes lediglich den Händen des Herrn v.Varn-
büler anhcimgcben. Trifft doch die „äußerste Linke" schon heute öffentlich An-
stalt dazu, mit der „Rechten" d. h. der durch Ritterschaft und Prälaten
gebildeten Ministerialparthei, gemeinschaftliche Sache zu machen zum
Schutze der würtembergischen „Freiheit" gegen die preußischen Anschläge
der „Gothaer"! Das ist indessen nur Vorspiel. Mit der Zeit und bet
Gelegenheit «erden wir noch ganz andere Bundesgenossenschaften dieser
FrciheitSmänner und Patrioten erleben.

Politische Literatur.
Die wahren Ursachen des deutschen Krieges. Was werden wir thun?*)
In den letzten Wochen vor Beendigung des Krieges brachte die in Stutt-
gart erscheinende „Schwäbische Volkszeitung" unter dem vorstehenden Titel eine
Reihe von Artikeln, die durch ihr staatswiffenschaftliches Gepräge, durch die
Kühnheit ihre« Tones und durch die Beredtsamkcit ihrer Sprache
Aufsehen erregten. Heute haben wir diese Aufsätze in Gestalt einer
Flugschrift, welche bereits in dritter Auflage erschienen ist, vor uns liegen,
als deren Verfasser sich nachträglich ein Mann nennt, dessen Namen
mit der deutschen Wissenschaft und der deutsche» Politik seit langen Jah-
ren eng verflochten ist, wie er denn auch dem Nationalverein von Anbe-
ginn angehört hat, Herr A. L. Neyscher. Die gegenwärtige kleine Schrift
giebt in gedrängter Darstellung eine Uebersicht der Ursachen, welche den
Bestand des deutschen Bundes, der eine gemeinschaftliche Politik der beiden
deutschen Großmächte vorausgesetzt hätte, unmöglich machte, schildert in
wenigen scharfen Strichen die unmittelbaren Anlässe zum endliche« Bruch
zwischen Oesterreich und Preußen, wirft einige grelle Streiflichter auf die
Bundcskricgführung und zieht schließlich die aus dem preußischen Siege
hervorgchendcn nattvnalpolitischen Folgerungen. „Wir haben nie-
mals verschwiegen, sagtHerr Neyscher, was uns an den Bismarck'schen Mit-
teln und Wegen bedenklich, zum Theil verwerflich erschien. Eine vcrfas-
sungsfeindltche Politik im Innern bot eben keine Versuchung dar, sich der
auswärtigen Leitung Preußens anzuvcrtraucn. Wir sind auch keine An-
beter des Erfolgs; wir halten die Selbstbestimmung der Herzvgthümer
wie der andern deutschen Staaten, innerhalb der Schranken, welche durch
die Verfassung und das Bedürfntß der Nation gesetzt sind, noch jetzt für
ein unbestreitbares Recht, obgleich für den Augenblick dieselbe durch den
Krieg nahezu aufgehoben ist. Wir ehren, nach wie vor, das konsequente
Festhalten des drei mal aufgelösten preußischen Abgeordnetenhauses und
des preußischen Volkes an seiner Verfassung, obgleich die konservative oder
junkerlich-pfäffische Partei eine Anzahl weiterer Stimmen bei der Neuwahl
gewonnen hat. Aber wir halten, nicht wie die sog. Volkspartei, an ge-
wissen ausgesprochenen demokratischen Lehrsätzen, oder an persönlichen Sym-
pathien oder Antipathien fest — auf die Gefahr hin, die hohen nationa-
len Ziele, wofür wir seit Jahrzehnten gekämpft, zu verlieren. Wenn Preu-
ßen an der Stelle des bisherigen Bundes einen Bundesstaat mit 36 Mil-
lionen Einwohnern fertig bringt und keinen Unterschied zwischen Norden
und Süden, keine Mainlinie zuläßl, so werden wir dem wunderbar ra-
schen Gange der Dinge uns nicht deßhalb entgegenstcmmcn, weil nicht
eine Volkserhebung, wie 1848, sondern ein KabtnetSkricg und ein diplo-
matisches Schachspiel den Ausschlag gegeben haben."
Erst nachdem diese Worte geschrieben waren, kam der Nikolsburger
Vertrag zu Stande, dessen Inhalt die Aussicht auf die Vereinigung ganz
Deutschlands unter der preußischen Führung ins Ungewisse htnausrückte
und die Mainltnte zum einstweilen nothwendigen Uebcl machte. Hr. Rey-
scher hat sich dadurch veranlaßt gesehen, seiner Schrift ein Nachwort zu
geben, in welchem er die Wirkungen des NtkolSburger Vertrags dahin zu-
sammenfaßt, daß derselbe Preußen zwar gegenüber Oesterreich, aber nicht
gegenüber Frankreich verpflichte. Dahin nämlich, daß Preußen keinen Zwang
*) Stuttgart, bei Kröner.
 
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