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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 85 - No. 89 (3. Januar 1867 - 31. Januar 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0136
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— Ü68

die Verhältnisse der europäischen Staaten zu einander, welches
Bismarck bei dieser Gelegenheit zum Besten gab, schien
mir nicht den Charakter einer Improvisation zu tragen.
Vielleicht ist die Offenherzigkeit auch ein „Stein des Systems",
und diese Vcrmuthung wird gewiß nicht geschwächt durch das
Lob, welches er der unerschütterlichen Vertragstreue Italiens,
der napoleonischen Versuchung gegenüber, zollte, und
durch den Werth, den er auf das fernere Bündniß mit Ita-
lien legte, dessen der König von Italien sin seiner Thronrede,
freilich darin der preußischen folgend, gar nicht erwähnt.
Diese Rede Bismarck's ist der öffentliche Abschluß jener
Entwickelung, welche er nach den, gewiß nicht absichtslos
grade jetzt veröffentlichten, vertraulichen Briefen ans der Zeit
seiner diplomatischen Lehrjahre in Frankfurt und Petersburg
durchgemacht hat. Der Abgeordnete Bismarck von 1849
eiferte gegen die schleswig-holsteinischen „Rebellen" aus Legi-
timitätsgründen, warnte Preußen vor der revolutionären Rolle
Piemonts, hieß die Schmach von Olmätz gut, und verwarf den
Dreikönigsbund zu Gunsten der österr. Allianz. Der Diplo-
mat Bismarck kommt nun nach und nach, unter steten Be-
schwerden über schlechte Behandlung Seitens der feudalen
Partei, „mit der er aus einem Topf gegessen", und unter
bitteren Ausfällen gegen den „Unverstand des liberalen Feder-
viehs, das in ihm das Beste an ihrer eigenen Sache angreife,
ohne es zu merken", dahin, wo der Staatsmann
jetzt steht: Erkcnntniß der Unhaltbarkeit der konservativen
Solidarität, Ausschließung Oesterreichs aus Deutschland als
Rache für Olmütz, Bündniß mit Italien, herzliches Einver-
nehmen mit Frankreich, Aufhissen der nationalen Fahne, Los-
reißung der Herzogtümer von Dänemark, Zollparlament,
ja Errichtung des norddeutschen Bundes!
Diesen Entwicklungsgang will nun der Redner illustrircn
und motiviren. Die heilige Allianz bis 1848, sagte er, war
ein europäisches Defcnsivsystem gegen Frankreich; es gewährte
den Theilnehmern Sicherheit, aber eine abhängige, wenigstens
für Preußen. Es fiel durch die aggressive Politik Oesterreichs
gegen Preußen seit 1850; den letzten Stoß erhielt es durch
das Verhalten Oesterreichs gegen Rußland im orientalischen
Kriege. Seit dem Zerfall dieser Allianz galt Preußen im
Auslande und zum Theil auch im Jnnlande für permanent
hilfsbedürftig Frankreich gegenüber, und diese Hilfsbedürstig-
keit machten Oesterreich und unsere deutschen Bundesgenossen
zur Basis einer sehr weit getriebenen Spekulation auf unsere
Nachgiebigkeit. Preußen hat bei einem Kriege mit Frankreich
nichts zu gewinnen und muß ein freundnachbarliches Verhältniß
mit ihm wünschen. Dasselbe erkannte der Kaiser Napoleon
in seiner Weisheit als dem Interesse beider Nationen ent-
sprechend, im Widerspruch mit anderen französischen Dynastien;
er erkannte, daß zu solchen Beziehungen mit Frankreich nur
ein selbständiges Preußen behilflich sei. Vielleicht sehen das
nicht alle seine Unterthanen ein; wir haben es nur mit der
französischen Regierung zu thun. Eine Einigung von ganz
Deutschland unter Oesterreich, ein übermächtiges Reich von 75
Millionen liegt nicht im Interesse Frankreichs, selbst nicht um
den Preis für die Rheingränze.*) Es ist für ein Frankreich,
welches mit Deutschland im Frieden leben will, ein Vortheil,
wenn Oesterreich daran nicht bethciligt ist (was dem bekannten
BriefeNapoleon's widerspricht!), wegen vielfach kollidiren-
der Interessen im Orient, in Italien. Mit einem von Oester-
reich getrennten Deutschland hat Frankreich weniger feindliche
Berührungspunkte, und es ist ihm im defensiven Kampfe voll-
ständig gewachsen. Nun liegt im Interesse der gegenwärtigen
französischen Dynastie wesentlich die Berücksichtigung der Na-
tionalitäten, und demgemäß hat Frankreich die dänische Frage
von Anfang an aufgefaßt und vertraulich besprochen. Wir
haben die Initiative nicht ergriffen, weil sie uns unbequem
war, wir haben die Frage als eine offene behandelt und nur
immer erklärt, daß wir unsere militärische Sicherhcitslinie durch
kein Arrangement kompromittiren lassen würden. Nun kam

*) Diese Stelle der B.'schen Rede ist, beiläufig gesagt, die schwächste
Seite derselben. D. H.

Frankreich, im Juli d. I., von Oesterreich zum Vermittler
unseres Streites berufen und also vollständig legitimirt, in
die Lage, seine eigenen Wünsche mit einem ungewöhnlich starken
Gewichte zu accentuiren. Daß es dabei die Erfordernisse
seiner Politik berücksichtigte, kann ihm Niemand verdenken,
und es hat sie mit Mäßigung geltend gemacht. Gewiß
hat Niemand Preußen zumuthen wollen, zwei große europäische
Kriege zu gleicher Zeit zu führen, oder wie ein verwegener
Spieler nochmals Alles auf's Spiel zu setzen, indem es seine
Beziehungen zu anderen Großmächten kompromittirte, während
die Früchte des ersten Krieges noch nicht gesichert waren. —
Und so kam also die Klausel wegen Nordschleswigs in den
Vertrag — aus Rücksicht auf Frankreich, — dessen „Mäßi-
gung" vielleicht mit der „unerschütterlichen Vertragstreue" Ita-
liens in Wechselbeziehung stand, wenn das auch, trotz aller
Offenherzigkeit, nicht ausgesprochen wurde. —

Blut und Eisen.s
R, Dieses Wort des Herrn v. Bismarck hat in dem Munde
vieler Leute einen ähnlichen Klang, wie Mord und Todtschlag,
Sengen und Brennen, Hölle und Teufel. Man meint damit
die ruchlosesten Gesinnungen anzudeuten, die schwärzesten
Thaten zu kennzeichnen, den tiefsten Abscheu auszudrücken.
Der Mann von „Blut und Eisen" — damit glaubt man Alles
gesagt zu haben, was Herrn v. Bismarck der Verdamm-
nis; würdig macht und seine Werke dem Fluche der Menschheit
überantwortet.
Wir gehören, wie jeder Leser dieser Blätter weiß, nicht zu
den Freunden des preußischen Ministers und man wirb uns
nicht vorwerfen, daß wir bei Beurtheilung seiner Politik unsre
Worte auf die Goldwage zu legen gewohnt sind. In jenes
Zetergeschrei über „Blut und Eisen" aber haben wir zu keiner
Zeit cingestimmt, weil wir unser ehrliches Urtheil niemals dem
innern oder äußern Drange des Augenblicks geopfert. Heute
nun finden wir uns sogar veranlaßt, in der sonderbaren Rolle
eines Anwalts des Herrn v. Bismarck aufzutreten, weil die
gegen dessen Person gerichtete Anklage durch unermüdliche
Wiederholung auf eine Begriffsverwirrung hinarbeitct, derenMir-
kungen auf die öffentliche Sache zurückfallen würden, mit wel-
cher der Name des Herrn v. Bismarck ein für alle Mal
unzertrennlich verknüpft ist.
Die deutsche Einheit, sagte Herr v. Bismarck, wird nicht
durch parlamentarische Reden und Beschlüsse hergestellt werden,
sondern durch Blut und Eisen. Der damit ausgesprochene
Gedanke ist so einleuchtend, so selbstverständlich, so unwider-
leglich, daß man bei eigner Unbefangenheit kaum begreift, daß
irgend ein verständiger Mann eine Einwendung dagegen
erheben mag. Die Geschichte aller Staaten ist ein fortlau-
fendes Zeugniß dafür, daß große Verfaffungsveränderungen
nur durch die Mittel der Gewalt bewirkt werden können.
Hat doch selbst, um auf ein Beispiel hinzuweisen, das noch in
frischer Erinnerung ist, hat doch sogar die schweizerische Bun-
desreform der Vierziger Jahre, dieses leichteste Stück politischer
Arbeit der fraglichen Art, das man sich denken kann, zu seiner
Durchführung des Sonderbundskrieges bedurft, also des Bluts
und des Eisens. Ein schwierigeres Unternehmen, das unter
unfern Augen vorgegangen und im Augenblicke noch nicht
vollendet ist, die italienische Einigung, hat Blut in Strömen
und Berge von Eisen gekostet, und wird beider in Zukunft
wahrscheinlich noch mehr kosten, ohne daß der Preis von den
Betheiligten selbst zu hoch befunden würde. Deutschland nun
vollends, mit seinen beiden Großmächten und seinen militär-
tüchtigen Mittelstaaten, wie hätte es jemals aus der Unbe-
weglichkeit, in welcher es die Bundesverfassung gebannt hielt,
sich hcrausreißen können, ohne einen Kampf auf Leben und
Tod zwischen den Trägern der großen Interessen, die bei einer
solchen Veränderung im Spiel waren!
Indessen es hat allerdings immer Leute gegeben, die da
meinten, daß cs zur deutschen Bundesreform eigentlich nur
des guten Willens bedürfe, daß ein Fürstentag, eine consti-
tuirende Nationalversammlung zur Bewerkstelligung derselben
 
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