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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 115 - No. 119 (1. August 1867 - 29. August 1867)
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auf 19 Millionen angenommen) jetzt auf 203- bis höchstens
205,000 Mann. Zweitens, meine Herren, die Reorganisa-
tion offcrirte die 16jährtge Dienstzeit, hier zum ersten Male
wurde uns die Bestimmung geboten, daß der Mann schon
mit seinem 32. Jahre seiner Militärpflicht erledigt sein soll.
Das ist uns früher niemals geboten und ich lege großes Ge-
wicht darauf, daß jeder Mann mit Vollendung des 32. Le-
bensjahres sich ganz seinen bürgerlichen Geschäften widmen
und eine Familie gründen kann, daß er dann von den An-
forderungen des Militatrstaates befreit ist und sich seine Dienst-
pflicht nicht in noch spätere Jahre verschleppt. (Bravo.) Es
ist in der That ein großer Unterschied, ob Jemand mit dem
32. oder mit dem 39. Jahre von seiner Militairpflicht ent-
bunden wird. Der dritte Unterschied ist meiner Ansicht nach
noch viel wichtiger. Bisher hatte die Regierung niemals an-
erkannt, daß der Z. 3 des Gesetzes vom 3. September 1814
der Volksvertretung die Befugniß ertheilt, die jedesmalige
Stärke des stehenden Heeres und der Landwehr, also die
Stärke des Friedcnsheeres überhaupt, nach der Kopfzahl der
Bewohner zu normiren; sie hatte immer nur der Landcsver-
tretung das Recht zugestanden, durch Bewilligung der Aus-
gaben auf die Stärke des Heeres zurückzuwirken. Anders ist
es in der norddeutschen Bundesverfassung: hier ist von der
Regierung zum erste» Male eingeräumt, daß die Feststellung
der Stärke des Friedenöhceres der gesetzlichen Zustimmung
der Volksvertretung unterworfen sein soll. Für jetzt bis zum
Jahre 1871 bestimmt die Verfassung die Aushebung von 1
Prozent der Kopfzahl der Bevölkerung, von da ab muß
die Aushcbungsziffcr im Wege der Bundesgesetzgebung geregelt
werden. Es ist dies nicht blos eine formelle, sondern eine
innere und sachliche Nothwendigkcit, weil die Gesammtleistung des
Volkes nicht anders als durch Gesetz festgestellt werdeu kann.
Die friedliche Lösung des Militärkonflikts ist dadurch verbürgt,
und wir können zuversichtlich hoffen, daß, wenn endlich ein
einiges kräftiges Deutschland konstruirt sein wird, daß dann
auch die für das Heer von dem Volke aufzubringendcn Lasten
erleichtert werden. (Redner geht nunmehr auf das Amende-
ment Ujest-Bennigsen ein und weist nach, baß dasselbe den
Partikularismus der Kleinstaaten Niederschlage. Dieser Par-
kikularismus, der nicht gescheut habe, sich mit auswärtigen
Feinden zu verbinden, habe es bewirkt, daß in jedem Jahr-
hundert auf unfern Fluren die unheilvollsten Kriege geführt
wurden. Ihm mußte der Boden entzogen und die Entwicke-
lung und die Befugnisse des großen nationalen Staates fest-
gestellt werden. Redner schließt dann etwa wie folgt): Ich
wiederhole, meine Herren, die norddeutsche Bundesverfassung
ist nicht so schlecht, daß nicht mit ihr und durch sic das deutsche
Volk einer besseren, freieren politischen und wirthschaftlichen
Entwickelung entgegengehcn könnte. Die Frage der zukünfti-
gen Entwickelung der Thätigkeit im Volke ist meiner Ueber-
zcngung nach viel wichtiger als die Frage der Rechte des
Reichstages. Er besitzt nicht vollkommene, aber sehr wirksame
Rechte, und werden diese wirksamen Rechte gebraucht, dann
hat er eine entscheidendere Macht, als das preußische Abge-
ordnetenhaus sic besaß. Meine Herren, es handelt sich zu-
nächst eben nicht so sehr darum, ob mehr oder weniger Rechte,
als darum: sind wir im Stande, durch das allgemeine, gleiche
und direkte Stimmrecht liberale Männer für den Reichstag
zu wählen? M. H>, täuschen wir uns nicht darüber, daß die
bisher von den Liberalen entwickelte Thätigkeit gegenüber dem
allgemeinen, gleichen Wahlrecht nicht ausrcicht; dasselbe legt
der liberalen Partei in höherem Maße Energie und Rührig-
keit auf. Wenn wir uns zu einer solchen Thätigkeit nicht
entschließen, dann haben wir cs nicht der Verfassung, sondern
uns selbst, unserer Lässigkeit, unserem Mangel an Einsicht
und Opferwilligkeit zuzuschreiben, wenn es anders kommen
sollte, als wir gewünscht haben. Aber, m. H., nicht blos
Thätigkeit bei den Wahlen, auch in anderer Beziehung sind
der liberalen Partei ernste Pflichten aufcrlegt: sie muß die
Bedürfnisse des Landes ernstlich studiren, sie muß die Wünsche
der großen Masse der Wähler kennen lernen und ihren gerech-
ten Anforderungen Nachdruck verschaffen. Der Schwerpunkt

der Wahlbewegung beruht in der größten Mehrzahl der Kreise
nicht in den Städten, sondern auf dem flachen Lande.
Hierhin insbesondere müssen die liberalen Parteien ihre Auf-
merksamkeit richten; von der nächsten Entwickelung der Wäh-
lerschaft in den Landkreisen hängt es ab, ob das allgemeine
Wahlrecht in Deutschland dieselbe Wirkung haben wird, wie
in Frankreich, oder nicht. Von unseren Freunden werden
Ihnen heute noch Vorschläge zur Begutachtung vorgelegt wer-
den, welche dahin zielen, eine solche dauernde Thätigkeit in
Bezug auf spezielle, wichtige Fragen unseres Staatslcbens an-
zubahnen. Wenn wir gemeinsam uns einer solchen Arbeit
unterziehen, dann wird auch der Erfolg nicht ausbleiben. Wir
werden unabhängige Männer im Reichstage haben und die
dem Lande nothwendigen Reformen endlich durchgesctzt werden.
(Nat. Ztg.)

Zeitungsschau.
Unter den an den BundcSrath gebrachten Vorlagen für den Reichs-
tag befindet sich bekanntlich auch rin Freizügigkcits- und BundcSpaßgesetz.
Ueber den Inhalt derselben ist noch nichts bekannt; um so weniger kann
ein Zweifel darüber sein, wie sic ungefähr beschaffen sein müssen, um ge-
rechten Ansprüchen zu genügen. In Bezug auf die Freizügigkeit erinnert
die Nat. Ztg an das bereits im ersten Reichstag von Braun und Genossen
cingcbrachte Amendement zu Art. 4, dahin lautend: „Keinem Angehö-
rigen des Norddeutschen Bundes darf innerhalb des Bundesgebiets die Nie-
derlassung, der Geschäftsbetrieb oder die Erwerbung von Grundcigenthum
verweigert werden. Die bloße Niederlassung verleiht jedoch weder Hcimaths-
noch Gcmeindcbürgcr-, noch sonstige korporative Rechte an den Nicdcrlas-
sungSortcn. Die durch gegenwärtiges Gesetz angeordnetc wirthschaftliche
Zugfreihctt tritt mit dem 1. Januar 1868 in Kraft, mit welchem Tage
alle entgegenstehenden Vorschriften der Gesetzgebungen der einzelnen Bun-
desstaaten erlöschen.'
Einem solchen Entwürfe ließe sich sogar ohne zu große Schwierigkeit
das Marimum von Bedingungen anrethen, welche in den Etnzclgcsctzgcbun-
gcn fortan für den Erwerb des Ortsbürgcrrechts gestellt werden dürfen,
mit Feststellung einer Frist, innerhalb deren die Einzclgcsctzgcbungen dem-
gemäß abgcändcrt werden müssen.
Eine dahin gehörige Bestimmung, welche die Aufhebung der Einzugs-
gelder, BürgcrrechtSgclder und ähnlicher Abgaben aussprächc, würde dieses
Gesetz zu einem werthvollen Eigenthum aller Bundesangehörigcn machen,
die nun erkennen würden, daß ihnen das band, für dessen Unabhängigkeit
sic durch die allgemeine Wehrpflicht und die allgemeine Steucrpflicht einzu-
treten haben, auch ein sic überall mit gleicher Humanität ausnehmendes
Vaterland, ein freier Markt ihrer ArbcitS- und Kaptralkräftc sein werde.
Ueber die materiellen Vortheile der Zugfreihcit brauchen wir kein Wort
weiter zu verlieren. Wir wollen nur daran erinnern, welchen unschätzbaren
politischen Werth die Freizügigkeit hat, nicht nur vermöge des werth-
vollen FrethcitsrcchiS, welches sic gewährt, sondern yermöge der innigen
Jnteregenverschmelzung und der Belebung des Vaterlandsbcwußtscins bet
allen Einwohnern des Bundesgebiets.'
In Bezug auf die Pa ß g csetz g eb u n g bemerkt die Nat. Ztg.:
«Dicht hieran knüpft sich eine weitere gesetzliche Maßregel, die ohne Ver-
zug durchgeführt werden könnte und vermöge einer gleichen humanen Ten-
denz den Werth der neugcschasfencn staatlichen Ordnung dem letzten Gesellen
und Arbeiter zum Bewußtsein bringen, und die Liebe zu derselben erwecken
und beleben würde. Durch ein von Michaelis und Genossen gestelltes
Amendement zur Bundesverfassung ist die Kompetenz des Bundes auf die
Paßgcsetzgebung ausgedehnt worden. Nun ist der Paßzwang eines der
widerwärtigsten und unnützesten Institute: widerwärtig wegen der polizeili-
chen Quälerei der Reisenden und wegen des Unterschiedes, der zwischen
dem Reisenden im guten und dem Reisenden im schlechten Rock oder in
der Blousc gemacht wird; unnütz, weil die Diebe und Ausreißer sich meist
die tadellosesten Pässe zu verschaffen wissen, die ehrlichen Leute aber der
behördlichen Aengstlichkcit und Weitläufigkeit preisgegeben sind Schon vor
fünf Jahren legte der Minister Graf Schwerin dem Abgcordnetcnhause
einen Gesetzentwurf betreffend die Aufhebung deS Paßzwanges vor. In
Folge der Auflösung des Abgeordnetenhauses kam der Entwurf nicht zur
Erledigung, aber der neue Minister des Innern, v. Jagow, legte dem neu-
gewählten Abgcordnetcnhause denselben Entwurf sofort wieder vor. Das
Zustandekommen des Gesetzes scheiterte damals daran, daß Abgeordneten-
haus und Herrenhaus sich nicht zu einigen vermochten. Der jetzige Mini-
ster des Innern hat den Entwurf nicht wieder zum Vorschein gebracht. Ob
er des Paßzwanges zu bedürfen glaubt, obgleich seine beiden Vorgänger
desselben cnlrathcn konnten, wissen wir nicht, daß er aber mit diesem In-
stitute, welches eben so zopfig, wie erbitternd ist, nichts Vernünftiges an-
fangen kann, davon ist die ganze gebildete Welt überzeugt, und wenn er
nur einiges Studium auf sie Sache verwenden will, so wird er die gleiche
Ueberzeugung gewinnen. Was in aller Welt kann ihn abhalten, den Ge-
setzentwurf aus der reponirtcn Registratur hervorzuholen und ihn, den neuen
Verhältnissen angepaßt, sofort etnzubrtngcn? Dasselbe würde ja das ein-
fachste Mittel sein, dem letzten HandwerkSburschcn plausibel zu machen,
daß der Norddeutsche Bund ein wvhlthätigcS Institut bildet."
— Aus Würtcmbcrg schreibt man der Wes. Ztg. unterm 9. August:
„Während sich im Norden der nationale Horizont zu trüben scheint, kann
ich vom Süden mit gutem Gewissen berichten, daß trotz Allem, was die
 
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