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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 115 - No. 119 (1. August 1867 - 29. August 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0398
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wollen, dem Ausland nicht der mindeste Zweifel gelassen
werden. Selbst Diejenigen, welche dem Südbund, mit oder
ohne Oesterreich, früher das Wort geredet haben, werden sich
nicht ausschließen können und dürfen, wollen sie nicht den
Verdacht vcrrätherischer Hintergedanken auf sich laden. Heute
übrigens, nachdem dieser Südbund zum ausgesprochenen Pro-
gramm der Napoleonischen Politik degradirt ist, heute werden
alle diejenigen seiner Anhänger, in denen noch ein Rest von
nationalem Schamgefühl lebendig, ihm ohne Weiteres den
Abschied geben, und was alsdann noch übrig bleibt, wird
man getrost als die französische Partei im Lande be-
zeichnen dürfen. Kurz, die Klärung und Besserung des öf-
fentlichen Geistes in Süddcutschland ist als eine der nächsten
Wirkungen des Attentats zu erwarten. Und sofern wir mit
dieser Hoffnung uns nicht betrügen, hätte die Politik des Bo-
napartismus sich für Deutschland wieder einmal als jener
Faetor bewährt, der „stets das Böse will und stets das Gute
schafft"....
Aber auch die preußische Regierung hätte allen Grund,
nicht bloß für ihre auswärtige Politik, was sie ohne Zweifel
thun wird, sondern auch für das Innere nützliche Lehren aus
diesem Einmischungsversuche zu ziehen. Ein so anerkannt
kluger und vorsichtiger Mann wie Napoleon, würde den-
selben sicher nicht unternommen haben, wenn er die Ucber-
zeugung gehabt hätte, dem einmüthigen Zurück! der gejammten
Nation zu begegnen, wenn ihn nicht die zahlreichen Anzeichen
der wachsenden Unlust und Mißstimmung in den neuen Pro-
vinzen, wie der wenigstens nicht verminderten Abneigung gegen
Preußen im Süden, dazu ermuthigt hätten. Er bat den Grad
und die Stärke dieser Stimmungen und ihres Einflusses auf
die süddeutschen Kabinette überschätzt und der Rheinbund ist
mißglückt; aber das bringt uns nicht vorwärts in der Haupt-
sache, in der Constituirung Deutschlands. Das Wahrschein-
lichste ist ja ohnehin, daß der eigentliche Zweck der Salz-
burger Reise nicht sowohl ein förmliches Bündniß oder sonst
greifbares Ergebniß, als eine Demonstration war, um Preu-
ßen zurückzuhaltcn, es am Main fcstzubannen, so lange bis
die Zeit gekommen, wo der schein der Allianz zur Wirklich-
keit zu werden vermag. Ist dem so, dann versteht sich die
Pflicht und das Interesse Preußens, baldigst weiterzuschreiten,
von selbst. Aber nichr Gewalt noch Diplomatie, nur ein
entgegenkommender Aufschwung des Volkögeistcs kann ihm
den Weg dazu ebnen. Und wenn die beiden Mächte darauf
rechnen, daß ein solcher Aufschwung nicht erfolgen, daß die
öffentliche Stimmung Passiv, gedrückt, gelähmt bleiben wird,
so lange das gegenwärtige System am Ruder ist, so rechnen
sie ohne Zweifel richtig. Daß dieses System und sein erkäl-
tender Hauch nicht das einzige Hinderniß bildet, daß eine
Last von Vorurtheilcn und Marotten im Süden sich zugesellt,
wissen wir recht wobl. Aber das Haupthindernis; ist es trotz
Alledem und Mledem.

Aus Preußen, 25. August. Man nimmt allgemein
an, und ich glaube mit vollem Recht, daß im deutschen Bolke
eine weit größere Summe von Bildung verbreitet sei. als
im italienischen. Aber wenn man die Organe unserer „ent-
schiedenen" Fortschrittspartei oder die der süddeutschen „Volks-
partei" jetzt über die nationale Einheit und ihre Bedeutung
schwadronircn hörr, so muß man sich beschämt cingcstehen,
daß die liberale Presse jenes Volkes während seiner Kämpfe
um die nationale Einheit niemals einen so absoluten Mangel
an politischer Einsicht und an politischem Takt gezeigt hat,
und daß das italienische Volk ihr eine so völlige Verleugnung
alles Nationalgefühls, wie sie sich in jenen Blättern breit
macht, niemals nachgesehen haben würde. Namhafte Führer
der Fortschrittspartei erklären, daß sic sich, dem Gesetze der
Demokratie gemäß, dem Votum der Majorität unterwerfen,
und man darf bei ihrem ehrenhaften Charakter annehmen,
daß sic sich ehrlich auf den Boden der Verfassung stellen
wollen, um an ihrem Ausbau zu helfen. D i e „Entschiedenen"
aber, die in ihrer Entschiedenheit niemals durch die Einwen-

dungen ihres politischen Verstandes gehemmt werden und die
trotzdem das große Wort in der Presse der Fortschrittspartei
führen, zucken die Achseln über diese „Schwachheit" und
„sehen die Nothwendigkeit der Existenz des Norddeutschen Bun-
des gar nicht ein", wie die „Zukunft neulich sagte." S i e stellen sich
offenbar nur aus den Boden der Verfassung, weil das für
die Wahlen absolut nicht anders geht, aber mit dem Vor-
behalt, sie möglichst zu ruiniren. Etwas anderes läßt sich
auch aus einem Wahlbriefe des Abg. Ziegler nach Breslau
kaum herauslescn, wenn anders das geistreiche Gerede dieses
Novellisten einen politischen Inhalt hat. Es ist fast unbe-
greiflich! So lange als man lediglich durch Singen und
Springen an der Einheit Deutschlands arbeitete, so lange
waren die „allseitigen Opfer", welche die Fürsten und die
„Stämme" ihr auf dem Altäre des Vaterlandes bringen
müßten, der Refrain jeder Festrede. Jetzt, wo die Einheit
praktisch verwirklicht werden soll, verräth das Ansinnen irgend
welches Opfers für sie, die schwärzeste reaktionäre Gesinnung!
Unsere „Entschiedenen" drücken dem „edlen" Gagcrn still
die Hand, dessen „bundesstaatlicher" Einheitsdrang schon vor
der Uebcrgabe der darmhessischcn Post an Preußen erschrocken
und entrüstet still steht. Sie stellen die nationale Einheit
jetzt plötzlich als eine ziemlich gleichgültige Angelegenheit dar,
als eine fürstliche Ergötzlichkeit, als ein Ding, „das Bis-
marck jedenfalls viel nöthiger braucht, wie das Volk,"
und welches „wir" also nur annehmen dürfen, wenn
„wir" eine bestimmte Summe von Rechten und Freiheiten
als Lohn für unsere Zustimmung baar herausbckommen! —
Der Wahltermin (31. k.) steht vor der Thüre und es
ist noch immer fast unmöglich, sich auch nur mit einiger Si-
cherheit ein Urthcil über das Ergebniß der Wahlbewcgung
zu bilden. Die vorherige Kontrolc und Berechnung, die frü-
her nach der Vollziehung der Wahlmänner-Wahlen so leicht
angestellt werden konnten, sind bei dem allgemeinen direkten
Wahlrecht mit geheimer Abstimmung ganz unzuverlässig. Ich
fürchte, die alte Fortschrittspartei hat vielfach liberale Wah-
len, die beim Zusammenhalten aller Kräfte der liberalen
Partei möglich gewesen wären, ernstlich gefährdet. Zwar die
Windbeuteleien und die perfiden Hetzereien ihrer reisenden
Agenten (Richter, Angcrstein u. s. w.) muß man am Ende
bei jeder Wahlbewegung in den Kauf nehmen, und man darf
es auch nicht zu tragisch auffassen, wenn die Berliner Wahl-
versammlungen sich von Agitatoren dritten und vierten Ran-
ges beherrschen lassen und unverdrossen Jeden, wid neulich den
Abg. v. Hennig, niederbrüllen und nicdertrommelu, der
nicht, unbekümmert um alle Wirklichkeit, das Lied des „stand-
haften Zinnsoldaten" unverändert nachsingt, wie cs die „Volks-
zeitung" und Konsorten allen verständigen Menschen zum Ekel
täglich vorleiern. Gegen diesen Unfug müssen die Berliner
selbst Abhülfe schaffen und die Reaktion der Bildung gegen
diesen Terrorismus der absoluten Mittelmäßigkeit wird auch
nicht ausbleibcn. Komisch ist nur die sittliche Entrüstung der
über die Berliner „Entschiedenheit" so entzückten „Rhein.
Ztg.", als sic in Düsseldorf plötzlich entdeckte, daß es noch
unverständigere und wüstere Gesellen gebe, als jene „Entschie-
denen", nämlich die Lassallcancr, die den Kandidaten der Ent-
schiedensten der Entschiedenen, Hrn. Bürgers von der „Rhein.
Ztg.", als einen „elenden Bourgeois", ja sogar als einen
„National-Liberalen" niedcrbrüllcn und nicdcrtrommeln, um
nachher unter einigen angelernten, der ganzen Gesellschaft
den Krieg erklärenden Phrasen für einen anrüchigen Aben-
theurcr und Charlatan, wie z. B. Schweitzer, oder im
milden Freiheitsdrange — für Bismarck zu stimmen. Ueber
das Alles kann man schon hinweg; aber die Fortschrittspartei
hat schwerere Fehler gemacht. Die kolossalen Ucbcrtreibungen
der in das Ungeheuerlichste ausgcmalten Steucrprojekte der
Regierung haben vielfach Furcht und Schrecken erregt und
mögen der Partei auch eine ganze Anzahl von Anhängern geworben
haben in jenen Kreisen, die Den für den besten Abgeordneten
halten, der ihnen eine Abschaffung aller Steuern verspricht.
Aber indem sic die Nationalen, die als neue Partei nicht so-
gleich eine tief in das Volk dringende Presse besaßen, in der
 
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