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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 2): Ottonenzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15264#0049

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keiner, der, ungeachtet der Fehler und Fehlschläge im einzelnen, nicht Bedeutendes gelei-
stet hätte. Dennoch blieben nur Karl und Otto L ,Große'. Wie gesagt: dieser Umstand gibt
Anlaß zum Nachdenken, vielleicht auch die Möglichkeit, die Gründe zu hinterfragen.

Meist ist es eine überragende Tat, die schon die Zeitgenossen veranlaßt, ihren Helden
den Beinamen ,der Große' in einer Art communis opinio zuzuerkennen, wozu zweitrangi-
ge Momente verstärkend hinzutreten. Es scheint nun, daß Karl wie Otto L, und eben nur
diesen, eines gemeinsam ist: die renovatio imperii. Karl hatte 800 das mittelalterliche Kai-
sertum des Westens begründet und damit ein Zeichen für das ganze Zeitalter gesetzt.
Otto nahm etwa eineinhalb Jahrhunderte später diese Tradition wieder auf und legte da-
mit für Jahrhunderte die Grundzüge deutscher Politik fest. Denn für Jahrhunderte präg-
ten diese Entscheidungen auch das Bild vom ,Staat', vom ordo des Hohen Mittelalters.
Demnach wären die Ereignisse von 800 und 962 in höchstem Maße konstitutiv für die
Wahl der Geschichte gewesen, gerade diesen Herrschern den Beinamen ,der Große' zu
sichern. Dazu mag man neben der Eigenschaft des Imperator (oder rex) multorum popu-
lorum die des defensor fidei et pacis, die entscheidende Abwehr äußerer Feinde wie die Er-
richtung genuiner staatlicher Strukturen rechnen, vielleicht auch noch die nur annä-
hernd von Friedrich L und Friedrich II. erreichte, nur von Heinrich IV. (unter Einschluß
seiner Kinderjahre) überbotene Länge der Regierungszeit, welch' letztere Anlaß zu einer
gewissen Mystifizierung bot.

Otto L wurde 912 als Sohn des Sachsenprinzen Heinrich und seiner zweiten Gemah-
lin Mathilde, einer Nachfahrin des berühmten Sachsenfürsten Widukind, geboren.1
Heinrichs Schwester Oda war verheiratet mit dem Karolinger Zwentibold von Lothrin-
gen, Heinrichs Tante Liutgard mit dem Karolinger Ludwig III., dem Jüngeren' (876 -
82), Herr in Sachsen, Thüringen und dem eigentlichen Ostfranken. Mag man auch von
der bislang nicht bewiesenen Meinung einiger Forscher absehen, daß Heinrich selbst ka-
rolingisches Blut in den Adern hatte, so zeigt diese Verwandtschaft doch, daß Beziehun-
gen zwischen der alten Reichsdynastie und der neuen bestanden, daß also die alte Tra-
dition zwar Akzentverschiebungen erhielt, nicht aber tot war.

Kurze Zeit nach Ottos Geburt wurde sein Vater Heinrich Herzog der Sachsen und da-
mit einer der mächtigsten Männer in Ostfranken, der auch dem König Konrad entgegen-
treten und standhalten, ja ihn letztlich überwinden konnte. Otto war sieben Jahre alt, als
die Franken und Sachsen in Fritzlar seinen Vater, den dessen einstiger Gegner Konrad I.
selbst designiert hatte, zum König ausriefen. Und Otto war siebzehn Jahre alt, als Hein-
rich I. nach seinen Slawensiegen ihn zum alleinigen Nachfolger bestimmte und damit
das Prinzip der Unteilbarkeit des Reichs festlegte. In demselben Jahr 929 heiratete Otto
die englische Prinzessin Edgitha, die ihm 930 den Sohn Liudolf und 931 die Tochter Liut-
gard gebar. Als er schließlich die Nachfolge seines Vaters antrat und in Aachen gewählt
wurde, war er vierundzwanzig.

Die Wahl Aachens, wohl noch von Heinrich I. vor seinem Tod vorgeschlagen, war
symbolhaft und entsprach einer politischen Tradition: Otto stellt sich damit selbst in die
Nachfolge Karls des Großen, was seine Intentionen deutlich werden ließ. Zum anderen
bedeutete die Wahl dieses Ortes als Krönungsort, gegenüber dem kurz zuvor in Reims
gekrönten westfränkischen Karolinger Ludwig IV., eine Demonstration, daß zumindest
eine - die wesentliche - der beiden von Alkuin und anderen seinerzeit genannten sedes
der westlichen Herrschaft in Ottos Besitz sei.2

Auch der Verlauf der Aachener Wahl mit der, von Widukind von Corvey bezeugten,
Dienstleistung der Herzöge beim Krönungsmahl zeigt die scheinbar gefestigte Stellung
des liudolfingisch-ottonischen Königtums.

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Scheinbar - denn die Ansprüche Ottos konkurrierten einmal mit denen seines älteren
Halbbruders Thankmar und seines jüngeren,,purpurgeborenen' Bruders Heinrich -
Liebling seiner Mutter Mathilde -, aber auch mit den Interessen des auf sein Eigenrecht
bedachten Adels insbesondere in Sachsen, Franken und Bayern. Nach dem Tod Hein-
richs I. hatten die Slawen mit mehr oder minder Erfolg versucht, die Selbständigkeit wie-
der zurückzugewinnen. Otto griff gerade an der Elbe mit Erfolg ein und fand dabei die
Unterstützung der sächsischen Adeligen Hermann Billung und Gero, die er, was sich
später als hervorragend bewähren sollte, als Markgrafen an der Niederelbe beziehungs-
weise an der Mittelelbe und Saale und mit der Neuorganisation der Grenzverteidigung
im Nordosten betraute. Gerade dies führte aber zu Verstimmungen bei denen, die sich
übergangen fühlten. Dazu kam eine Eigenmächtigkeit des Herzogs Eberhard von Fran-
ken (ein Bruder König Konrads I. und einst Überbringer der Insignien an Ottos Vater
Heinrich), die Otto nicht hinnahm, sowie die, ob der kirchlichen Reservatrechte, die
Heinrich einst dem Bayern Arnulf zugestanden hatte, von dessen Sohn Eberhard 937
verweigerter Huldigung.

Nach einem erfolglosen Zug Ottos gegen Bayern, Anfang 938, schritt Thankmar ge-
meinsam mit Eberhard zum Aufstand und wandte sich bezeichnenderweise (wovon
noch zu sprechen sein wird) gegen Ottos jüngeren Bruder Heinrich, den er gefangen-
nahm und Eberhard überantwortete. Bald aber wendete sich das Blatt. Otto konnte den
Aufstand niederschlagen: Thankmar wurde am Altar der Peterskirche der Eresburg, wo-
hin er sich geflüchtet hatte, von Kriegern des Königsbruders Heinrich erschlagen. Eber-
hard von Franken ließ diesen frei und schloß Frieden mit dem König. Eberhard von Bay-
ern wurde im Herbst 938 vertrieben und durch seinen Oheim Berchtold, der dem König
stets die Treue hielt, ersetzt.

So hatten schon die ersten zwei Jahre Kämpfe um Ottos Herrschaft, aber auch Erfolge
gebracht: er hatte sich bewähren müssen. Freilich eine noch schwerere Prüfung brachte
das Jahr 939, als der andere Königsbruder Heinrich, vielleicht nicht ganz ohne Unterstüt-
zung der Mutter Mathilde, als eigentlicher' Königssohn Ansprüche erhob. Er probte den
Aufstand, fand Unterstützung beim Frankenherzog Eberhard, selbst Bruder eines Kö-
nigs und bei Ottos Schwager Giselbert von Lothringen, dem Gemahl seiner Schwester
Gerberga, die später die Gemahlin Ludwigs IV. von Frankreich wurde. Auch bei dem
Karolinger fanden Giselbert und Heinrich Hilfe.

Ottos Lage schien dank der Umtriebe seines eigenen Bruders Heinrich ziemlich aus-
sichtslos zu sein. Doch half ihm seine vielgerühmte constantia: sie brachte nach verschie-
denen Gefechten den Sieg der ottonischen Parteigänger, der Konradiner, Hermanns von
Schwaben und anderer, die die Aufständischen am 2.10.939 bei Andernach vernichtend
schlugen. Eberhard von Franken fiel, Giselbert von Lothringen ertrank. Heinrich unter-
warf sich und wurde begnadigt. Die Quellen rühmen Ottos dementia. Bald erhielt Hein-
rich sogar das erledigte Herzogtum Lothringen zugewiesen, um sich zu bewähren. Den-
noch gab der Ruhelose, von Ehrgeiz getrieben, keine Ruhe. Schon 941 versuchte er, sogar
über die Leiche des Königs, zum Ziel zu gelangen. Mit Hilfe großer Teile des ostsächsi-
schen Adels wurde die Ermordung Ottos am Osterfest 941 vorbereitet - Heinrich sollte
König werden. Doch der Anschlag wurde ruchbar. Die meisten Verschworenen wurden
hingerichtet, verbannt oder in Haft gelegt. Heinrich selbst, der geflohen war, geriet in
Gefangenschaft, floh wieder und warf sich am Weihnachtstag 941 in Frankfurt am Main
im Büßergewand vor seinem Bruder nieder und erlangte wiederum - fast unverständli-
cherweise - Verzeihung. Von da an wirkte er nicht mehr gegen Otto, sondern an seiner
Seite - aber auch hier als Geist der Zwietracht.

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