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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 2): Ottonenzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15264#0285

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Frieds Schluß, daß die Kronenträger des Liuthar-Evangeliars daher Boleslav und Ste-
phan seien, ist einleuchtend, somit auch die Datierung des Evangeliars auf 1000/1001.

Was Otto III. verkörperte, war eine renovatio imperii Romanorum, wobei sein Selbstver-
ständnis, das auch in der behandelten Darstellung zum Ausdruck kommt, ihn weit über
alle Könige hinaushob und ihm damit jenen gegenüber größere Freiheit erlaubte: Wie
der Basileus sah Otto III. die Könige aisßü und in geistlicher compaternüas ihm verbun-
den in amicitia. Der Zusammenbruch beim, ja kurz vor dem Tode Ottos III. 1002, den die-
se Idee erlebte, führte bei Heinrich II. zu einer gewissen ,Regression' des reditus ad reg-
num Franconim, was auch gegenüber Boleslav und Stephan eine veränderte Haihing be-
deutete. Otto III. war der Sohn des Sachsen Otto II. und der Byzantinerin Theophanu.
Heinrich II. der Sohn des liudolfingischen Bayernherzogs Heinrich (d. Zänkers) und der
Burgunderin Gisela. Otto war, als er König wurde, 3 Jahre alt - Heinrich wurde mit 29
Jahren König. Fried hat recht: Was wir über Boleslav wissen, berichten uns Quellen der
Zeit Heinrich II. und Konrads IL, als die Reichspolitik europäische Weite nicht mehr hat-
te. Auch was Fried über Lanzen und vexillum (S. 126ff.) ausführt, überzeugt. Auch sein
(gegen den - wie immer - zu nationalbewußten Josef Deer) Hinweis auf den Münzfund
aus der Zeit Stephans, dessen Avers die Legende LANCEA REGIS bietet (S. 130), schlägt
durch. I

So bereitet diese Arbeit rechtsgeschichtlich gangbaren Boden zu einer Neuinterpreta-
tion der Vorgänge um die Jahrtausendwende in Osteuropa und zu einer deutschpolni-
schen Verständigung über Gnesen - man wird künftig an dieser Arbeit nicht vobeikom-
men.

Erstveröffentlichung in: ZRG GA 109/1992, S. 411/12.
Rezension von:

Johannes Fried, Otto DL und Boleslav Chrobry. DasWidmungsbild des Aachener Evangeliars, der
,Akt von Gnesen' und das frühe polnische und ungarische Königrum. Frankfurter Histori-
sche Abhandlungen 30, Steiner, Wiesbaden-Stuttgart, 1989,159 S., 29 Abb.

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Otto III. Romanus Saxonicus et Italicus

Kaiserliche Rompolitik und sächsische Historiographie

Es beweist Mut, die genialische Interpretation der Politik und Persönlichkeit Ottos III.
durch Percy Ernst Schramm aus dem Jahre 1929 (Kaiser, Rom u. Renovatio) der vor 65
Jahren mit der nationalstaatlich-engen deutschen' Sicht Ottos III., jenes wohl mittelalter-
lichsten' aller Kaiser, aufgeräumt hatte, in wesentlichen Punkten mit subtilen Einzelun-
tersuchungen in Frage zu stellen und damit wesentliche Vorarbeit zu leisten für die all-
fällige wissenschaftliche Biographie Ottos III.

Die Arbeit gliedert sich in 3 Teile:

1. Die Kritik an Otto III. in der sächsischen Historiographie. Hier untersucht Verf., ob
bei Brun von Querfurt, bei Thietmar von Merseburg, in der Vita Bernwardi und in den
Annales Quedlinburgenses und den Hildesheimenses wirklich eine sächsisch-,deutsche'
Kritik an Ottos Rompolitik zu finden sei. In subtiler Einzeluntersuchung wird vom je-
weüigen Erkenntnisinteresse der genannten Quellen aus das Vorliegen einer grundsätz-
lichen Kritik verneint, die Romgebundenheit der Kaiserwürde für die Zeit um 1000 und
den Anfang des 11. Jahrhunderts erwiesen und damit für diese Zeit (wohlgemerkt nicht
für die Ottos L!) die Vorstellung eines ,romfreien Kaisertums' widerlegt.

Überzeugend führt Verf. die Kritik Bruns von Querfurt an Ottos DT. Rompolitik auf
Bruns religiöses Denken zurück, auf die ausschließende Dignität Roms als Apostelstadt,
die weltliche Herrschaft daselbst verbiete.

Als völlig kritikfrei erweist sich das Bild (und die Politik) Ottos HL in den Quedlin-
burger Annalen, dem Kaiserhaus besonders nahestehend.

Demgegenüber verhalten sich die Hildesheimer Annalen, abgesehen von einer ge-
wissen Kritik an der Öffnung des Aachener Karlsgrabes, eher wohlwollend neutral.

Auch in der Vita Bernwardi wird nirgends eine fundamentale Kritik an Ottos Rompo-
litik sichtbar; auch die Rekurse auf Ottos sächsische Herkunft stimmen mit dessen eige-
nen Selbstzeugnissen überein und stellen insoweit kaum Kritik dar.

Auch eine Deutung, die Thietmar von Merseburg als ,eingeschworenen Gegner' der
Politik Ottos sieht, erweist sich als ,nicht differenziert genug' (S. 84). Zwar übt Thietmar
punktuelle Kritik, etwa an Ottos Polenpolitik oder an Ottos Hofzeremoniell oder an der
Gründung des Gnesener Erzbistums; aber insgesamt sieht Thietmar Otto III. positiv, in
der Tradition des sächsichen Herrscherhauses. Verf. klärt auch ein gewisses Familienin-
teresse Thietmars an einigen seiner Äußerungen, auf die sich die angebliche Kritik bis-
lang stützte.

Mit diesen Ergebnissen wird der Anschauung von einer pränationalen ,sächsischen
Reichsvolksbewußtheit' zu Beginn des 11. Jahrhunderts weitgehend der Boden entzo-

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