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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 2): Ottonenzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15264#0112

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Gerbert von Reims

Gerbert von Aurillac (als Papst Silvester II.) wurde um 945 geboren und trat als Kna-
be ins Kloster Aurillac in den Cevennen ein, in dem er erzogen wurde. Um 967 schloß er
sich dem Markgrafen Boreil von Barcelona an, um bei Bischof Hatto in Vich-Ausona Ma-
thematik zu studieren. 971 tauchte Gerbert in Rom auf, wurde Papst Johannes XIII. vor-
gestellt und von diesem an Otto I. empfohlen. Doch Gerbert ging nach Reims (972) um
dort seine Studien fortzusetzen. Er wurde Lehrer und schließlich Leiter der Domschule
von Reims. Bei Disputationen in Ravenna (um 980), in Gegenwart Ottos IL, gewann er
die Gunst des Kaisers und erhielt das Kloster Bobbio in Oberitalien. Nach dem Tod Ottos
II. (983) konnte er sich nicht länger im ottonenfeindlichen Italien halten und kehrte nach
Reims zurück. Als wissenschaftlicher Ratgeber von Otto III. geschätzt, gewann er das
Vertrauen des jungen Kaisers, mit dem ihn schließlich eine enge Freundschaft verband.
991 wurde er Erzbischof von Reims, doch der Papst weigerte sich, die Ernennung anzu-
erkennen. 998 erhielt er von Otto das Erzbistum Ravenna und nach dem Tod Papst Gre-
gors V. (999) wurde er, nach dem Willen des Kaisers, Papst, weil dieser seine Erneue-
rungspolitik, auf der Grundlage einer kaiserlich-päpstlichen Konkordanz, fortsetzen
wollte. Bei einem Aufstand in Rom (1001) mußte der Kaiser mit seinem Papst die Stadt
verlassen. Erst als nach dem Tod Ottos III. (1002) Heinrich II. zum König gekrönt wurde,
konnte er nach Rom zurückkehren, wo er am 12. Mai 1003 gestorben ist. Gerbert war der
größte Gelehrte seiner Zeit. Seine profunden Kenntnisse der antiken Philosophie, vor al-
lem der Astronomie, Geometrie, Mathematik und besonders der aristotelischen Logik,
brachten ihm schon zu Lebzeiten den Ruf eines ,Zauberers' ein. Der Universalien-Streit,
der bald zu Kontroversen und Interventionen kirchlicher Autoritäten führen sollte, ging
zum großen Teil auf das System der Logik Gerberts zurück, das er in seinen Werken ent-
wickelt und durch seine Lehrtätigkeit in Reims verbreitet hatte.

,Vor der Pforte eines Klosters in der Auvergne wird im Jahr 945 von unbekannter
Hand, nur in Tücher gehüllt, ein Kind niedergelegt. Die frommen Brüder nehmen das
armselige, kleine Wesen bei sich auf und taufen den Knaben auf den Namen Gerbert. Im
Kloster Aurillac wird Gerbert erzogen - so beginnt Sigrid Hunke in ihrem 1960 er-
schienenen Buch Allahs Sonne über dem Abendland das Kapitel ,Der Papst rechnet ara-
bisch', das Gerbert von Aurillac gewidmet ist.1 Und hier, in einem Buch unserer Zeit,
sind in diesen drei Sätzen ebenso Sage und Geschichte, Wahrheit und Mythos vermischt
- wie schon bei Zeitgenossen Gerberts. Für die Geschichte allein schien er schon damals
zu groß und zu bedeutend, sein Wissen zu umfangreich, er selbst zu wenig die Bahnen
althergebrachter Tradition beschreitend: was Wunder, daß man um ihn schon zu Lebzei-
ten Sagen wob, ihn als das Urbild des ,Doktor Faust', als Zauberer und Magier sah, der
seine Seele dem Teufel verschrieben hatte.

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