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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 2): Ottonenzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15264#0160

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Otto IL, seit 967 Mitkaiser nach römisch-byzantinischem Vorbild, seit 972 mit der by-
zantinischen Prinzessin Theophano verheiratet, trat zuerst in des Vaters Fußstapfen.'3

Seit 979, seit in Byzanz wieder die Makedonendynastie regierte," schwenkte er um,
betonte den ,imperator Romanorum' des Westens - Titel sowohl wie Anspruch15 - wohl
nicht unter dem Einfluß Theophanus.

Otto III. selbst war, mit 3 Jahren 983 zum König gekrönt, seit seiner Volljährigkeit
99416 in seinem Selbstbewußtsein von Anfang an Kaiser,'7 Caesar Augustus, Nachfolger
des von ihm so verehrten Karls des Großen" als Imperator, fühlte sich als Nachfolger der
alten römischen Kaiser und Herr Roms mit allem, was die Idee des dominus Romae' auch
an weitausgreifenden Vorstellungen in sich barg.

Hinzu trat, daß zu der Zeit in Byzanz einer der bedeutendsten Kaiser die es je hatte,"
Basileios EL (976 - 1025), regierte - ein halbes Jahrhundert lang! - andererseits das dorti-
ge Kaiserhaus söhnelos auszusterben drohte.20

Inwieweit Otto III. durch seine, schon im Frühsommer 995 erfolgte, erfolglose erste
Gesandtschaft nach Byzanz21, zwecks Gewinnung einer Porphyrogenneta, die beiden Im-
perien einmal zu vereinen trachtete, muß offen bleiben.23

Der Erfolg blieb 995 versagt,23 zumal Otto auch noch nicht Kaiser war. Anders die
Werbung des Jahres 1000, die für Otto die Porphyrogenneta Theodora als Braut ergab,
die, schon auf dem Weg, Otto, im Januar 1002 in Italien, freilich nicht mehr lebend an-
traf.24

Die Konzeption Ottos III., die, trotz mancherlei Gedanken auch anderer in seiner Um-
gebung,25 wohl im Kern die seine bzw. weitgehend schon die seiner Mutter Theophanu25*
war, zielte auf den Kaiser als ,Sonne', den Papst als »Mond'2* an der Spitze einer geeinten
Christenheit,2" die gegliedert sein sollte in regna mit geistlichen Zentren auch als Sitz der
regna: es war die Idee einer jenovatio imperii',27 über die seit Schramms genanntem grund-
legenden Buch soviel geschrieben wurde.

Wenn ich in der Überschrift dieser Ausführungen vom politischen Erbe Kaiserin
Theophanus' bzw. Europäischen Staatensystem'28 spreche, dessen Beginn etwa Fueter
mit 1492 ansetzt,29 so bin ich mir der provokativen Zuspitzung wohl bewußt.

Aber es ist auch kein Zweifel, daß Ottos III. Verhalten gegenüber Venedig, Polen und
Ungarn eben nicht das zu Vasallen im strengen Sinne war, zu subditi, sondern das zu
amici (cpiXot), womit er, wie sich zeigt, ein altrömisch-byzantinisches Rechtsinstitut30 auf-
nahm und ausgestaltete. Otto hat, wie Schramm zeigt, indem er den Titel ,Servus Jesu
Christi'3' während des gesamten Gnesen-Zuges annahm, die alte ,servus dei'-Formel32 auf-
genommen, die schon Konstantin der Große für sich beansprucht hatte, auch schon der
Apostel Paulus auf seinen Missionsreisen (sie!) im Anklang an die Propheten des Alten
Testaments (,e"be"d Jahwe'). Mit Recht betont Schramm, daß Otto HL - als loajtöoxoXog33
nach Gnesen zog und in Rom als ,servus apostolorum' (seil. Petri et Pauli) eine ,Vogtei'
über der Kirche ins Auge faßte.34 Wie immer man die Demuts- und Anspruchsanteile in
Ottos Titulaturen auffassen mag, als Ausdruck seiner nachweislichen Frömmigkeit wie
seiner nachweislich hohen Herrscherauffassung35 - letztere blieb auch in der Selbstbe-
zeichnung als ,servus', die wir heute kaum mehr nachvollziehen können - nie außer
acht.

Ottos III. Augenmerk richtete sich nach Rom, angesichts des Wiedererstarkens36 von
Byzanz, vor allem auf den Osten.

Venedig war nach dem Vertrag von Aachen 814 und dem Pactum Lotharii von 840
staatsrechtlich bei Byzanz verblieben,3' aber in der Zeit der byzantinischen Schwäche so

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gut wie selbständig geworden.38 Sein dux (Doge), seit Beginn des 9. Jahrhunderts ge-
wählt, war nahezu souverän, wie die Verträge mit Byzanz zeigen* Indem aber Byzanz
seit der Mitte des 10. Jahrhunderts erstarkte, drohte es seinen Einfluß auch wieder auf
Venedig, seit 828 Sitz von San Marco (vorher in Ägypten) und aufstrebende See- und
Handelsstadt, auszudehnen.

Otto III. mußte diese Gefahr wohl erkannt haben,40 denn noch von deutschem Boden,
von Regensburg aus, schickte der 16-jährige König Anfang März 996 eine Botschaft an
den ebenfalls jungen, seit Frühjahr 991 amtierenden, Dogen Pietro Orseolo mit der
,süßen Bitte',41 er möge unverzüglich seinen noch ungetauften Sohn nach Verona zur
Taufe senden. Und in der Tat: Mitte März/Anfang April 996 empfängt Otto III. feierlich
den Täufling und wird Pate des, nach ihm Otto42 genannten, Kindes, das er, reich be-
schenkt,43 wieder nach Venedig entläßt. Später nennt Otto III. Pietro Orseolo, den Vater
seines ersten Patenkindes Otto Orseolo, häufig ,düectus compater'," eine Sitte wiederauf-
nehmend, die um die Mitte des 8. Jahrhunderts bei den Karolingern und schon bei den
Franken des 6. Jahrhunderts bezeugt ist.45 Der Name des Patenkindes, die Bezeichnung
von dessen Vater als compater* - das steht für eine enge (geistliche) Bindung, die, in jener
Zeit stärker als bloße Verträge, ein fester Beziehungsgrund ist.

Zu erwähnen ist auch das außerordentliche Privileg Ottos III. für Venedig (RI 1208;
Pavia [sie!] 996 August),47 in dem den Venezianern ungehinderter Aufenthalt in allen Ge-
bieten seines Reiches gewährt wird, d. h. ein besonderer Rechtsstatus.48

Mit der Rückendeckung durch Otto III. konnte Pietro Orseolo dann Venedig nach
Dalmatien ausdehnen und auch gegenüber Byzanz seine Unabhängigkeit bewahren und
erweitern.49

Pietro EL Orseolo nannte sich denn auch bald ,dux Dalmatiae'. Nicht unwesentlich zur
Kennzeichnung der Beziehung sind auch die wertvollen ausgetauschten Geschenke, die
über das übliche Maß hinauszugehen scheinen.50

Dennoch hat wohl Ottos Verbindung mit Venedig langfristig eher Venedig als Otto
genutzt,51 was auch mit dessen frühem Tod zusammenhängen kann.

Otto I. hatte offensive Ostpolitik betrieben und mit der Gründung des Erzbistums
Magdeburg ein geistliches Zentrum der Ostmission geschaffen.

Nach dem großen Slawenaufstand vom Sommer 98352 waren aber wesentliche Posi-
tionen verloren gegangen. Die alte, offensive ,Bibel und Schwert'-Ostpolitik war zu
Ende. Denn Polen53 erstarkte unter seinen Herzögen Miezko I. (960 - 92)51 und Boleslav I.
(992 - 1025),55 wurde auch weithin christlich, was die Grundlagen veränderte. Hatte Otto
III. noch zu Anfang seiner Regierung, nach alter Vätersitte, gegen die Slawen gekämpft,
so wurde durch Ottos Freundschaft mit dem hochadeligen Vojtech (geb. um 956), aus
dem Hause der böhmischen Slavniks, dem späteren Bischof Adalbert von Prag, den er

996 in Rom kennenlernte und den schon seine Mutter Theophanu seit 989 gekannt hatte,
Ottos Ostpolitik geändert. Adalbert, 972 - 81 in Magdeburg ausgebildet, wo er bei der
Taufe den Namen von Magdeburgs erstem Erzbischof empfangen hatte, wurde Ottos
Freund und Berater,56 gewann großen Einfluß auf ihn und wurde insoweit, neben der
Mutter Theophanu, auch zur zentralen Figur von Ottos III. späterer ,Ostpolitik'.57 Wohl
Anfang 997 zog Adalbert zur Missionierung58 an die Weichselmündung. Am 23. April

997 wurde er dort erschlagen,59 so wie dies ein Jahr zuvor in Prag fast seine gesamte Fa-
milie erlitten hatte.60 Bei Adalbert war sein Halbbruder Gaudentius.61 Durch ihn bekam
der Polenherzog Boleslav I. bald Adalberts (kanonisiert 999) Gebeine und ließ sie in sei-
ner Residenz Gnesen feierlich beisetzen.62

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