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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 2): Ottonenzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15264#0288

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IV. Mathilde, sainte reine

V. Vie religieuse et spiritualite dans la vita posterior mit der Conclusio: La vita Ma-
thildis posterior dans l'hagiographie et l'ideal de saintete medievaux.

Der vierte Teil: La saintete ches les Ottoniens. Essais d'interpretation ist eigentlich
schon ein Resume der voraufgegangenen Untersuchungen und umfaßt die Kapitel:
L Les textes Ottoniens et la saintete royale

II. La saintete dynastique dans la legitimite et la conscience familiale des Ottoniens

III. Saintete Ottonienne, saintete feminine.
Eine Conclusion generale schließt das Buch ab.

Die Arbeit stößt in den Kern ottonischen Bewußtseins vor und bietet eine Fülle von
Material. Aus den Quellen heraus stehen im Mittelpunkt der Betrachtung die ottoni-
schen Herrscherinnengestalten: die Ahnfrau Oda (805 - 912), Königin Mathilde (895/96
- 968) Königin Edith (t 946), Königin/Kaiserin Adelheid (931- 999), eher am Rande Kai-
serin Theophanu (959/60 - 991) und Königin/Kaiserin Kunigunde (t 1033). Von diesen
Gestalten wiederum steht für Corbet Mathilde ,1a potectrice de la dynastie' (II, 2, 4) im
Mittelpunkt, die ,diva mater' (Ruotger, Vita Brunonis c. 42), die ,sancta venerabilis regi-
na' (Vita Mathildis posterior c. 21), die auch Widukind von Corvey (II, 36; III, 12,49 u. 74)
und Thietmar von Merseburg (II, 10,18) als ,sancta' bezeichnen. Den ganzen dritten Teil
(80 S. von etwa 270!) widmet Corbet der Vita Mathildis posterior als ,le chef d'oevre de
l'hagiographie ottonienne' die von König Heinrich II. ([976] 1002 - 1024) bald nach 1002
veranlaßt worden war. Corbet vergleicht die beiden vitae Mathildis, die jüngere und die
ältere (16 S.), die kürzer und stilistisch einfacher, bald nach Ottos I. Tod (973) entstanden
war. Es entsprach dem Interesse Heinrichs IL, daß in der Vita posterior sein Großvater
Heinrich (,le Jeue') (c. 6 - 16) besonders hervorgehoben wurde, ja die Vita Mathildis po-
sterior ist geradezu eine Apologie Heinrichs von Bayern (920/21 - 955), der als Liebling
seiner Mutter Mathilde erscheint (,specialiter dilectus sanctae (!) Dei' - c. 6). Hier wird ein
zentrales Motiv der Vita posterior sichtbar: die besondere Nähe zur ,sancta Dei' Mathil-
de, seiner Mutter, und die Geburt ,in aula regali' von Heinrichs II. Großvater begründen
auch dessen besonderen Anspruch 1002 ,iure hereditario regnaturum' (Thietmar V, 3).
Mathilde ,1a sainte reine', ,1'esprit protecteur' der ottonischen Familie, erscheint in der
Vita Mathildis posterior besonders ausgestattet mit patientia, humilitas, Caritas: auch ein
neues oder zumindest differenziertes Heiligkeitsideal gegenüber der Generation der
Vita antiquior wird hier von Corbet herausgearbeitet. Auf dem Hintergrund der ,grande
sainte dynastique' Mathilde betrachtet Corbet die anderen ,heiligen' Frauen der liudol-
fingisch-ottonischen Dynastie: Hathumod (840 - 874), Tochter des Ahnherrn Liudolf (t
866) und Odas (805 - 912), die erste Äbtissin von Gandersheim, deren Mutter Oda selbst,
die allein schon ob ihres biblischen Alters (107 Jahre!) als in Gottes Gnade stehend ange-
sehen werden mußte, sodann Edith (Eadgyth), Ottos I. erste Gemahlin, die 946 relativ
jung starb und zu deren Vorfahren u. a. der Hl. Oswald (t 642) zählte: sie galt zwar zu ih-
rer Zeit, auch noch für Hrotsvit von Gandersheim (ca. 965) und Widukind von Corvey,
(ca. 968ff.) ab ,sanctissima', ja noch für Thietmar von Merseburg (1012/18). Aber da of-
fenbar keine Vita vorhanden war und keine starke kirchliche ,Lobby', verblaßte Ediths
,fama sanctitatis' gegenüber der Adelheids (931 - 999), wie aus der Darstellung (Bild 3
bei Corbet) Ottos I. mit seinen zwei Gemahlinnen (um 1235, Magdeburg) erhellt, wo
zwar Adelheid mit Heiligenschein versehen ist, nicht aber Edith. Adelheids ,fama sanc-
titatis' hat sich, befördert von Selz und Cluny, durchgesetzt: 1097 hat sie Papst Urban IL,
früher Prior von Cluny, kanonisiert.

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Gerade hinsichtlich Adelheids hätte man aber - einer der wenigen Ausstände an Cor-
bets Buch - gerne noch vielmehr gewußt: etwa ihre karolingisch-burgundische (Stich-
wort: St. Maurice dAgaune!) Herkunft, die Auswirkungen ihrer Heirat mit Otto I. 951 (-
Ausschaltung der Edith-Descenzenz, Bündnis mit Heinrich von Bayern, ihre Vorliebe für
die bayerische Sekundogenitur auch noch nach 973, ihr Kampf mit Theophanu, etc. etc.).
Hier bleiben einige Wünsche offen, die das Buch sonst voll erfüllt. Freilich, wenn Corbet
(S. 33 Anm. 16, S. 71 u. Anm. 8, S. 82 u. ö.)Theophanu erwähnt, läßt sich auch einiges
über Adelheid erahnen.

Auch über Kunigunde von Luxemburg (t 1033), die Gemahlin Heinrichs IL, hätte
man gern noch mehr erfahren, insbesondere die Legende ihrer Josefsehe, die (cf. DD H
IL, Nr. 368, 375, 394, 407) zu Heinrichs cognomen ,claudus' führte, auch über das Motiv
(she. Ksn. Richardis, Kaiserin Ota) des ,Ehebruchs' bei Kunigunde mit dem ,Pflugscha-
ren-Motiv'). Und: so zutreffend und scharfsinnig Corbets Ausführungen über Theopha-
nu sind: auch da hätte man gerne noch mehr erfahren - etwa einerseits über ihre Fröm-
migkeit und Heiligenverehrung, ihre largitas, andererseits über ihre ,Demontage' durch
Gegner, auch Adelheids Anhänger wie Odilo von Cluny. Auch die ,passio' Liutgards (+
953) (vgl. Thietmar II, 39), die ,patientia' Idas von Schwaben (t 986) bleiben unerwähnt;
auch die als Heilige geführten Töchter von Heinrichs I. Schwester Oda und König Zwen-
tibolds oder die Äbtissin Mathilde von Essen bleiben unerwähnt.

Die Männer der liudolfingisch-ottonischen Dynastie treten bei Corbet mit Ausnah-
me Heinrichs von Bayern (im Hinblich auf die Vita Mathildis posterior) und Erzbischof
Bruns von Köln ([925] 953 - 965) zurück; letzterem widmet Corbet ein Kapitel des ersten
Teils (S. 51 - 58): ,Brunon de Cologne est le seul homme de la dynastie ottonienne ä
avoir beneficie d'une reputation de saintete' schreibt Corbet und mit großer Delikatesse
untersucht er Ruotgers Vita Brunonis (968) auf ihre Qualität als ,Heiligenleben', die er -
zu Recht - mit aller Vorsicht bejaht, auch mit dem Zitat aus der Vita (c. 7): Bischof Israel:

sanctum eum ad prime virum esse respondit.' Freilich wird auch angeführt, daß die
Verehrung Brunos (vgl. u. a. die Vita Brunonis altera 1151/56; liber S. Pantaleonis - seit
1945 verschollen) in Köln eigentlich erst im 12. Jahrhundert einsetzte und erst 1225 kul-
tische Ehren Brunos nachweisbar sind, die erst im 19. Jahrhundert bestätigt wurden.
Von den ,sächsischen' Quellen des 10./11. Jahrhunderts spricht sich allein die Vita Ma-
thildis posterior dezidiert für Brunos Heiligkeit aus, während Thietmar sogar leisen Ta-
del anmeldet (II, 16, 23). Mit Recht führt Corbet aus: ,Brunon laissa derriere lui une tres
forte impression et une tendance ä le considerer comme saint entoura toujours son Sou-
venir', aber er entscheidet vielleicht nicht deutlich genug, ob nicht doch die Vita Ruot-
gers nicht nur im Auftrag von Brunos Nachfolger Folcmar, sondern im Auftrag Ottos I.
als Apologie für Bruno als neuen Typus eines ,Reichsheiligen' erfolgte - dies würde ja
zur Situation 968/69 in vielfacher Hinsicht glänzend ,passen'. Die ,sanctitas' der liudol-
fingisch-ottonischen Herrscher selbst wird in Corbets Buch kaum detailliert untersucht:
etwa bei Heinrich die Problematik der zurückgewiesenen Salbung (Widukind I, 26; Vita
Oudalrici c. 3), die Gründung des Quedlinburger Stifts, Heinrichs geplante Rom-Wall-
fahrt (Widukind I, 40; Thietmar 1,15), der Erwerb des Dionysius-Armreliquiars, der Er-
werb der Hl. Lanze. Auch Ottos I., Ottos IL, Ottos III. ,sanctitas' - wenn auch vielleicht
nur als ,Amtsheiligkeit' - bleibt weitgehend außer Acht; doch wäre es interessant, er-
gänzend auch dies zu untersuchen, ganz zu schweigen von Heinrich II. ([973] 1002 -
1024). So z. B. die Frage, warum wurde Heinrich II. 1146 kanonisiert, nicht aber seine
Vorgänger?

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