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Wolf, Gunther
Satura mediaevalis: Gesammelte Schriften ; Hrsg. zum 65. Geburtstag (Band 2): Ottonenzeit — Heidelberg, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.15264#0290

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Aber schon Bischof Wigbert von Hildesheim(880 - 908)'7 machte, zu Zeiten von König
Arnulf von Kärnten (887 - 899), nachdrücklich Rechte Hildesheims an Gandersheim gel-
tend18.

Und es gelang Wigbert, sich, vom klerusabhängigen Arnulf, den Besitz Ganders-
heims bestätigen zu lassen" und am 1. November 881"' das von ihm vollendete20 Gan-
dersheimer Münster zu weihen. Die Vita Bernwardi, aus dem Beginn des 11. Jhdts.,21 be-
richtet von ihm:,... omnem religionem et disciplinam cum domna Oda (Stifterin)22 et Gerburga
abbatissa in praefato loco (Gandersheim) inchoavit et perfecil; eius consilio omnia disponebont et
agebant.' Auch von Wigberts übernächstem Nachfolger, Bischof Sehard (919 - 928),B be-
richtet die Vita Bernwardi24:Sehardus, venerabilis vir, pastor octavus nostrae aecclesiae or-
dinatur. Hic absaue omni contradictione, quaecumque ad aecclesiasticum ministerium pertine-
bant, in praefato loco (Gandersheim) administravit.' Auch Sehards Nachfolger Thiethard
(928 - 954J25 machte nachdrücklich Hildesheimer Rechte in Gandersheim geltend26: so u.
a. die Weihe der neuen Marienkirche 94027. So sah sich König Otto I. 94T28 gezwungen,
dem Kloster Gandersheim, in z. T. wörtlicher Anlehnung an das Diplom Ludwigs III.
von 877, Immunität, Wahlrecht und Besitzungen zu bestätigen. Wenig später schickte
der König seinen Vertrauten, Abt Hadamar von Fulda nach Rom, zu Papst Agapet IL,
um von diesem ein Privileg unter dem 2. Januar 948K zu erwirken, das, in Anlehnung an
die Fuldaer Exemptionsprivilegien, jede ,ditio' einer bischöflichen Gewalt, mit Ausnah-
me der päpstlichen, ausschließt. Der Papst bezeichnet in diesem Privileg das Stift zu
Gandersheim als ,nostrum monasterium' und garantiert auch den Besitz, des seinerzeit
von Bischof Altfried übertragenen Zehnten, mit erstaunlich scharfer Poenformel gegen
jeden zuwiderhandelnden BischoP, was auf einen konkreten Anlaß schließen läßt.

Damit und mit dem großen Privileg Ottos I. vom 21. April 95631, das alle bisherigen
Privilegien und Schenkungen zusammenfaßt und bestätigt, war zumindest die privile-
gierte Reichsunmittelbarkeit von 877 wiederhergestellt und der Hildesheimer Anspruch
beseitigt. Auch werden nur Liudolf und Oda als Stifter genannt12 - Bischof Altfried er-
scheint nicht. Auch wird, wiederum, ausdrücklich auf König Ludwigs III. Privileg Bezug
genommen33.

949 bzw. 956 wurde König Ottos I. Nichte, die Tochter seines jüngeren Bruders Hein-
rich von Bayern, Gerberga II.34, Äbtissin in Gandersheim (- 13. November 1001). Für sie
bestätigte Papst Johannes XIII., an der Jahreswende 967/68, auf Intervention Kaiser Ot-
tos I. und Ottos IL, nochmals alle Gandersheimer Privilegien35. In diesen Rahmen gehört
auch das historische Auftragsgedicht ,Primordia coenobii Gandersheimensis'36 der Ganders-
heimer Nonne Hrotsvit.

Nach vorübergehender Verstimmung zwischen Kaiser Otto II. (973 - 983) und Äbtis-
sin Gerberga II., in den Jahren 97437, 978/79,38 scheint sich, nach 979, wieder ein sehr gu-
tes Verhältnis Gerbergas zum Kaiserhaus ergeben zu haben, wie das Privileg Ottos IL,
vom 12. März 980,w beweist.

Hans Goetting hat 1984,40 unter Bezug auf R. Wenskus,4' auf die Herkunft des Hildes-
heimer Bischofs Osdag (985 - 989) aus der ,Ricdag-Sippe', die zu den einflußreichsten
sächsischen Adelsgeschlechtern, vornehmlich auch im südlichen Niedersachen gehörte,
hingewiesen. Das ist sicher nicht ohne Bedeutung. Auch war Osdag offenbar schon vor
seiner Erhebung zum Hildesheimer Bischof daselbst Dompropst42.

Nachdem die vier vorangegangenen Hildesheimer Bischöfe, zwischen 961 und 984,
von den liudolfingischen Herrschern eingesetzt worden waren, war es offenbar 985 dem
Hildesheimer Domkapitel gelungen, die anfängliche Schwäche der Regentschaft für Otto

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III. zu nutzen und einen der Ihren zum Bischof zu machen, wobei dessen hochadelig-ein-
flußreiche Herkunft zupaß kam. Ob bei der Erhebung Osdags 985 Heinrich von Bayern
seine Hand, als Thronprätendent von 984, im Spiele hatte, wissen wir nicht - möglich ist
es immerhin. Die Art der Erhebung Osdags spiegelt auch die Nachricht der Annales Hil-
desheimenses zu 98543: ,Osdagius, vir summae caritatis et castitatis, in sancta religione proba-
tus, cum magno consensu cleriae plebis ad pontificalem honorem promotus est.'

Mit Recht formuliert Hans Goetting44: ,Es war vielleicht kein Zufall, daß gerade unter
Bischof Osdag, den man nicht wie seine Vorgänger als typischen,Reichsbischof' bezeich-
nen kann, der große Gandersheimer Streit zum Ausbruch kam.' Doch kann der weiteren
Meinung Goettings nicht gefolgt werden, wenn er hier im Oktober 98945 seitens Gan-
dersheims den Versuch unterstellt, ,die noch immer als bedrohlich empfundenen eigen-
kirchenrechtlichen Ansprüche Hildesheims dadurch ein für alle Mal auszuschalten.'
Dem widerspricht stringent, daß Theophanus Entscheidung, am 18. Oktober 989, zumin-
dest teilweise, für das Recht des Hildesheimer Bischofs Osdag eintrat46 und daß keine
Entscheidung gegen Hildesheim, im Verlauf des gesamten ,Gandersheimer Streits', fiel
so sehr sich auch Prinzessin Sophia und die Mainzer Erzbischöfe Willigis (975 - 1011)
und Aribo (1021 - 1031) darum bemühten. Keine der Entscheidungen zwischen 989 und
1030 erging eindeutig zugunsten von Mainz.47 Aber dennoch war der Zehnte im Besitz
Gandersheims, bis, nach dem Tod der Prinzessin/Äbtissin Sophia am 28. Januar 1039,48
der Hildesheimer Bischof Thietmar (1038 - 1044)4' die Zehntrechte ,in suam vestituram'
zurückforderte50 und am 27. September 10395' von Sophias älterer Schwester und Nach-
folgerin in Gandersheim, der damals 62-jährigen Quedlinburger52 Äbtissin Adelheid,
auch erhielt, von der er sich auch für Gandersheim ,obedientia' und ,subiectio' versprechen
ließ. Damit aber war die große Zeit Gandersheims - wie die so vieler anderer großer
Reichsklöster - vorbei, auch wenn Heinrich III. mit seinen Töchtern Beatrix I. (1044 -
1061) und Adelheid II. (1061 -1096) noch Äbtissinnen von Gandersheim bestimmte. Vor-
bei zugunsten der Bischöfe, die zunehmend zu Territorialherren wurden.

Faßt man die Versuche der Hildesheimer Bischöfe Wigbert (880 - 908), Sehard (919
928), Thiedhard (928 - 954), Osdag (985 - 989), Bernward (993 -1022) und Thietmar (1038
- 1044) als kontinuierliche Handlung' zusammen, so liegt eine gewisse Initiative, zwi-
schen 882 und 1039, zweifellos bei den Hildesheimer Bischöfen. In diesem Zusammen-
hang ist auch das Verhalten Osdags von 989 nicht nur als Verteidigung alter Rechte zu
sehen. Denn es erscheint damit auch nicht ganz unwahrscheinlich, daß nicht Sophia,
sondern Osdag am 18. Oktober 989 Recht provozieren und schaffen wollte, um die Privi-
legien Ludwigs III. von 877, Ottos I. und der Päpste von 947, 948, 956 und 968 auszuhe-
bern'. Auch war ja schon die Wahl Osdags, des Hildesheimer Propstes durch sein Dom-
kapitel Anfang 985, ohne vorherige Zustimmung der Regentschaft für Otto III., eine Her-
ausforderung55 gewesen. Und keinesfalls war Bischof Osdag ein .simplicis animi vir* wie
ihn die Vita Bernwardi hinzustellen beliebt, wobei sie sich freilich selbst in der Schilde-
rung von Osdags Verhalten57 widerspricht.

Ich meine daher, daß man von der, durch Thangmars Vita Bernwardi genährten, Mei-
nung wird abrücken müssen, daß eine 11-jährige streitsüchtig-frühreife Prinzessin alleine
Grund und Anlaß des ,Gandersheimer Streits' gewesen sei. Viel trug dazu auch die
große Hildesheimer Tradition bei, nicht zuletzt dadurch genährt, daß einst der große
Ebo58 von 845 - 851 Bischof von Hildesheim gewesen, der vorher, 816 - 835 und 840 Erzbi-
schofvon Reims war und wohl ein Sohn Karls des Großen von der Fränkin Himiltrud, seiner
ersten Gemahlin59.

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